Vet-Info
«Wir vertreten einen sehr wichtigen Berufsstand»
Die Federation of Veterinarians of Europe feiert ihr 50-jähriges Bestehen. Ihr Präsident Siegfried Moder schaut auf das bisher Erreichte und die Herausforderungen der Organisation.
«Tierärztinnen und Tierärzte sind in viele Teile des täglichen Lebens involviert – dafür wünschte ich mir mehr Wertschätzung von der Öffentlichkeit», sagt Siegfried Moder, Präsident der Federation of Veterinarians of Europe (FVE). Viele Menschen seien sich nicht bewusst, was die Tierärzteschaft alles leiste, beispielsweise in der Lebensmittelsicherheit. Und er folgert: «Mit der FVE vertreten wir einen sehr wichtigen Berufsstand.»
Die FVE vereint Tierärztinnen und Tierärzte aus 38 Ländern, darunter auch die Schweiz (siehe Kasten). Dieses Jahr feiert die Organisation ihr 50-jähriges Bestehen. «Durch diese europäische Vernetzung lernen wir voneinander», sagt Siegfried Moder. Viele Tierseuchen träten zuerst in Südosteuropa auf. «Die anderen Länder können von den dortigen Erfahrungen im Umgang mit den neuen Seuchen lernen.» Gemeinsam sei der Tierärzteschaft quer durch Europa das Engagement für den Tierschutz und das Tierwohl. Sehr unterschiedlich seien hingegen die Arbeitsbedingungen in den einzelnen Ländern – beispielsweise auch die Löhne. «In der Schweiz sind die ja hoch», sagt Moder. Auch die regionale Verteilung der Tierärztinnen und Tierärzte sei sehr unterschiedlich.
Flexiblere Arbeitszeiten
Die Arbeitsbedingungen liegen dem Deutschen, der seit 2023 FVE-Präsident ist, am Herzen. «Quer durch Europa arbeiten 20 Prozent der Jungen nach dem Veterinärmedizinstudium nie als Tierärztin oder Tierarzt – wir müssen ihnen bei den Arbeitszeiten mehr Flexibilität bieten.» Dies würde auch den jungen Eltern helfen, die nach der Geburtspause wieder in den Beruf einsteigen möchten. «Mit verbesserten Arbeitsbedingungen erreichen wir unmittelbar, dass mehr Leute in den Beruf einsteigen und bleiben», sagt Moder. «Zusätzliche Ausbildungsplätze an einer Universität hingegen bringen allerfrühestens in zehn Jahren neue Tierärztinnen und Tierärzte.» Auch müsse die unnötige Bürokratie abgebaut werden. «Das ist eine grosse Bürde, eben auch bei der Nachwuchsförderung.»
Moder erinnert daran, dass einzelne Universitäten mehr Tierärztinnen und Tierärzte ausbilden, als in ihrem Land benötigt würden – beispielsweise in Portugal und Spanien. «Viele dieser Tierärztinnen und Tierärzte gehen ins Ausland, die Überkapazität wird innerhalb Europas aufgesogen.» Andere Länder, beispielsweise Deutschland, bildeten teilweise die falschen Personen aus: «Sie steigen mit falschen Vorstellungen über den Beruf ins Studium ein.» Wichtig wäre es daher aus Sicht des FVE-Präsidenten, das Berufsbild an den Schulen vorzustellen. «So haben die Schülerinnen und Schüler eine konkrete Vorstellung davon, was sie im Berufsalltag erwartet.» Auch Praktika vor dem Studienbeginn seien eine Möglichkeit.
Der VetSurvey
Die FVE führt seit 2015 regelmässig eine Umfrage unter der Tierärzteschaft durch; derzeit wird der vierte VetSurvey vorbereitet. In der Vergangenheit hat sich beispielsweise gezeigt, dass immer weniger Tierärztinnen und Tierärzte im Bereich der Nutztiere und immer mehr mit Heimtieren arbeiten. «Und wir sehen bei diesen Befragungen, dass wegen des Tierärztemangels in bestimmten Bereichen die Arbeitsbelastung steigt. Auch die psychischen Probleme nehmen stark zu, vor allem bei der jüngeren Generation.» Der VetSurvey zeige, was die Tierärztinnen und Tierärzte von der FVE erwarteten. «Diese Erkenntnisse fliessen in die Mehrjahresstrategie der FVE ein und sind die Grundlage für unser politisches Engagement.»
Die FVE nimmt denn auch auf europäischer Ebene Einfluss bei Gesetzesvorlagen und lobbyiert in Brüssel. «Es ist wichtig, dass wir auf der politischen Ebene präsent sind», sagt Siegfried Moder. Ein politischer Erfolg der Tierärzteschaft in der Europäischen Union bringe auch der Schweiz etwas: «Wenn wir auf europäischem Niveau eine Gesetzesänderung abwehren können, welche der Tierärzteschaft Nachteile bringen würde, kommt diese Änderung auch in der Schweiz nicht aufs Tapet.» Wichtig im politischen Diskurs sei, dass die europäische Tierärzteschaft geeint auftrete. «Nur wenn wir mit einer Stimme auftreten, werden wir ernst genommen.»
Moder schaut über Europa hinaus: Wichtig sei eine globale Vernetzung. «Gerade im Bereich der Seuchenbekämpfung müssen wir weltweit zusammenarbeiten.» Hier sieht Moder eine der grossen Herausforderungen der Zukunft: «Mit der Klimaveränderung haben wir immer mehr vektorübertragene Krankheiten.» So seien nun Tierseuchen, die in Europa niemand mehr auf dem Schirm gehabt habe, plötzlich wieder präsent. Problematisch sei auch, dass der Zugang zu Tierarzneimitteln beschränkt sei. «In diesem Bereich haben wir uns von anderen Ländern abhängig gemacht.»
Besserer Tierschutz
Moder sieht aber auch Positives: «In den letzten 50 Jahren haben wir bei den Tierschutzstandards sehr viel erreicht.» Zudem habe es die Tierärzteschaft erreicht, Antibiotika verantwortungsvoll einzusetzen. «Da haben wir sehr viel geleistet. In Deutschland beispielsweise sank der Antibiotikaeinsatz zwischen 2011 und 2024 um 64 Prozent.»
Eine Stimme für 38 Länder
Veterinärmediziner aus Frankreich, Deutschland, Belgien, Luxemburg, Italien und aus den Niederlanden schlossen sich 1961 zum Veterinary Liaison Committee zusammen. Ihr Ziel war es, veterinärmedizinische Standards in Europa zu harmonisieren. Dies auch als Reaktion auf die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, auf Englisch ECC) vier Jahre zuvor, welche den Grundstein für einen gemeinsamen Markt legte – und damit auch für den freien Personenverkehr in den Mitgliedstaaten.
1975 wurde aus dem Veterinary Liaison Committee die Federation of Veterinarians of the EEC (FVE). So wie die EWG wuchs auch die FVE. Als im Jahr 1993 aus der EWG die Europäische Gemeinschaft wurde, änderte die FVE ihren Namen zu Federation of Veterinarians of Europe. Heute vertritt die FVE rund 330 000 europäische Tierärztinnen und Tierärzte aus 38 Ländern in ganz Europa, auch aus der Schweiz.
Die Sicht der GST
Roberto Mossi, Präsident der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST), sagt: «Die FVE ist für die GST eine wichtige Institution, um uns mit Tierärztinnen und Tierärzten in ganz Europa auszutauschen.» Durch diesen Dialog bringe die GST die Erfahrungen aus der Schweiz ein und profitiere gleichzeitig von den Ideen und guten Praktiken anderer Länder. «Gemeinsame Standards und ein engerer Austausch helfen uns, unsere tägliche Arbeit weiterzuentwickeln und international sichtbarer zu machen.» Die grossen Herausforderungen – von der öffentlichen Gesundheit über das Tierwohl bis hin zur Nachhaltigkeit – benötigten eine gemeinsame Strategie. Mossi schliesst: «Uns ist es wichtig, in Europa nicht nur zuzuhören, sondern unsere Stimme einzubringen und die politischen Diskussionen aktiv mitzugestalten.»


