Fokus
Das Leiden der brachycephalen Hunde
Extremzucht ist in der Schweiz verboten. Trotzdem gibt es auch hier immer mehr Hunde, die unter ihrem kurzen Kopf so leiden, dass sie Atemnot haben, oder Mini-Hunde mit Beeinträchtigungen. Sie werden importiert.
Grosse Augen über der Stupsnase: das Kindchen-Schema verfängt auch bei Hunden. Und so werden Hunde mit sehr kurzen Nasenschädeln herangezüchtet. Sie mögen putzig aussehen – sicher ist aber vor allem, dass sie leiden.
Tierarzt Daniel Koch forscht seit gut zwanzig Jahren zu Fragen rund um Brachycephalie, also Kurzköpfigkeit (siehe auch Beitrag auf Seite 175). Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Hundenasen länger. In einer seiner Studien hat Koch gezeigt, dass sich die Nasenschädel von kurzköpfigen Hunden seit etwa dem Jahr 1910 um mehr als 60 Prozent verkürzt haben.
Für Hunde sind kurze Köpfe problematisch, weil sie hecheln, um ihre Körpertemperatur zu regulieren. Sie ziehen die Luft durch die Nase ein und stossen sie durch das Maul wieder aus. Auf den grossen Oberflächen der Nasenmuscheln lässt die herbeiströmende Luft die Feuchtigkeit verdunsten und bringt auf dieser Art Kühlung. Kurzköpfige Hunde verfügen über eine viel kleinere Oberfläche der Nasenmuscheln. Um die Temperatur zu regulieren, müssen sie mehr hecheln. Zur Kompensation erhöhen sie den Atemunterdruck. Damit werden die Nüstern eingezogen, das Gaumensegel verlängert sich, die Atemwege kollabieren. Die Hunde schniefen und schnarchen, mögen die Hitze nicht vertragen und sind kaum leistungsfähig. Auch die Versorgung durch Sauerstoff ist beeinträchtigt. Deshalb wird von Qualzucht gesprochen.
Viele Hunde mit einem brachyzephalen Syndrom landen auf dem Operationstisch von Daniel Koch. «Seit knapp dreissig Jahren operiere ich solche Hunde», sagt der Kleintierchirurg. «Waren es früher etwa fünf pro Jahr, sind es heute 50 pro Jahr.» Dafür sprechen auch die Statistiken: Nicht nur gibt es heute mehr Hunde in der Schweiz als vor dreissig Jahren, sondern die kurzköpfigen Rassen haben zudem an Beliebtheit zugelegt. Eine Operation der Nase kostet rund 1600 Franken. Die Tiere leiden oft auch an Patellaluxationen oder Rückenbeschwerden. Eine Operation der Patellaluxation kostet rund 2000 Franken pro Bein, eine Rücken-OP kommt auf 5000 Franken zu stehen. Dazu können Augen- und Ohrenprobleme, Hautinfekte wegen übermässiger Hautfalten und Geburtsprobleme kommen.
Das Schweizer Tierschutzgesetz verbietet Qualzucht. Das Tierschutzgesetz hält fest, dass einem Tier durch natürliche und künstliche Zucht keine «Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen» zugefügt werden dürfen. 2015 erliess der Bund eine zusätzliche Verordnung, um die Umsetzung zu erleichtern. Darin sind vier Belastungskategorien aufgeführt, die darüber entscheiden, ob ein Tier zur Zucht eingesetzt werden darf. Doch in den meisten Fällen greift das Schweizer Tierschutzgesetz gar nicht, denn «etwa 95 Prozent dieser Hunde werden importiert», sagt Koch. Laut QUEN, der deutschen Plattform Qualzucht-Evidenz Netzwerk, kennen in Europa nebst der Schweiz, Deutschland und Österreich auch Finnland, Irland, Litauen, Luxemburg, Malta, Norwegen und Schweden Vorschriften zum Verbot zuchtbedingter Belastungen. Frankreich, das kein eigentliches Tierschutzgesetz kennt, diskutiert derzeit eine Anpassung mehrerer Erlasse mit tierschutzrechtlichen Anliegen; zur Tierzucht ist jedoch nichts vorgesehen.
«Als Tierarzt spreche ich mit den Tierbesitzenden; die meisten sagen, hätten sie vor dem Kauf von den Leiden und den nötigen Operationen gewusst, hätten sie sich für eine andere Rasse entschieden.» Koch sagt denn auch: «Wir müssen bei den potenziellen Käuferinnen und Käufern ansetzen.» Das sei aber eine schwierige und langfristige Aufgabe. «Die Leute sollen merken, dass sie eine andere Hunderasse wählen sollen.»
Die Ohnmacht des Forschers
Als Wissenschafter «und ethisch verantwortungsvolle Person» spürt Daniel Koch manchmal eine Ohnmacht: «So lange schon zeigen wir mit unserer Forschung, dass die Tiere unter gewissen Zuchtmerkmalen leiden – und doch geht nichts.» Als Tierarzt aber höre er deswegen nicht auf, kurzköpfige Hunde zu operieren: «Ich sehe das Individuum vor mir, und helfe dem Hund, der ja bereits geboren ist.» Wichtig sei ihm das Gespräch mit der Kundschaft, damit diese sich später für andere Hunde entscheide.
Positionspapier der SVK zu Mini-Hunden
Im Jahr 2018 hatte die Schweizerische Vereinigung für Kleintiermedizin (SVK) zusammen mit der Universität Bern, der Schweizerischen Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, dem Schweizer Tierschutz und der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft eine Kampagne gegen die extreme Kurzköpfigkeit bei Hunden gestartet und dazu auch ein Positionspapier verfasst. Letztes Jahr nun hat sich die SVK mit einem Positionspapier einem neuen Thema gewidmet: den Mini-Hunden. Sie seien ein Modetrend, hält die SVK fest. Ihre Grösse sei aber auch praktisch, weil sie in kleinen Wohnungen leben und problemlos im ÖV mitreisen können, im Futterunterhalt günstiger als grössere Hunde sind und auch von jungen und älteren Menschen einfach auszuführen seien. Gerade in städtischen Gebieten seien Chihuahua, Zwergspitz, Yorkshire Terrier, Shi Tzu, Toy Pudel, Japanischer Chin, Lhasa Apso, Boston Terrier und Zwergdackel daher beliebt. Die künftigen Tierhaltenden vernachlässigten dabei gerne, dass «diese Kleinsthunde in Bezug auf Erziehung und hundegerechte Haltung sehr herausfordernde Exemplare sein können». Und auch wenn es längst kein Geheimnis mehr sei, dass Mini-Hunde häufig erkranken, werde dies beim Kauf oft nicht angeschaut. Das Positionspapier geht auf gewichtige neurologische Erkrankungen wie den angeborenen Hydrocephalus, die atlanto-axiale Instabilität, die angeborene Taubheit, die Encephalomyelitis unbekannter Ursache und Bandscheibenvorfälle ein. Die SVK fordert in ihrem Positionspapier: «Tierärzte und Tierärztinnen sollen sich gegenüber der Kundschaft klar gegen die Anschaffung solcher Rassen aussprechen.»
Weil in der täglichen Praxis immer mehr Mini-Hunde präsentiert werden, organisiert die SVK FVH Kleintiere an den Schweizerischen Tierärztetagen 2025 in Basel am Mittwoch, 23. April, den Vorkongress «Mini- und Toy-Rassen: Diese Pathologien muss man kennen».