Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 166, Heft 9,
September 2024
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 03 September 2024  
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«Die Lehre daraus: Wir sollten das Unerwartete erwarten»

Nicole Jegerlehner

In den USA erkranken Milchkühe an der Vogelgrippe, und nebst Katzen stecken sich auch Menschen an, die Kontakt zu Kühen hatten. Kann sich daraus eine Influenza-Pandemie entwickeln? Barbara Wieland vom IVI ordnet ein.

Der Erreger der Aviären Influenza (AI) vom Subtyp H5N1 verbreitet sich unter den Milchkühen in den USA: Über hundert Herden in mehr als einem Dutzend Bundesstaaten sind bislang betroffen. Mehrere Farmarbeiter mit Kontakt zu infizierten Kühen oder Geflügel haben sich angesteckt. Die Infektion mit dem Virus verursachte relativ milde Krankheitssymptome, wie Bindehautentzündungen. Infizierte Katzen sind gestorben. Wie gross ist das Risiko, dass sich daraus eine Influenza-Pandemie entwickelt? Und was heisst das für die Schweiz?

Barbara Wieland, Leiterin des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) in Mittelhäusern, sagt dazu: «Derzeit ist das ein grosses Problem in den USA, nicht aber in der Schweiz.» Was der Ausbruch von aviären Influenzaviren des Subtyps H5N1 unter Milchkühen vor allem zeige: «Dieses Virus verursacht immer wieder Überraschungen.» Niemand habe damit gerechnet, dass dieses Virus in das Euter von Kühen eindringen könne, denn Kühe erkrankten normalerweise nicht an Influenza-A-Viren. Darum habe bei der Beobachtung der Vogelgrippe niemand die Kühe im Fokus gehabt. «Die Lehre daraus: Wir sollten das Unerwartete erwarten.»

Grosse Virenlast

Obwohl es noch unklar ist, warum das Virus gerade in den USA auf Milchkühe übergegangen ist, könnte dies mit der hohen zirkulierenden Viruslast zusammenhängen. Während die Anzahl der Ausbrüche von Vogelgrippe in Europa und der Schweiz derzeit stark rückläufig ist, gab es in den USA in den letzten Monaten riesige Ausbrüche unter Wildvögeln und auf Geflügelfarmen; Millionen von Vögeln mussten getötet werden. Diese hohe Virenlast erhöht die Chance einer Übertragung des Virus auf andere Wirte.

Beruhigend sei, dass sich das Virus in der Kuh bisher nicht stark verändere, so Barbara Wieland. «Oft kommt es zu Mutationen, wenn ein Virus eine neue Spezies infiziert.» Noch sei unklar, wie sich die erste Kuh angesteckt habe, doch sei es wahrscheinlich ein einzelnes Ereignis gewesen, bei dem die Übertragung von einem Vogel auf eine Kuh stattgefunden habe.

Erste Untersuchungen in den USA zeigen, dass die betroffenen Betriebe miteinander verlinkt sind. Sie tauschen Kühe, Melker und Melkgeschirr aus – und so konnte sich das Virus von Kuh zu Kuh weiterverbreiten.

Mutationen verhindern

Europäische Forschende kritisieren, dass die USA zu langsam reagierten. Das liegt unter anderem daran, dass jeder der 50 Bundesstaaten selber entscheidet, wie er mit solchen Situationen umgeht. «Es gibt Staaten, die haben sofort die betroffenen Tiere und Betriebe isoliert – und sie haben es innert Kürze geschafft, die Ausbreitung der Krankheit zu stoppen», sagt Barbara Wieland. «Andere Staaten haben weniger restriktive Massnahmen ergriffen, dort konnte sich der Erreger unter den Milchkühen ausbreiten.» Problematisch ist das darum, weil mit jeder neuen Ansteckung die Möglichkeit steigt, dass das Virus mutiert – und es damit gefährlich für weitere Tierarten oder den Menschen werden könnte.

Barbara Wieland ist überzeugt, dass in der Schweiz ein Ausbruch von Vogelgrippe unter Milchkühen schneller gestoppt würde. «Dies vor allem dank der Tierverkehrsdatenbank: Bei einer Tierseuche wissen wir innert kürzester Zeit, wo die betroffene Kuh in den letzten Tagen und Wochen war.» Zudem sorgten die klinische Überwachung der Betriebe und die Milchprüfung dafür, dass ein Krankheitsausbruch rasch entdeckt würde.

Was kommt noch?

«So schlimm der Ausbruch der Vogelgrippe unter den Kühen in den USA nun ist, betrachte ich es als noch viel schlimmer, dass wir nicht wissen, was noch kommen wird», sagt Barbara Wieland. Lange Zeit seien die Forschenden davon ausgegangen, dass der nächste Ausbruch einer Pandemie von Schweinen ausgehen würde. «Nun müssen wir aber feststellen, dass es enorm schwierig ist, die Ausbreitung des Virus zu prognostizieren.» Wieland sagt darum: «Wir müssen neu und anders denken und auch Tierarten beobachten, die wir bisher nicht auf dem Radar hatten.»

Barbara Wieland vertraut dabei auf das Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure: So müssten die Tierhaltenden aufmerksam sein, ebenso die Landwirte und die Tierärzteschaft. Eine gute Zusammenarbeit aller mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen und den Veterinärämtern der Kantone sei wichtig. «Wir benötigen das ganze System, um im Kampf gegen Zoonosen und Epidemien gewappnet zu sein – und ich finde, das funktioniert in der Schweiz sehr gut.» Die Tierärztinnen und Tierärzte seien sensibilisiert: So schickten sie bereits Proben von an Mastitis erkrankten Kühen zur Differentialdiagnose auf Aviäre Influenza ans IVI ein. «Zum Glück war keine der Kühe an AI erkrankt.» Barbara Wieland geht davon aus, dass aufgrund der epidemiologischen Lage in der Schweiz die Wahrscheinlichkeit eines Falles «extremst klein» ist.

Die Arbeit des IVI

In der Schweiz sind sowohl das Nationale Referenzzentrum für Geflügel- und Kaninchenkrankheiten (NRGK) der Universität Zürich sowie das IVI als nationale Referenzlabore für die Diagnostik der Vogelgrippe zuständig. Das NRGK ist das primäre Referenzlabor für Ausbrüche der Vogelgrippe in Wildvögeln und im Geflügel, während das IVI im Falle eines Ausbruches weiterführende Untersuchungen zur Typisierung und genetischen Charakterisierung durchführt. Die Diagnostik für eine Infektion von Säugetieren mit dem Erreger der Vogelgrippe wird auch am IVI durchgeführt.

In Zusammenarbeit mit Agroscope untersuchen Forschende des IVI auch, wie sich das Virus in Produkten, die aus Rohmilch hergestellt werden, verhält. Was bereits klar ist: Wird die Milch pasteurisiert, stirbt das Virus ab. Weiter generiert das IVI Zellkulturen und Organoide verschiedener Tierarten und verschiedener Organe, um Versuche mit Influenzaviren zu machen. «Wir dürfen bei der Übertragung von Influenza nicht nur an den Menschen denken und auch nicht nur an eine Infektion der Atemwege – das hat uns der Ausbruch der Vogelgrippe in den Milchkühen in den USA deutlich gezeigt», sagt Barbara Wieland.

Eine Tierärztin macht einen Schalmtest. (© GST)

Ein Webinar zum Thema

Am 28. Mai 2024 haben das Multidisziplinäre Zentrum für Infektionskrankheiten der Universität Bern und das Genfer Zentrum für Neuartige Viruskrankheiten der Universität Genf und Universitätskliniken Genf zusammen ein Webinar organsiert – dies zu Fragen rund um den Nachweis des Vogelgrippevirus H5N1 bei Milchkühen in den USA. Nationale und internationale Fachleute, darunter Barbara Wieland vom IVI, erläuterten die derzeit bekannten Informationen und diskutierten deren Bedeutung für die Schweiz.

Impfung für Zootiere

Das IVI arbeitet zurzeit auch an neuartigen Impfstoffen zum Schutz von Tieren gegen Influenzaviren. Im Herbst 2023 wurden zum Beispiel verschiedene Wildvogelarten im Zoo Basel und im Tierpark Bern gegen die H5N1-Vogelgrippe geimpft. Entwickelt hatte den Impfstoff das Institut für Virologie und Immunologie (IVI). Mit dem verwendeten Vektorimpfstoff können infizierte und geimpfte Tiere später serologisch unterschieden werden. Diese Impfstoffe würden prinzipiell auch in Kühen, Schweinen oder im Menschen funktionieren, allerdings bedarf es dazu einer offiziellen Zulassung der Impfstoffe.

Mehr dazu lesen Sie im SAT 02_2024.

 
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