Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 166, Heft 5,
Mai 2024
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 30 April 2024  
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Fokus

Das grosse Bild der europäischen Tierärzteschaft

Nicole Jegerlehner

Die Erhebung VetSurvey gibt die Stimmungslage der Tierärzteschaft in ganz Europa wieder und geht auf künftige Herausforderungen ein. Auch wenn einige grosse Probleme anstehen, sind 70 Prozent der Befragten zufrieden mit ihrer Berufswahl.

328 494 Tierärztinnen und Tierärzte gibt es in ganz Europa – das steht im 171-seitigen Vet-Survey der Federation of Veterinarians of Europe (FVE). Diese Erhebung unter der Tierärzteschaft in 38 Ländern wurde letztes Jahr nach 2015 und 2018 bereits zum dritten Mal durchgeführt. Aus der Schweiz haben 246 Tierärztinnen und Tierärzte an der Umfrage teilgenommen.

In der Einführung schreibt FVE-Präsident Siegfried Moder: «Aus den vorangegangenen Umfragen haben wir unschätzbare Erkenntnisse gewonnen über die Demografie des Tierarztberufs, die Arbeitsbedingungen und seine gesellschaftliche Bedeutung. Wir haben uns mit drängenden Fragen befasst, von Arbeitskräftemangel bis hin zur zunehmenden Bedeutung des Tierschutzes und Nachhaltigkeit.» Die dritte Umfrage ermögliche es nun, diese Trends zu verfolgen und zukünftige Entwicklungen zu antizipieren. «Durch diese Erhebungen führen wir einen sachkundigen Dialog, setzen uns für eine Politik ein, die unserer tierärztlichen Gemeinschaft zugutekommt, und tragen zum Wohlergehen von Tierärzteschaft, Tieren und der Gesellschaft insgesamt bei.»

Das Alter

Die Studie, die sich nebst der Umfrage auch auf Statistiken der einzelnen Länder stützt, zeigt, dass europaweit 42 Prozent aller Tierärztinnen und Tierärzte jünger als 40 Jahre sind; 49 Prozent arbeiten seit mehr als 15 Jahren im Beruf. 66 Prozent arbeiten Vollzeit. 71 Prozent sind auf Haustiere spezialisiert.

Die Dichte der Tierärztinnen und Tierärzte ist je nach Land sehr unterschiedlich. Während in Lettland 1,29 Tierärzte auf 1000 Einwohnende kommen, sind es in Nordmazedonien und Bosnien-Herzegowina nur gerade 0,2 – das sind die beiden Extreme des Spektrums. In der Schweiz kommen 0,25 Tierärztinnen und Tierärzte auf 1000 Einwohnende, in Österreich sind es 0,35 und in Deutschland 0,5.

Das Geschlecht

Europaweit beträgt der Frauenanteil in der Tierärzteschaft fast zwei Drittel, nämlich 65 Prozent. Das sind sieben Prozentpunkte mehr als noch im Jahr 2018. Und die Tendenz dürfte sich in den kommenden Jahrzehnten noch verstärken, denn bei den unter 30-Jährigen dominieren die Frauen noch viel mehr.

Angesichts dieser Zahlen sind nach wie vor überdurchschnittlich viele Praxen in den Händen von Männern, auch wenn unterdessen mehr als die Hälfte von Frauen geführt wird: 46 Prozent der Inhaber und Partner in Tierarztpraxen sind Männer. Anders ausgedrückt: Während 20 Prozent der Tierärztinnen Inhaberinnen oder Partnerinnen sind, gilt dies für 29 Prozent der Tierärzte.

Die Grösse der Praxen

Beim Beschäftigungsgrad zeigt sich, dass 91 Prozent der Tierärzte eine Vollzeitstelle innehaben, bei den Tierärztinnen sind es 77 Prozent. In einer typischen Praxis arbeiten drei bis fünf Angestellte; die Tendenz geht jedoch zunehmend zu grösseren Praxen hin. So ist denn auch der Anteil der Praxen mit ein bis zwei Angestellten seit 2018 von 43 auf 32 Prozent gesunken. Auch Einzelkämpfer gibt es europaweit immer weniger: Nur noch 18 Prozent arbeiten alleine, 2018 waren es noch 26 Prozent. Heute beschäftigen 12 Prozent der Praxen 11 bis 30 Personen; 4 Prozent der Praxen zählen 31 bis 50 Angestellte.

Der Lohn

Im europaweiten Schnitt verdienen Tierärztinnen und Tierärzte in einer Vollzeitstelle 48 000 Euro pro Jahr. Die Unterschiede von Land zu Land sind allerdings gross. Spitzenreiter sind zwei Länder: In der Schweiz und in Irland kommt die Tierärzteschaft auf ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 85 000 Euro. Die tiefsten Einkommen weisen mit 14 500 Euro Serbien und Rumänien auf. Generell gilt: Wer in grossen Praxen arbeitet, verdient mehr.

Nach wie vor verdienen Männer besser als Frauen: Das Mediangehalt eines Tierarztes in einer Vollzeitstelle beträgt
55 360 Euro, das einer Tierärztin 46 400 Euro. 35 Prozent der Tierärzte verdienen mehr als 70 000 Euro, verglichen mit 22 Prozent der Tierärztinnen. Ebenso verdienen mehr weibliche als männliche Tierärzte 40 000 Euro oder weniger (41 Prozent gegenüber 34 Prozent).

Die vertraglich vorgeschriebene Arbeitszeit hat im europäischen Schnitt seit 2015 abgenommen: von damals 40,2 Wochenstunden auf heute 36,9 Stunden. Doch leistet die Tierärzteschaft regelmässig mehr als die vorgeschriebene Arbeitszeit, nämlich 42,4 Stunden. Im Jahr 2015 waren es noch 46,8 Stunden gewesen. Durchschnittlich stehen den Tierärztinnen und Tierärzten 24,4 Ferientage im Jahr zu, wobei sie nur 21,4 beziehen.

Die Zufriedenheit

Auch wenn in der Schweiz in letzter Zeit viel über die hohe Belastung im Beruf zu lesen und zu hören war, sind die Tierärztinnen und Tierärzte aus der Schweiz, aus Dänemark und aus Finnland europaweit am zufriedensten. In Portugal und Kroatien arbeiten die unzufriedensten Tierärztinnen und Tierärzte. Insgesamt geben die Befragten die Note 7 von 10 an, wenn sie nach der Zufriedenheit mit ihrer Berufswahl gefragt werden – das ist eine hohe Zustimmung.  Hingegen sind sie deutlich weniger zufrieden mit der Work-Life-Balance: Da erteilen sie bloss die Note 5. So sagen denn auch 90 Prozent der befragten Tierärztinnen und Tierärzte, dass sie gestresst seien. Und auch beim Lohn kommen mit der Note 5,5 keine euphorischen Gefühle auf. Auch mit der Ausbildung sind die meisten unzufrieden: Der Aussage, dass die veterinärmedizinischen Fakultäten den Absolventinnen und Absolventen keine ausreichenden Fähigkeiten vermitteln, stimmte die Tierärzteschaft mit 6,7 von 10 Punkten zu.

Die Zukunft

Europaweit sehen 59 Prozent der Veterinärmedizinerinnen und Veterinärmediziner «zu viel Arbeit» als grösstes Problem in den kommenden Jahren. Einstellungsschwierigkeiten und Personalmangel betrachten 49 Prozent als grösste Herausforderung; in der Schweiz haben sogar 72 Prozent diesen Punkt angegeben. An dritter Stelle der Herausforderungen geben die Tierärztinnen und Tierärzte die steigenden Kosten der Produkte und Medikamente an. An vierter Stelle folgen mit 18 Prozent Nennungen die Kundschaft, die ihre Rechnungen nicht zahlen kann, gefolgt von «zu viel Administration» mit 15 Prozent.

Die europäische Tierärzteschaft ist sich einig: Das Thema One Health ist eine Priorität für ihren Berufsstand. Die Befragten stimmten dieser Aussage im Schnitt mit 8 von 10 Punkten zu. Sie unterstützen auch nachdrücklich (7,5/10) die Forderung, dass sich die Tierärzteschaft politisch für globale Herausforderungen wie Nachhaltigkeit und Ressourcenmanagement engagieren soll.

© GST/SVS
 
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