Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 166, Heft 3,
März 2024
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 27 Februar 2024  
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Vet-Info

Human- und Veterinärmedizin Hand in Hand: Eindrücke einer Reise

Vincent Hug, Zora Hebeisen

Ende letzten Jahres reiste ich erstmals nach Äthiopien. Bei Besuchen von Projektorten erlebte ich, wie Gesundheitspersonal, Projektteilnehmende und VSF-Suisse gemeinsam an einem Strang ziehen, um langfristige
Veränderungen zu bewirken.

Mein Name ist Vincent Hug und vor einem knappen Jahr habe ich meine Stelle als Leiter Programme bei Vétérinaires Sans Frontières Suisse (VSF-Suisse) in Bern angetreten. Letzten Oktober flog ich, in Begleitung unserer Programmverantwortlichen Sara Imbach, erstmals zu unserem Länderteam in Äthiopien. Ich freute mich, endlich mit eigenen Augen zu sehen, was die Arbeit von VSF-Suisse wirklich bedeutet und bewirkt.

In der Hauptstadt Addis Abeba angekommen, wurden wir herzlich von unserem Länderdirektor Kebadu Simachew Belay und seinem Team willkommen geheissen. Da wir nur eine knappe Woche Zeit hatten, ging es gleich weiter in Richtung Süden in die Regionen Oromia und Somali, wo unsere Projekte von den Feldbüros in Yabello und Moyale aus koordiniert werden. Das Bild, das sich mir bei unserem ersten Halt bot, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben: am selben Ort – mit klarer Zuordnung und räumlicher Trennung – wurden gleichzeitig Menschen und Tiere medizinisch behandelt.

One Health in der Praxis

Diese Aktivitäten sind Teil unseres HEAL-Projekts, in welchem der One-Health-Ansatz in der Praxis angewandt wird, um das Wohlergehen von Mensch, Tier und Ökosystem zu steigern. HEAL vereinfacht den Zugang zu qualitativ hochwertigen human- und veterinärmedizinischen Gesundheitsdiensten für Gemeinschaften in Regionen mit fehlender Infrastruktur.

Dieser Zugang wird durch die «Outreach»-Aktivitäten des Projekts sichergestellt. Gesundheitsfachleute reisen an die Projektorte, um ihre Dienstleistungen auch ausserhalb ihres normalen Standorts mobil anzubieten. Dadurch erhalten sowohl die Menschen als auch ihr Vieh Zugang zu medizinischen Dienstleistungen, die ihnen sonst in ihren Dörfern nicht zur Verfügung stünden. Die Familien bekamen je nach Situation eine Beratung oder Arzneimittel, wobei die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden. Nur etwa hundert Meter nebenan wurden die Viehherden derselben Familien behandelt. Dafür sind Tiergesundheitsfachleute angereist. Die Mitarbeitenden waren damit beschäftigt sicherzustellen, dass alle Tiere geimpft wurden und keines sich in eine andere Herde verirrte.

Unabhängigkeit in der Not

Am selben Ort führten Mitarbeitende von VSF-Suisse zusätzlich ein Nothilfe-Projekt durch, welches diejenigen Menschen unterstützen soll, welche ihre Lebensgrundlage aufgrund der letzten schweren Dürre verloren haben.

Die Menschen in dieser Region Äthiopiens leben grösstenteils in nomadischen Gemeinschaften und von der Viehzucht. Doch die wegen des Klimawandels intensiveren und in kürzeren Abständen auftretenden Dürren erschweren die Weiterführung dieses Lebensstils. Das Vieh findet kaum mehr Weideflächen und Wasser. Bei meinem Besuch im Süden Äthiopiens hatte der Regen glücklicherweise wieder eingesetzt, doch ein grosser Teil des Viehs erlebte diese Zeit leider nicht mehr.

Die Dürren dezimieren die für die Familien überlebenswichtigen Herden und zwingen sie zu einer Entscheidung: Entweder sie versuchen auf den Agro-Pastoralismus umzusteigen – also auf eine Mischung aus der mobilen Weidewirtschaft und der sesshaften Feldwirtschaft –, oder sie geben die Weidewirtschaft gänzlich auf und kämpfen sich als Tagelöhner und Tagelöhnerin durch. In dieser Situation arbeitet VSF-Suisse mit den Betroffenen zusammen, damit sie sich eine bessere Zukunft aufbauen können.

Die ursprünglich 25-köpfige Herde einer Hirtin zählte nach der Dürrezeit nur noch zwei Ziegen. Die Hirtin erzählte, dass damit ihre Lebensgrundlage komplett verschwunden war und auch das Geld für die Schulbildung ihrer Kinder fehlte. Im nächsten Gebäude auf dem Platz wurde deshalb pro Person zweimal 5000 äthiopische Birr – äquivalent zu insgesamt etwa 180 US-Dollar – vergeben. Dieses Startgeld gibt den Menschen eine gewisse Unabhängigkeit, da sie selbst entscheiden können, wie sie es investieren wollen. Die meisten Familien entscheiden sich dafür, eine neue Herde aufzubauen. So auch die Hirtin: Mit den Birr, die sie nun in der Hand hielt, will sie sich erneut Vieh zutun und zusätzlich Schulbücher kaufen für ihre Kinder.

Zufriedene Gemeinschaften, zufriedene VSF-Suisse

Nach einer Woche und unzähliger solcher Begegnungen musste ich mich schon wieder vom Land und seinen Menschen verabschieden. Ich habe mit vielen Menschen in Äthiopien gesprochen; sie erzählten von ihren Herausforderungen und von ihren Hoffnungen. Ich war beeindruckt von ihrer Entschlossenheit und mir wurde mit Freude klar, dass VSF-Suisse grosses Vertrauen in den Gemeinschaften geniesst. Wir werden als ein zuverlässiger Partner angesehen, der sowohl vor wie auch während und nach einer Krise stets vor Ort ist. Ich bin also stolz zu erzählen, dass VSF-Suisse ihre NGO-Rolle als Wissensvermittlerin und Innovatorin, aber manchmal auch als Erbringerin von Nothilfe lebt und so mit den Gemeinschaften zusammen auf eine bessere Zukunft hinarbeiten kann.

Eine veterinärmedi­zinische Konsultation. (© Vincent Hug)
 
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