Fokus
Wohlergehen und artgerechte Haltung bei Hunden und Katzen
Haustiere brauchen mehr als Futter, damit es ihnen gut geht. Nach den «Five Freedoms» von Roger Brambell gehört unter anderem auch ein Leben frei von Angst und Stress zu den Faktoren, die zum Wohlergehen der Tiere beitragen.
Seit Roger Brambell in den 1960er-Jahren die «Fünf Freiheiten» für Nutztiere definiert hat (siehe Kasten), hat sich in der Tierhaltung einiges verbessert, gerade auch bei den kleinen Heimtieren. Die Halterinnen und Halter sind gut informiert und bemühen sich in der Regel um eine artgerechte Haltung und Fütterung. Die dafür nötigen Informationen sind dank Internet und sozialen Medien leicht zugänglich. Doch noch immer sind ein Leben frei von Angst und Stress sowie die Möglichkeit, normales Verhalten ausleben zu können, nicht für alle Tiere selbstverständlich.
Gerade bei Katzen sieht es leider oft anders aus. Bei der Wohnungshaltung wird aus Unkenntnis noch immer zu wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der Tiere genommen: Mangelhafte Versäuberungsmöglichkeiten, Zusammenleben mit unpassenden Katzenpartnern, fehlende Bereicherung, nicht-artgerechte Fütterung, chronische Langeweile, täglich lange Abwesenheit der vollberufstätigen Besitzerinnen und Besitzer sind nur einige Beispiele.
Sie leiden unbemerkt
Diese Katzen «verschwinden» in den Wohnungen. Solange sie die Haltungsbedingungen ertragen, merkt niemand, dass ihr Wohlergehen beeinträchtigt ist. Erst wenn gesundheitliche Probleme wie Harnabsatzstörungen, Adipositas, Diabetes oder Arthrose auftreten und eine Tierarztpraxis aufgesucht wird, hat der behandelnde Tierarzt oder die Tierärztin die Möglichkeit, die Haltung abzuklären und zu verbessern, da diese Erkrankungen oft die Folgen einer nicht artgerechten Haltung sind. Beim Auftreten von Verhaltensproblemen wie Unsauberkeit, Markieren, Aggression gegen die Besitzerin oder den Besitzer sowie Partnerkatzen wird wohl etwas schneller Hilfe gesucht. Aber Verhaltensmedizinerinnen und -medizinern werden immer wieder Katzen vorgestellt, die seit mehreren Jahren im Haus unsauber sind oder zeitlebens mit einem Katzenpartner zusammenleben müssen, den sie nicht mögen oder der sie mobbt.
Viele Menschen denken, Katzen würden den grössten Teil des Tages schlafend verbringen und Wohnungskatzen könnten somit den ganzen Tag allein gelassen werden. Die Folge ist dann die grosse Langeweile, was das Wohlergehen von Individuen aller Spezies erheblich beeinträchtigt.
Katzen in Zwangswohngemeinschaften
Eine restriktive Haltung kann bei Katzen zu Angststörungen führen. Sie leiden unter dem Eingesperrtsein oder der Zwangswohngemeinschaft mit einem oder mehreren unpassenden Katzenpartnern; sie ertragen die Klo-Situation nicht (mit Deckel, nicht täglich gereinigt, ungeeignet platziert) oder sind gestresst, weil sie nicht artgerecht gefüttert werden. Und vor allem leiden sie unter Langeweile, wenn keinerlei Beschäftigung unabhängig vom Halter oder der Halterin angeboten wird.
Katzen ohne Freigang ein interessantes und artgerechtes Leben zu bieten ist anspruchsvoll und zeitintensiv, und es ist fraglich, ob man Katzen mit einem starken Aktivitätstrieb gerecht werden kann, wenn man voll berufstätig ist. Auch das Halten von zwei oder mehr Katzen kann die Situation verschlimmern, weil nur gute Freunde von der Gesellschaft des anderen profitieren und alle anderen Gemeinschaften den Stress verstärken.
Prophylaxe durch Information
So sollte möglichst früh eine Beratung erfolgen, bei der auf die Bedürfnisse von Katzen in der Wohnungshaltung hingewiesen wird und die Halterinnen und Halter auf die zeitintensive Aufgabe, ihren Katzen ein gutes Leben ohne Freigang zu bieten, vorbereitet werden. Die Informationsblätter der STVV («Artgerechte Fütterung» und «Unsauberkeitsprophylaxe») stehen zur Unterstützung als Download zur Verfügung.
Geht es den Hunden besser?
Unsere Hunde haben sich im Laufe der Evolution von über 30 000 Jahren zu einem treuen Begleiter des Menschen entwickelt. Geschätzte 75 Prozent der weltweiten Hundepopulation lebt in der Nähe von Menschen und sucht sich ihr Futter aus Abfällen zusammen, da sie die Fähigkeit, grössere Beutetiere als Kleinsäuger zu jagen und zu fressen, im Laufe der Entwicklung zum grossen Teil verloren haben. Diejenigen Hunde, die von Menschen «gehalten» werden, leben in einer asymmetrischen Beziehung – im Gegenzug für die Fütterung und Pflege müssen sie viele Freiheiten aufgeben. Der Mensch bestimmt sämtliche Aspekte des Lebens eines Familienhundes wie Fütterung, Tagesablauf, Bewegung, soziale und sexuelle Kontakte.
Problematisch wird dies, wenn die Hundehalterinnen und -halter die Hunde überbehüten, sie schon als Welpen hauptsächlich oder ausschliesslich an der Leine halten, Kontakt mit anderen Hunden auch später prinzipiell für gefährlich halten und ihre Ängste und Unsicherheiten auf den Hund übertragen. Diese Personen lassen sich oft von Ratschlägen beeinflussen, die keinerlei wissenschaftliche Basis haben oder längst widerlegt wurden.
Das Aussehen ist wichtiger
Der Hund wird nach dem Exterieur ausgewählt, ungeachtet der zu erwartenden Eigenschaften wie grosses Aktivitätsbedürfnis, ausgeprägter Jagdtrieb oder Einschränkungen aufgrund anatomischer Eigenheiten, und ohne Kenntnis der zu erwartenden Kooperationsbereitschaft des Hundes. Er soll dann immer und überall aufs Wort gehorchen, über eine perfekte Selbst- und Impulskontrolle verfügen und zu Hause ruhig sein, auch wenn er allein gelassen wird. Und natürlich sollte er allen Menschen und Tieren freundlich begegnen.
Wenn es Probleme gibt, weil der gewählte Hund diese Erwartungen nicht erfüllt oder nicht erfüllen kann, sind auch da unprofessionelle Ratschläge und ungeeignete Erziehungsmethoden eher schädlich als hilfreich. Methoden, die auf der überholten Idee beruhen, der Hundeführer müsse der «Chef» sein, sind in der Regel aversiv und ignorieren oft den emotionalen Zustand des Hundes. Und die Signale von Unsicherheit und Angst bei seinem Hund zu ignorieren ist der effizienteste Weg, sein Vertrauen zu verlieren.
Die Folgen sind frustrierte Hunde; Hunde, die kein Ausdrucksverhalten mehr zeigen oder sogar unter erlernter Hilflosigkeit leiden; Hunde, die aufgrund ihrer ignorierten Ängste Verhaltensstörungen entwickeln. Und Menschen, die diese Nöte nicht bemerken oder bei störendem Verhalten überfordert sind.
Perfekter oder glücklicher Hund?
Hunde möchten – wie alle Lebewesen – eine Kontrolle über ihre Aktivitäten haben und auch eigene Entscheidungen treffen können. Der Mensch als Fürsorgegarant sollte bestrebt sein, dem Hund dies möglichst oft zu gewähren, ohne dass es störend für andere Menschen, Hunde und weitere Tiere ist.
Hundehalterinnen und -halter sollten sich bewusst sein, dass angebunden sein für alle Spezies ein aversiver Zustand ist und das Wohlbefinden beeinträchtigen kann. Ausserdem ist freie Bewegung wichtig für die Gesundheit des Bewegungsapparats und für die Aufrechterhaltung der kognitiven Funktionen. (TSchVo Art. 71 Bewegung: Hunde müssen täglich im Freien und entsprechend ihrem Bedürfnis ausgeführt werden. Soweit möglich sollen sie sich dabei auch unangeleint bewegen können.)
Der sozialkompetente Hund sollte möglichst viel Kontakt mit gleichgesinnten Hunden haben und wenn es passt, ist auch wildes Spiel erlaubt. (TSchVo Art. 70 Sozialkontakt: Hunde müssen täglich ausreichend Kontakt mit Menschen und, soweit möglich, mit anderen Hunden haben.)
Andererseits muss der Mensch seinen Hund auch vor unangenehmen Ereignissen bewahren, wie zum Beispiel unerwünschtem Kontakt mit fremden Menschen oder Hunden. Viele Hunde sind unglücklich, wenn sie allein zu Hause bleiben müssen, oder sind in der Grossstadt oder im Restaurant überfordert. Und zu guter Letzt sollte auch darauf geachtet werden, dass es dem Hund kulinarisch gut geht in menschlicher Obhut und er nicht zeitlebens etwas fressen muss, das er nicht mag.
Fazit
Der Tierarzt oder die Tierärztin kann dazu beitragen, dass Hundehalterinnen und -halter sich bewusstwerden, dass ein Hundeleben kurz ist, und dass der Fokus nicht nur auf dem möglichst perfekt gehorchenden Hund, sondern vor allem auch auf dem Wohlbefinden des Hundes liegen sollte.
Die fünf Freiheiten
Der Zoologe Roger Brambell hat 1965 die «Five Freedoms» für Nutztiere definiert; sein Konzept wurde später erweitert und hat sich etabliert:
- Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung: Die Tiere haben freien Zugang zu frischem Wasser und erhalten Nahrung, die ihre vollständige Gesundheit und Vitalität aufrechterhält.
- Freiheit von Unbehagen: Den Tieren wird ein geeignetes Umfeld inklusive Unterstand und angenehmer Ruhezone gewährt.
- Freiheit von Schmerz, Verletzung und Krankheit: Krankheiten und Verletzungen der Tiere werden durch tiermedizinische Betreuung möglichst verhindert bzw. schnell diagnostiziert und behandelt.
- Freiheit von Angst und Leiden: Die Tiere leben unter Bedingungen, die psychisches Leiden vermeiden.
- Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens: Den Tieren werden ausreichend Platz sowie die Gesellschaft mit Artgenossen – sofern sie keine Einzelgänger sind – gewährt.