Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 165, Heft 7_8,
Juli 2023
 
Thema Sonderheft Tierwohl / cahier spécial Bien-être animal  
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 04 Juli 2023  
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Fokus

Perioperative Analgesie für viszeralchirurgische Eingriffe bei Hund und Katze

Inken Sabine Henze und Simone Katja Ringer

An Hunden und Katzen werden immer komplexere chirurgische Eingriffe durchgeführt. Daher ist eine «one size fits all»-Analgesie nicht mehr zeitgemäss. Bei der Wahl von Analgetika für die perioperative Schmerztherapie ist die
individuelle medizinische Vorgeschichte zu berücksichtigen.An Hunden und Katzen werden immer komplexere chirurgische Eingriffe durchgeführt. Daher ist eine «one size fits all»-Analgesie nicht mehr zeitgemäss. Bei der Wahl von Analgetika für die perioperative Schmerztherapie ist die individuelle medizinische Vorgeschichte zu berücksichtigen.

Wussten Sie, dass Tierbesitzerinnen und -besitzer heutzutage das Schmerzempfinden bei Hund und Katze als vergleichbar zum Menschen einschätzen und eine adäquate Schmerztherapie als sehr wichtig für die Heilung und das Wohlbefinden des Tieres erachten1? Auch zeigen 88 Prozent der befragten Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte laut einer Umfrage eine hohe Motivation, in der perioperativen Phase Analgetika zu verabreichen2. Opioide und nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID), zwei der drei Grundpfeiler multimodaler Analgesie, kommen dabei am häufigsten zum Einsatz. Neben den beiden genannten Medikamentengruppen zählen im weiteren Sinne zu den ersten beiden Grundpfeilern multimodaler Analgesie auch andere systemisch wirksame Medikamente mit analgetischen Eigenschaften, die aber nicht primär als Analgetika eingestuft werden (zum Beispiel Ketamin, Amantadin, Gabapentinoide oder α2-Rezeptor-Agonisten). Den dritten Grundpfeiler bilden die Lokalanästhetika. Während für orthopädische Eingriffe im Rahmen eines multimodalen Analgesieplans zunehmend auf periphere Nervenblockaden durch Lokalanästhetika zurückgegriffen wird, erfordern diese weiterführende Ausrüstungen wie Nervenstimulator oder Ultraschallgerät, und das dazugehörige Know-how. In der Viszeralchirurgie wird daher weiterhin überwiegend auf systemische Analgetika vertraut, auch wenn periphere Regionalverfahren – wie der Transversus-abdominis-plane-Block (TAP) zur Anästhesie der Bauchwand und der Quadratus-lumborum-Block zur viszeralen Anästhesie – sowie rückenmarksnahe Regionalverfahren wie Epidural- oder Spinalanästhesie vielversprechende Ansätze bieten.

Perioperative Schmerzen

In der Viszeralchirurgie entstehen schmerzhafte Reize zum einen durch den Schnitt durch die Bauchdecke, zum anderen durch den Zug an Organen, Bändern und Gekröse. Freie Nervenendigungen, welche vielfach im Peritoneum enthalten sind, dienen hierbei als Nozizeptoren. Diese nehmen den Reiz auf, der über aufsteigende Nervenbahnen zum Rückenmark geleitet wird. Im Akutschmerz spielen hier vor allem schnell leitende Aδ-Fasern, bei chronischen, dumpfen Schmerzen langsam leitende C-Fasern eine Rolle. Nach Modulation im Rückenmark werden die Signale weiter zu verschiedenen Regionen des Grosshirns geleitet. Für die Schmerzwahrnehmung ist ein vorhandenes Bewusstsein erforderlich. Intraoperative Schmerzreize können bei unzureichender analgetischer Versorgung nach dem Aufwachen als postoperative Schmerzen empfunden werden, weshalb sowohl eine adäquate intra- sowie postoperative Versorgung mit Analgetika notwendig ist und dem heutigen medizinischen und ethischen Standard entspricht. Komponenten einer multimodalen Analgesie greifen an unterschiedlichen Orten in die Kaskade der Schmerzentstehung und -weiterleitung ein (Abb. 1).

Risiken postoperativer Schmerzen

Postoperative Schmerzen beeinträchtigen die Genesung, reduzieren den Appetit, wirken negativ auf das kardiorespiratorische System, begünstigen katabole Stoffwechselprozesse, erhöhen das Infektionsrisiko, verlängern die Rekonvaleszenz, rufen zentrale Hypersensitivität hervor und sind massgeblich an der Entstehung chronischer Schmerzen beteiligt3. Um Akutschmerz bei Hund und Katze zu erkennen sowie den Schweregrad zu bestimmen, existieren diverse validierte sowie nicht-validierte Hilfsmittel. Beispielhaft seien hier die Short Form der Glasgow Composite Measure Pain Scale für Hunde sowie die Feline Grimace Scale für Katzen genannt. Eine gute Übersicht bietet die Publikation von Mathews et al4. Sowohl aus moralischer als auch aus ethischer Sicht sind wir hier als Tierärztinnen und Tierärzte gefragt, um das Tierwohl zu fördern.

Opioide

Opioide stellen gemäss WHO-Stufenschema zur Therapie von Akutschmerz potente Bausteine dar, die zusätzlich zu Nicht-Opioid-Analgetika zum Einsatz kommen. Während reine µ-Rezeptor-Agonisten (beispielsweise Morphin, Methadon oder Fentanyl) die verlässlichste viszerale und somatische Analgesie bieten und somit die ideale intraoperative Wahl für mässig bis stark schmerzhafte Operationen sind, ist auch ihr Spektrum unerwünschter Wirkungen breiter als das des partiellen µ-Rezeptor-Agonisten Buprenorphin sowie des µ-Rezeptor-Antagonisten und κ-Rezeptor-Agonisten Butorphanol. Aufgrund derer geringeren analgetischen Wirksamkeit sowie ihrer Rezeptorbindungseigenschaften sollten diese beiden bei mässig bis stark schmerzhaften Interventionen nur in der postoperativen Phase zum Einsatz kommen und nur, wenn die Schmerzen einschätzbar und gut kontrollierbar sind.

Nicht-steroidale Antiphlogistika

Da Chirurgie immer mit einer Entzündungsreaktion einhergeht, sollte nach Möglichkeit ein nicht-steroidales Antiphlogistikum (NSAID) verabreicht werden. Diese wirken über die Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase, welches im Rahmen der Entzündungskaskade die Bildung von Entzündungsmediatoren wie Prostaglandinen und Thromboxanen vermittelt. Somit wirken NSAID peripher direkt am Ort des Geschehens. Bei Tieren mit Erkrankungen der Nieren oder des Magen-Darm-Trakts, bei Operationen am Magen-Darm-Trakt, bei instabilen kardiovaskulären Verhältnissen sowie bestehender oder zu erwartender Hypotonie sollten NSAID nur mit Vorsicht oder gar nicht verabreicht werden.

Metamizol

Metamizol gilt als das potenteste Nicht-Opioid-Analgetikum mit zusätzlichen hervorragenden spasmolytischen Eigenschaften. Der genaue Wirkmechanismus ist bis heute unklar. Diskutiert werden unter anderem eine zentrale COX-3-Hemmung sowie Opioid-, NMDA-, Cannabinoid- und Glutamat-Rezeptor-vermittelte Wirkungen. Hieraus resultieren Empfehlungen für den Einsatz von Metamizol, wenn klassische NSAID kontraindiziert sind, auch wenn der Effekt auf die Nierenfunktion unklar ist. Bei intravenöser (IV) Verabreichung muss diese langsam über 10 bis 20 Minuten erfolgen. Bei schneller IV-Bolusgabe kann es zu therapieresistenter letaler Vasodilatation kommen. Als Injektionslösung ist der Wirkstoff mit zwei unterschiedlichen Lösungsmitteln erhältlich: Wasser oder Benzylalkohol. Bei Katzen sollte auf die Verwendung der Präparate mit Benzylalkohol verzichtet werden, der bei dieser Tierart zu Komplikationen führen kann.

Paracetamol

Wie Metamizol zählt auch Paracetamol nicht zu den klassischen NSAID. Aus Toxizitätsgründen darf der Wirkstoff bei der Katze nicht zum Einsatz kommen. Beim Hund kann er jedoch einen Ersatz für ein klassisches NSAID bieten oder zusätzlich zu diesem verabreicht und bereits intraoperativ als Kurzinfusion IV gegeben werden. Bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion ist bezüglich der Verabreichung Vorsicht geboten.

Ketamin

Aufgrund der guten analgetischen Eigenschaften von Ketamin kann ein IV-Bolus in subanästhetischer Dosierung für eine zusätzliche intraoperative Analgesie sorgen, wenn es nicht bereits für die Einleitung der Anästhesie verwendet wurde. Auch als Dauertropfinfusion kann Ketamin in einer subanästhetischen Dosierung bei sehr schmerzhaften Eingriffen intraoperativ oder auch postoperativ am wachen Patienten angewandt werden. In der postoperativen Phase ist auch eine subkutane (SC) Verabreichung in analgetischer Dosierung möglich. Kontraindikationen für den Einsatz von Ketamin können bestimmte Herz- oder
Nierenerkrankungen sowie ein erhöhter Augeninnendruck sein, wobei dies von der Dosis und dem Weg der Verabreichung abhängig ist.

Lidocain

Während Lidocain primär als Lokalanästhetikum bekannt ist und zum Einsatz kommt, werden beim Hund Lidocain­infusionen IV zur systemischen Analgesie eingesetzt und auch die Wirkung als Radikalfänger bei ischämischen Insulten durch beispielsweise Organtorsionen genutzt. Auch zur Prävention und Therapie ventrikulärer Arrhythmien zum Beispiel bei Splenektomien ist Lidocain geeignet. Wie bei allen Dauertropfinfusionen sorgt ein vorgängiger IV-Bolus für eine initiale Plasmakonzentration. Im Fall von Lidocain sollte dieser langsam über 15 bis 20 Minuten injiziert werden, um unerwünschten Wirkungen bis hin zur Asystolie vorzubeugen. Auch im postoperativen Zeitraum kann eine Lidocaininfusion fortgeführt werden, wobei am wachen Tier ein sedativer Effekt auftreten kann. Katzen sind besonders sensitiv für Lidocain, weshalb bei dieser Tierart dessen intravenöser Einsatz zu analgetischen Zwecken vermieden werden sollte.

α2-Rezeptor-Agonisten

Zusätzlich zu ihrer sedativen Wirkung besitzen die α2-Rezeptor-Agonisten Medetomidin und Dexmedetomidin auch analgetische Eigenschaften. Zwar sollten sie niemals als alleiniges Analgetikum bei viszeralchirurgischen Eingriffen dienen, können jedoch vor allem intraoperativ als niedrig dosierte Dauertropfinfusion den analgetischen Plan ergänzen. Zu beachten sind vor allem bei Bolusgabe die kardiovaskulären Nebenwirkungen in Form initialer Vasokonstriktion und reflektorischer Bradykardie, welche durch den gleichzeitigen Einsatz von Opioiden noch verstärkt werden kann. Deshalb stellen einige Herzerkrankungen eine Kontraindikation für den Einsatz von α2-Rezeptor-Agonisten dar.

Lokalanästhetika

Während für neuraxiale Techniken wie Epidural- oder Spinalanästhesie sowie für regionale Techniken wie TAP-5,6 oder Quadratus-lumborum-Block7 erweiterte Ausstattung sowie Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung nötig sind, können Lokalanästhetika bei viszeralchirurgischen Eingriffen auch direkt auf der Schnittlinie sowie intraperitoneal angewandt werden. Bei der Schnittlinieninfiltration wird im Bereich des geplanten Schnitts ein Lokalanästhetikum mit schnellem Wirkeintritt SC injiziert. Bei der Ovariektomie beispielsweise kann auch das Ligamentum suspensorium ovarii präventiv infiltriert werden, bevor durch den Zug an diesem Band ein nozizeptiver Reiz entsteht. Während der Kastration männlicher Tiere wirkt eine intratestikuläre Infiltration vor dem Setzen der Ligaturen antinozizeptiv. Als Baustein der postoperativen Analgesie kann als sogenannter Splashblock ein langwirksames Lokalanästhetikum in die Bauchhöhle geträufelt werden, um dort die freien Nervenendigungen des Peritoneums zu anästhesieren. Gute Effekte wurden für Lidocain, Bupivacain, Levobupivacain und Ropivacain gezeigt, wobei der Effekt dosis- und volumenabhängig zu sein scheint 8,9,10. Am Tierspital Zürich laufen aktuelle Studien in diesem Bereich. Auch die Muskelschichten der Bauchwand sowie die Subkutis in der Schnittlinie können vor dem chirurgischen Verschluss beträufelt werden, um postoperative Schmerzen zu reduzieren.

Fazit

Während systemische Analgetika in Kombination mit Lokal- und Regionalverfahren aktueller Standard für die Analgesie bei viszeralchirurgischen Eingriffen sind, tragen auch nicht-pharmakologische Komponenten wie eine ruhige Umgebung sowie stressarmes Handling zur Reduktion postoperativer Schmerzen und damit zu einem gesteigerten Wohlbefinden unserer vierbeinigen Patienten bei. Generell gilt: eine Schmerztherapie sollte so früh wie möglich begonnen werden und multimodal ausgerichtet sein. Sollten Unsicherheiten bezüglich Schmerzanzeichen bestehen, sollte das Tier therapiert und anschliessend reevaluiert werden.

Abb. 1: Schematische Darstellung der Leitung nozizeptiver Reize entlang der Nervenbahnen aus der Peripherie ans Gehirn. Markiert sind die Wirkorte der jeweiligen analgetisch wirksamen Medikamentengruppen, unabhängig vom Applikationsweg.

Referenzen

  1. Rufer A, Hartnack S, Ringer SK. Bedeutung einer Veterinäranästhesistin oder eines Veterinäranästhesisten und einer optimalen Schmerztherapie aus Sicht von Hunde- und Katzenbesitzerinnen und -besitzern. Schweiz Arch Tierheilkd. 2022;165(2): 115–125.
  2. Perret-Gentil F, Doherr M, Spadavecchia C, Levionnois O. Attitudes of Swiss veterinarians towards pain and analgesia in dogs and cats. Schweiz Arch Tierheilkd. 2014;156(3): 111–7.
  3. Gaynor JS (1994): Is Postoperative Pain Management Important in Dogs and Cats? Vet Med 94(3): 254–257.
  4. Mathews K, Kronen PW, Lascelles D, Nolan A, Robertson S, Steagall PV, et al. Guidelines for Recognition, Assessment and Treatment of Pain. Journal of Small Animal Practice. 2014;55(6): E10–E68.
  5. Schroeder CA, Snyder LBC, Tearney CC, Baker-Herman TL, Schroeder KM. Ultrasound-guided transversus abdominis plane block in the dog: an anatomical evaluation. Vet Anaesth Analg. 2011;38(3): 267–271.
  6. Skouropoulou D, Lacitignola L, Centonze P, Simone A, Crovace AM, Staffieri F. Perioperative analgesic effects of an ultrasound-guided transversus abdominis plane block with a mixture of bupivacaine and lidocaine in cats undergoing ovariectomy. Vet Anaesth Analg. 2018;45(3): 374–383.
  7. Garbin M, Portela DA, Bertolizio G, Garcia-Pereira F, Gallastegui A, Otero PE. Description of ultrasound-guided quadratus lumborum block technique and evaluation of injectate spread in canine cadavers. Vet Anaesth Analg. 2020;47(2): 249–258.
  8. Carpenter RE, Wilson DV, Evans AT. Evaluation of intraperitoneal and incisional lidocaine or bupivacaine for analgesia following ovariohysterectomy in the dog. Vet Anaesth Analg. 2004;31: 46–52.
  9. Benito J, Monteiro B, Lavoie A-M, Beauchamp G, Lascelles BDX, Steagall PV. Analgesic efficacy of intraperitoneal administration of bupivacaine in cats. J Feline Med Surg. 2016 Nov;18(11): 906–912.
  10. Korkmaz M, Yilmaz O, Saritas ZK, Demirkan I, Jaroszewski J. Evaluation of Intraperitoneal and Incisional Bupivacaine or Levobupivacaine for Postoperative Analgesia in Ovariohysterectomized Dogs. Acta Scientiae Veterinariae, 2019. 47: 1666.
 
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