Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 165, Heft 7_8,
Juli 2023
 
Thema Sonderheft Tierwohl / cahier spécial Bien-être animal  
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 04 Juli 2023  
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Fokus

Das Pferdeleben im Stall bereichern

Iris Bachmann, Agroscope – Schweizer Nationalgestüt

In Tierhaltungskonzepten geht es längst nicht mehr nur um die Gesunderhaltung und das Sicherstellen der Leistungserbringung von Tieren: Ihr Wohlbefinden wird angestrebt. Kann das Leben von Pferden während der 23 Stunden des Tages, in welchen sie nicht genutzt werden, dank Haltungsanreicherung aufgewertet werden?

Ein «lebenswertes Leben» (life worth living) muss Zustände beinhalten, die als positiv empfunden werden und negative Erlebnisse minimieren, aber nicht gänzlich verhindern8. Mit anderen Worten: Ein gutes Leben ist kein Leben ohne Herausforderungen, wobei sowohl ein zu hohes als auch ein zu niedriges Mass an Stimulation als aversiv empfunden werden kann. Eine Bereicherung der Umwelt (environmental enrichment) in der Haltungsanlage bietet den darin untergebrachten Tieren die Möglichkeit, Aufgaben zu lösen beziehungsweise Verhaltensweisen auszuführen, die zu einer Belohnung führen oder gar als Handlung per se als belohnend empfunden werden.

Environmental enrichment zielt somit darauf ab, die Qualität der Haltung durch die Identifizierung und Bereitstellung von Umweltreizen, die das psychische und physische Wohlbefinden optimieren, zu erhöhen. Erwiesenermassen ist dies eine erfolgreiche Technik zur Reduzierung stereotyper Verhaltensweisen bei Zootieren und eine präventive Massnahme gegen deren Entwicklung bei Labormäusen. Solche Effekte sind auch bei diversen Heimtieren, wie beispielsweise Katzen und Hunden, bekannt.

Verschiedene Autoren unterscheiden Unterkategorien von Umweltbereicherungen. Wichtig ist, dass jegliches Programm zur Anreicherung der Umwelt auf die betroffene Tierart und ihre artspezifischen Verhaltensmechanismen zugeschnitten sein muss, was solide Kenntnisse über das Verhaltensrepertoire dieser Spezies voraussetzt2.

Umweltbereicherung für Pferde

Pferde sind natürlicherweise grasfressende Steppenbewohner, leben im engen Sozialverband mit Artgenossen und haben als Fluchttiere Bewegungsapparat, Körperfunktionen sowie Sinnesorgane auf die Fähigkeit für abrupte Fluchtreaktionen spezialisiert. Ihr Verhaltensrepertoire zeichnet sich insbesondere durch lange Fresszeiten, damit verbunden durch fast ständige langsame Fortbewegung und ein äus­serst komplexes Sozialverhalten aus. Das Sicherheitsbedürfnis ist gross, weshalb kontinuierlich die Umgebung kontrolliert und Unbekanntes auf dessen Bedeutung sowie potenzielles Gefahrenrisiko exploriert wird. Im Folgenden seien als Beispiele drei aus dem speziesspezifischen Verhalten abgeleitete Vorschläge für eine Bereicherung der Haltungsumwelt ausgeführt.

Bewegungsanreize schaffen

Der Auslauf im Freien ist für die Förderung des Wohlergehens von hohem Wert. Natürlich ist dies auf den positiven Effekt der Bewegung auf die Gesundheit zurückzuführen. Angesprochen seien an dieser Stelle aber auch Qualitäten wie frische Luft und Klimareize, Wahl des Aufenthaltsortes und Teilnahme am Umweltgeschehen. Viele Pferde bewegen sich auf ihren Paddocks leider erstaunlich wenig. Tatsächlich erfolgt Fortbewegung selten schlicht aus Freude am Laufen, ausser bei angestautem Bewegungsdrang. Dem Pferd muss vielmehr eine Motivation zugrunde liegen, beziehungsweise es muss ein Anreiz vorhanden sein, damit es sich bewegt und Distanzen zurückzulegt.

Wild lebende Pferde legen täglich bis zu 16 Kilometer zurück. Studien bei Hauspferden massen in bereicherten Haltungsanlagen zwischen fünf und acht Kilometern an einem Tag und weisen darauf hin, dass Faktoren wie das Zusammensein mit Artgenossen, die Grösse und Aufteilung der Anlage in Funktionsbereiche und das Angebot von Futterstellen die zurückgelegten Distanzen fördern4.

In die Richtung eines bewegungsfördernden Enrichments gehen neue Formen von modernen Pferdehaltungskonzepten, wie beispielsweise Aktiv- oder Bewegungsställe und Paddock Trails. Das Prinzip des Paddock Trails besteht daraus, dass der befestigte Paddockbereich in einen Pfad von drei bis sechs Metern Breite um die Weiden herum verlagert wird und so auch bei begrenztem Flächenangebot für die Pferde möglichst lange Laufwege vorliegen9. Räumlich voneinander entfernt werden Kernstücke der Anlage installiert, so zum Beispiel ein überdachter Liegebereich, verschiedene Futterstellen, Tränke, Bäume als Schattenspender, Lecksteine, erhöhte Aussichtspunkte. Es existieren bisher noch kaum wissenschaftliche Studien, welche den Effekt verschiedener Einrichtungen und die Gestaltung solcher Anlagen auf die Bewegungsaktivität systematisch untersucht hätten. Der Ansatz scheint aber zweifelsohne vielversprechend und kann als interessantes Enrichment in der Pferdehaltung gewertet werden.

Verlängerte Fresszeiten

Aus ethologischer Sicht wäre für Hauspferde eine ad-libitum-Fütterung die beste Lösung für eine verhaltensgerechte Beschäftigung mit Nahrungssuche und -aufnahme. Allerdings ist in unseren Breitengraden die Futtergrundlage wie Heu und Gras oft zu reichhaltig, und viele Pferde neigen zu starker Gewichtszunahme, wenn die Menge an Futter nicht streng rationiert wird. Dies wiederum verursacht lange Fastenzeiten, was unphysiologisch ist und das Wohlbefinden von Pferden stark beeinträchtigt.

Zur Behebung dieses Dilemmas finden sich auf dem Markt zunehmend so genannte «Slow Feeding Systeme». Es handelt sich dabei um verschiedene Arten von Futterdispensern oder Raufen, welche das Futter mit Netzen oder Gittern abdecken, um die Nahrungsaufnahme zu verlangsamen und somit zu verlängern ohne die aufgenommene Menge zu vergrössern. Wissenschaftliche Studien belegen, dass Slowfeeding-Systeme – im Gegensatz zur Fütterung von offenem Raufutter – die durchschnittliche Aufnahmegeschwindigkeit von Heu senken und somit den gewünschten Zweck erfüllen1.

Rund um diese Futterdispenser bestehen zurzeit jedoch noch offene Fragen. Es zeigen sich grosse individuelle Unterschiede, wie Pferde mit dieser Fütterungsart umgehen und ob Slowfeeding für sie geeignet ist. Abgeklärt werden müssen auch potenzielle Risiken, wie zum Beispiel mögliche Abnutzung der Zähne und Tasthaare, Zahnfleischentzündungen, Verletzungsrisiken und die Auswirkung auf die Muskulatur und das Skelett. Weitere Forschung scheint also nötig. Dass die Verlängerung der Fressdauer aber einer der wichtigsten und biologisch sinnvollsten Ansätze für Environmental enrichment ist, bleibt unbestritten.

Bereicherung durch Sozialkontakte

Da Pferde von Natur aus soziale Tiere sind, hat die Haltung in Gruppen unbestritten Vorteile im Vergleich zur Einzelhaltung. Diese Haltungsform ermöglicht das Ausleben von spezies-spezifischem Verhalten wie soziale Interaktionen und vermehrte Bewegung und senkt das Risiko für Stereotypien. Wegen möglicher Nachteile, wie ein oft befürchtetes erhöhtes Verletzungsrisiko oder eine erschwerte Einzeltierbetreuung, steht zumindest in unseren Breitengraden die Mehrheit aller Pferde jedoch nach wie vor in Einzelhaltungssystemen. Auch für diese Tiere besteht die Möglichkeit zu vermehrten Sozialkontakten trotz Boxenhaltung. Zollinger et al. testeten die Praxistauglichkeit von so genannten Sozialboxen10. Deren Trennwände bestehen auf einer Hälfte aus vertikal angebrachten Rohren in einem Metallrahmen. Der Abstand zwischen den Gitterstäben beträgt rund 30 Zentimeter und ermöglicht den Pferden, ihre Köpfe in die Nachbarboxe zu halten und mit dem Nachbarpferd zu interagieren. Die andere Hälfte der Abtrennung ist bis oben sichtdicht mit Holzbrettern verschlossen, um Rückzug zu gewähren. Die in dieser Studie beobachteten Zuchthengste zeigten in Sozialboxen eine um das Zehnfach erhöhte Gesamtdauer der sozialen Interaktionen im Vergleich zu der Aufstallung in konventionellen Boxen, ohne dass es zu potenziell gefährlichen Auseinandersetzungen oder gravierenden Verletzungen kam. Dabei handelte es sich um Verhaltensweisen, welche dem unter natürlichen Bedingungen beobachtbaren Verhalten von Hengsten sehr nahekommt. Entgegen der Befürchtungen der Hengsthalter, das vermehrte Ausleben von Sozialverhalten würde das Einspannen und Fahren der Hengste erschweren, nahmen unerwünschte und potenziell gefährliche soziale Interaktionen beim zweispännigen Fahren signifikant ab während und nach der Unterbringung der Hengste in der Sozialbox3. Die neuartigen Boxenwände sind also eine vielversprechende Bereicherung für einzeln gehaltene Pferde.

Fazit

Unter Berücksichtigung der natürlichen Bedürfnisse von Pferden und ihrer Ansprüche an die Umwelt ist unter Tierschutzgesichtspunkten naheliegend, dass Environmental enrichment in der heute verbreiteten Haltung unserer Hauspferde vonnöten ist. Nebst den drei beschriebenen praktischen Beispielen bestehen diverse weitere Möglichkeiten für eine Bereicherung des Lebens von Pferden im Stall: So beispielsweise das Anbringen von Spiegeln in der Pferdebox oder das zur Verfügung stellen verschiedener Objekte zur Reduktion passiven Verhaltens – wie zum Beispiel Futterball, Äste und Scheuerbürste – und das Vorspielen von Musik im Stallhintergrund5,6,7. Als nachhaltige Bereicherung taugt allerdings meistens am besten, was von Pferden gefressen werden kann.

Zwei Pferde in einer «Sozialbox», welche mehr Interaktionen zulässt. (© Agroscope)

Referenzen

  1. Auer U., Kelemen Z., Engl V., Jenner F., 2021. Activity Time Budgets – A Potential Tool to Monitor Equine Welfare? Animals 2021, 11, 850.
  2. Bayne K., Würbel H., 2014. The impact of environmental enrichment on the outcome variability and scientific validity of laboratory animal studies. Rev. sci. tech. Off. int. Epiz., 2014, 33 (1), 273–280.
  3. Gmel A.I., Zollinger A., Wyss C., Bachmann I., Briefer Freymond S., 2022. Social Box: Influence of a New Housing System on the Social Interactions of Stallions When Driven in Pairs. Animals 2022, 12, 1077.
  4. Hildebrandt F., Krieter J., Büttner K., Salau J., Czycholl I., 2020. Distances Walked by Long Established and Newcomer Horses in an Open Stable System in Northern Germany. J. Equine Vet. Sci. 95 (2020) 103282.
  5. Houpt K., Marrow M., Seeliger M., 2000. A preliminary study of the effect of music on equine behavior. J. Equine Vet. Sci. 20 (2000) 691–737.
  6. Jørgensen G.H.M., Liestøl S.H.O., Bøe K.E., 2011. Effects of enrichment items on activity and social interactions in domestic horses (Equus caballus). Appl. Anim. Behav. Sci. 129 (2011) 100–110.
  7. McAfee L.M., Mills D.S., Cooper J.J., 2002. The use of mirrors for the control of stereotypic weaving behaviour in the stabled horse. Appl. Anim. Behav. Sci. 78 (2002) 159–173.
  8. Mellor D.J., 2016. Updating animal welfare thinking: Moving beyond the «five freedoms» towards «A life worth living». Animals 2016, 6, 21.
  9. Romanazzi T., 2018. Pferdehaltung & Permakultur. Neue Ansätze für eine ökologische und wirtschaftliche Offenstallhaltung. Sudden Inspiration Verlag, Grossröhrsdorf, D.
  10. Zollinger A., Wyss C., Bardou D.,  Bachmann I., 2023. Social Box: A New Housing System Increases Social Interactions among Stallions. Animals 2023, 13, 1408.
 
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