Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 165, Heft 7_8,
Juli 2023
 
Thema Sonderheft Tierwohl / cahier spécial Bien-être animal  
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 04 Juli 2023  
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Fokus

Das Fütterungsregime hat bei Schweinen einen Einfluss auf das Schwanzbeissen

Denisa Dan, Amtstierärztin, und Hans-Urs Vogel, Leiter Tierschutz und Hunde, Veterinärdienst Luzern

Ein den Bedürfnissen der Schweine angepasstes Fütterungsregime hat einen positiven Einfluss auf die Verhinderung des Auftretens von Schwanzbeissen. Dadurch sind die Tiere weniger von Schmerzen und Stress betroffen, was nebst der Förderung des Tierwohls auch zu einer höheren Produktivität führt.

Schwanzverletzungen durch Schwanzbeissen sind ein Tierschutz-, Tierwohl- und ein Wirtschaftlichkeitsproblem auf Schweinemastbetrieben. Betroffene Schweine leiden an Schmerzen und zeigen niedrigere Gewichtszunahmen1. Ausserdem ist das Vorkommen von Schwanzbeissen mit einem höheren Risiko einer Genussuntauglichkeitserklärung des Schlachttierkörpers verbunden2. Werden betroffene Tiere nicht behandelt, kann es zu Ausfallerscheinungen kommen, besonders in Form von Lahmheiten der Hinterhand. Auch bei dieser Problematik wird ein weiteres Mal deutlich, dass die Förderung des Tierwohls auch die Produktivität auf einem Betrieb steigert.

Vorkommen in der Schweiz

Eine Studie aus dem Jahr 2020 zeigt, dass auf Schweizer Schweinemastbetrieben das Vorkommen von Schwanzbeissen am Anfang der Mastperiode bei 11,7 Prozent und am Ende der Mastperiode bei 36,6 Prozent liegt3. Eine andere Schweizer Studie aus Jahr 2016 kommt auf eine höhere Prävalenz von sogar 39,7 Prozent (von Guten, Masterthese, Universität Bern, 2016). Die Anzahl neuer Fälle während der Mastperiode liegt bei ungefähr 15 Schweinen aus 100. Im Durchschnitt haben Betriebe vier bis sechs neue Läsionen pro 100 Schweine und Mastperiode. Studien zeigen, dass Schwanzbeissen häufiger in den Wintermonaten vorkommt 4.

Ätiologie

Schwanzbeissen ist ein multifaktorielles Geschehen, bei dem eine grosse Anzahl an Risikofaktoren identifiziert wurden. Nennenswerte Risikofaktoren sind Überbelegung und ungenügende Anzahl Fressplätze, Mangel an Beschäftigungsmaterial oder schlechte Luftqualität5. Myko- und Endotoxine wurden nur in sehr seltenen Fällen nachgewiesen. Es wird auch die Meinung vertreten, dass Schwanz­beissen keine Verhaltensstörung ist, sondern ein arttypisches Verhalten am falschen Objekt6. Die Kunst der Bekämpfung von multifaktoriellen Bestandesproblemen liegt in erster Linie darin, den Kunden zu überzeugen, die Stressauslöser konsequent zu identifizieren und zu beseitigen und somit das Tierwohl im Bestand zu verbessern.

Futter ist mehr als nur Futter

Die Hälfte der Wachzeit beschäftigen sich Schweine mit Wühlen, Suchen und Bearbeiten von Futter. Für ein Schwein ist Futter mehr als nur Futter. Es geht nicht nur um die Nährstoffaufnahme, sondern um die Erfüllung und Befriedigung von angeborenen Verhaltensmustern. Müssen Schweine um Futter oder Platz kämpfen, werden sie zu beissen beginnen. In den letzten Jahren stellte der Veterinärdienst Luzern im Rahmen von Tierschutzkontrollen immer wieder fest, dass Schwanzbeissen in Buchten auftrat, in welchen die Fütterung nicht vorschriftsgemäss eingerichtet war. Die Schweine mussten um ihr Futter kämpfen und waren somit in ihrer Anpassungsfähigkeit überfordert (Art. 3 Tierschutzgesetz).

Die automatisierte Vorratsfütterung

Grundsätzlich gibt es drei Arten von automatisierter Fütterung, die sich nach der Konsistenz des Futters in Flüssig-, Brei- und Trockenfütterung unterscheiden. Die Menge der Futteraufnahme hat weniger mit der absoluten Fresszeit als viel mehr mit der Fressgeschwindigkeit zu tun. Es gilt die Regel, dass nasses (flüssiges) Futter schneller aufgenommen werden kann als trockenes Futter. Zur Veranschaulichung sei folgender Test empfohlen: Es sind drei trockene Biscuits zu verspeisen. Dabei ist die Dauer der notwendigen Kau- und Schluckaktivitäten aufzuzeichnen. Von der gleichen Sorte Biscuits sind wieder drei Stück zuerst mit Milch oder Wasser zu vermengen und anschliessend aufzunehmen. Alle werden feststellen, dass die Biscuits, die mit Flüssigkeit vermengt wurden, viel schneller verzehrt werden können. Der Siegeszug der Breifutterautomaten in der Schweinemast beruht auf der Möglichkeit, dem Futter kurz vor dem Verabreichen Wasser beizumengen, wodurch sich die Fressgeschwindigkeit erhöht. Damit können in derselben Zeitspanne mehr Schweine ihre Futterration aufnehmen, als wenn sie trocken gefüttert würden. Die Tierschutzgesetzgebung trägt diesem Umstand Rechnung, indem die Anzahl Fressplätze pro Futterautomat bei Vorratsfütterung wie folgt festgelegt ist:

  • bei Trockenfutterautomaten: ein Fressplatz pro fünf Tiere;
  • bei Breifutterautomaten mit maximal drei Fressplätzen: ein Fressplatz pro zwölf Tiere;
  • bei Breifutterautomaten mit mehr als drei Fressplätzen und bei Rohrbreiautomaten: ein Fressplatz pro zehn Tiere, vgl. Art. 23 Verordnung des BLV über die Haltung von Nutztieren und Haustieren (SR 455.110.1).


Die Vorschrift wird in der Fachinformation Tierschutz Nr. 8.3 «Tier-Fressplatzverhältnis bzw. Anzahl Tiere pro Automat bei verschiedenen Fütterungssystemen in der Schweinehaltung» näher ausgeführt. Zusätzlich sind die vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV)  bewilligten Automaten aufgelistet. Wichtig ist dabei: Die in der Bewilligung festgelegte Anzahl Fressplätze pro Automat ist als Maximum zu interpretieren und nur dann anwendbar, wenn der Futterautomat vorschriftsgemäss beziehungsweise gemäss Herstellerangaben betrieben wird. Die Fachinformation ist auf der BLV-Homepage in Deutsch, Französisch und Italienisch verfügbar.

Beurteilung auf dem Betrieb

Bei der Überprüfung des Automaten ist die Konsistenz des Endproduktes entscheidend und nicht die Art oder die Zulassung des Automaten. Auf einem Betrieb ist immer vor Ort zu überprüfen, wie viele Fressplätze tatsächlich vorhanden sind. Wird ein Automat an einer Wand oder in einer Ecke der Bucht platziert, kann die Anzahl Fress­plätze drastisch reduziert sein, da die Tiere einige Fressplätze nicht erreichen können. Die Beurteilung richtet sich also nach der Frage: Wie viele Schweine können tatsächlich gleichzeitig und ungestört an diesen Plätzen fressen? Ausserdem muss Futter im Vorratsbehälter des Automaten in ausreichender Menge vorhanden sein, und bei Breifutterautomaten muss zudem die Konsistenz des Futters als Gesamtes breiig sein. Die Vermischung von Futter mit Wasser ist oft unzureichend, so dass kein vollständiger Brei vorzufinden ist, teilweise ist die Wasserzufuhr sogar ganz abgestellt.

Für die Mischung des Trockenfutters mit Wasser zu einem ausreichenden Brei ist unter anderem der Wasserdruck entscheidend. Damit das Wasser sich auch mit dem Futter zu Brei vermischt, muss je nach Bauart des Wasserventils der Druck des Wassers bei mindestens 4 bar liegen. Bei Betrieben, welche Wasser aus eigener Quelle nutzen, ist deshalb der Einsatz einer Pumpe zu prüfen.

Wird an Breifutterautomaten oder Rohrbreiautomaten die Wasserversorgung abgestellt, so gilt die Anlage als Trockenfutterautomat mit der damit einhergehenden Reduktion der Anzahl Tiere, die daran gefüttert werden können (nur noch fünf statt zehn beziehungsweise zwölf Tiere pro Fressplatz).
Anlässlich der Veterinärkontrollen wurden des Öfteren auch leere Automaten (leere Vorratsbehälter sowie leere Futterschalen) vorgefunden. In diesem Fall gilt die Einrichtung nicht mehr als Vorratsfütterung und folglich müsste für jedes Tier ein Fressplatz vorhanden sein. Bei leeren oder nicht genügend gefüllten Futterplätzen müssen auch die Öffnungen der Automaten geprüft werden. Diese müssen sauber sein. Sie können zum Beispiel bei hoher Luftfeuchtigkeit verkleben, wodurch nicht genügend Futter nachrutscht.

Die Massnahmen

Mastschweine, die bereits als Ferkel Schwanzbeissen als Verteidigungsstrategie gelernt haben, wenden diese Strategie immer wieder an. Werden Tiere mit Schwanzverletzungen auf dem Betrieb angeliefert, so sollte die Betriebsleiterin oder der Betriebsleiter dies sofort beim Lieferanten beanstanden. Die Tierhaltenden haben aber so oder so die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Schwanzbeissen nicht auftritt, beziehungsweise bei Auftritt Korrekturmassnahmen einzuleiten. Sie haben ein dem Bedürfnis der Schweine entsprechendes Futterangebot zu gewährleisten, sowohl bezüglich Art und Gehalt des Futters, als auch der Menge, inklusive der Bereitstellung einer genügenden Anzahl Fressplätze. Des Weiteren müssen die Tiere jederzeit genügendes und geeignetes Beschäftigungsmaterial zur Verfügung haben. Insbesondere bei bereits bestehenden Problemen ist zu empfehlen, mehr Beschäftigungsmaterial als gesetzlich vorgeschrieben anzubieten, wie zum Beispiel Weichholzstücke, Heukugeln oder Beisssterne. Ein zusätzliches Angebot von Emd oder Grassilage reduziert einerseits den Kampf ums Futter und sorgt andererseits für eine zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeit. Die Verkleinerung von Gruppen kann dazu beitragen, dass fehlgeprägte Schweine, welche anderen Schweinen den Schwanz verletzen, von ihrem Tun ablassen. Falls die getroffenen Massnahmen nicht zum gewünschten Ziel führen beziehungsweise ausgeschöpft sind, müssen die beissenden Tiere aus der Gruppe entfernt werden.

Schwein mit frischen Verletzungen. (© Hans-Urs Vogel)

Weitere Informationen

blv.admin.ch/Tiere/Nutztierhaltung/Schweine:  
Fachinformation Tierschutz Nr. 8.3: Tier-Fressplatzverhältnis bzw. Anzahl Tiere pro Automat bei verschiedenen Fütterungssystemen in der Schweinehaltung;

Fachinformation Tierschutz Nr. 8.4: Beschäftigung, Fütterung mit Rohfaser, Nestbaumaterial sowie Einstreu in der Schweinehaltung

Ansprechpartner: Veterinärdienst Luzern: veterinaerdienst@lu.ch, Tel. 041 228 61 35

BLV: Zentrum für tiergerechte Haltung: Wiederkäuer und Schweine: informationztht@agroscope.admin.ch, Tel. 058 480 33 77

Referenzen

  1. Sinisalo A. Niemi J.K. Heinonen M. Valros A. Tail biting and production performance in fattening pigs. Livest Sci 143 (2012) 220–225. doi:10.1016/j.livsci.2011.09.019
  2. Valros A. Ahlström S. Rintala H. Häkkinen T. Saloniemi H. The prevalence of tail damage in slaughter pigs in Finland and associations to carcass condemnations. Acta Agric Scand A Anim Sci 54(4):213–219. doi:10.1080/09064700510009234
  3. Vom Broke A.L. Karnholz C. Madey-Rindermann D. Gauly M. Leeb C. Winckler C. Schrader L. Dippel S. Tail lesions in fattening pigs: relationships with postmortem meat inspection and influence of a tail biting management tool. Animal 13 (4): 835–844. doi:10.1017/S1751731118002070
  4. Sell A. Vidondo B. Wechsler B. Burla J. Nathus H. Risk factors for tail lesions in undocked fattening pigs reared on Swiss farms. Schweiz Arch Tierheilkd 162(11):683-695. doi:10.17236/sat00278
  5. Schrøder-Petersen D.L. Simonsen H.B. Tail biting in pigs. Vet J 162(3):196–210. doi: 10.1053/tvjl.2001.0605
  6. Moinard C. Mendi M. Nicol C.J. Green L.E. A case control study of on-farm risk factors for tail biting in pigs. Appl Anim Behav Sci 81(4):333-355. doi:10.1016/S0168-1591(02)00276-9
  7. Taylor N.R. Main D.C.J. Mendl M. Edwards S.A. Tail-biting: a new perspective. Vet J 186(2):137–147 doi: 10.1016/j.tvjl.2009.08.028
  8. Brunberg E.I. Rodenburg T.B. Rydhmer L. Kjaer J.B. Jensen P. Keeling L.J. Omnivores Going Astray: A Review and New Synthesis of Abnormal Behavior in Pigs and Laying Hens. Front Vet Sci 22:3–57.doi: 10.3389/fvets.2016.0005

denisa.dan@lu.ch

 
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