Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 164, Heft 9,
September 2022
 
Thema Themenheft Tollwut | Cahier thématique Rage  
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 30 August 2022  
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Tollwut

Factsheet

Tollwut bei Hunden und Katzen

Vorkommen weltweit

Tollwut ist eine weltweit verbreitete Zoonose und gilt in der Schweiz als auszurottende Seuche (TSV Art. 128–131 und Art. 142–149). Die WHO schätzt, dass jährlich rund 50 000 Menschen an Tollwut sterben, hauptsächlich in Afrika und Asien; ca. 40% der Opfer sind Kinder unter 15 Jahren. Alle Säugetiere gelten als empfänglich. Im östlichen Europa sind immer noch Füchse und – in weit geringerem Mass bezogen auf die Gefährdung von anderen Säugetieren und Menschen – Fledermäuse das wichtigste Reservoir. Beim Menschen gehen weltweit > 90 % der Ansteckungen auf einen Hundebiss zurück. Wildtiervermittelte Tollwutfälle sind beim Menschen relativ selten, noch seltener sind Ansteckungen durch Fledermausbisse in Europa dokumentiert.

Das Virus

Die Tollwut wird durch ein behülltes RNA Virus des Genus Lyssavirus aus der Familie Rhabdoviridae verursacht. Innerhalb des Genus Lyssavirus werden zahlreiche Spezies unterschieden, wobei dem klassischen Rabiesvirus (RABV) weltweit die grösste Bedeutung für die Gesundheit von Mensch und Tier zukommt. Das Virus wird durch Detergenzien (Seife), Alkohol, Iod, Phenole, andere Desinfektionsmittel, sowie UV-Strahlung und Wärme rasch inaktiviert. Es ist nicht umweltbeständig, sodass es zu keinen indirekten Übertragungen kommt. In Kadavern kann das Virus bei tiefen Temperaturen oder in gefrorenen Kadavern längere Zeit überleben.

Aktuelle Situation in Europa

Die Schweiz gilt seit 1999 offiziell als frei von terrestrischer Tollwut. 2003 kam es zu einem importierten Tollwutfall bei einem Hundewelpen mit – gemäss Virussequenz – Herkunft aus Nordafrika. 2017 wurde in einer kranken Fledermaus, welche einen Spaziergänger gebissen hatte, das Virus vom Typ EBLV-1 nachgewiesen; die betroffene Person erhielt eine Postexpositionsprophylaxe (PEP). Auch vorher wurde die Fledermaus-Tollwut in der Schweiz lediglich in drei Fällen nachgewiesen (1992 FR, 1993 GE und 2002 GE; Fledermausvirus vom Typ EBLV-2). In Europa wurden gemäss Rabies Bulletin Europe (WHO) für 2019 total 2939 Tollwutfälle registriert (1648 bei Haustieren, 1244 bei Wildtieren, 41 bei Fledermäusen, 6 beim Menschen). Bei Haustieren traten die meisten Fälle (in absteigender Reihenfolge) in der Ukraine, Türkei, Russland, Moldawien und Georgien auf, ein Fall in Rumänien und ein importierter Fall in Spanien (Ceuta).

Illegal importierte Hunde gelten als ein Risiko für das Auftreten von Tollwut in Zentral- und Westeuropa. 2021 trat in Deutschland ein Tollwutfall bei einem illegal aus der Türkei importierten Kangal auf. Gegen 30 Personen im Umfeld einer Tierarztpraxis mussten einer Postexpositionsprophylaxe unterzogen werden. 2013 trat ein Fall in Frankreich bei einem illegal importierten Katzenwelpen aus Marokko auf, 2015 ebenfalls in Frankreich ein Fall bei einem illegal importierten Hundewelpen aus Algerien, 2020 in Spanien ein Fall bei einem Hund aus Melilla und ebenfalls 2020 ein Fall in Frankreich bei einem Hund aus Marokko.

Übertragung und Inkubationszeit

Die Übertragung der Tollwut geschieht v.a. über den Speichel tollwutinfizierter Tiere, insbesondere über Bissverletzungen, seltener über Kratzverletzungen, oberflächliche Hautverletzungen oder Schleimhautkontakt. Nur sehr selten, zum Beispiel unter speziellen Umständen im Labor, wurden Infektionen bei Menschen durch Inhalation von virushaltigen Aerosolen beschrieben. Nach einer Infektion bleibt das Virus i. d. R. recht lange ohne nennenswerte Vermehrung im lokalen Gewebe. Es führt dabei zu keinerlei immunologischer Wirtsreaktion und ist auch in keiner Weise nachweisbar (Eklipse!). Erst nach Kontakt zu einer neuromuskulären Endplatte gelangt das Virus ins periphere Nervensystem, wo es im retrograden axonalen Fluss ziemlich rasch aktiv in Richtung ZNS transportiert wird (~1cm/h). Erst hier kann es im Perikaryon von Neuronen aktiv repliziert werden und via peripheres Nervensystem unter anderem insbesondere in die Speicheldrüse gelangen, wo es unter Umständen bereits wenige Tage vor Auftreten neurologischer Symptome ausgeschieden werden kann. Der Tod tritt fast immer innert 7 bis 10 Tagen nach dem Auftreten der Symptome ein.

Die Inkubationszeit ist sehr variabel (häufig zwischen mehreren Wochen bis Monaten) und unter anderem abhängig von der Lokalisation der Bissstelle, der Innervation der Eintrittspforte, der Virusvariante und der übertragenen Virusmenge. Bei Haustieren treten die Symptome meist innert 3 bis 12 Wochen nach Infektion auf, nur selten nach über 6 Monaten. Darauf basierend gilt für den Import von Hunden und Katzen aus Tollwut-Risikoländern eine Wartefrist von mindestens 4 Monaten nach Tollwutimpfung (mindestens 1  Monat bis zur Titerbestimmung, bei ausreichendem Titer mindestens 3 Monate Wartefrist bis zur Einreise, s. Prophylaxe). Beim Menschen beträgt die typische Inkubationszeit 1 bis 3 Monate, jedoch sind auch kürzere Inkubationszeiten (4 Tage) und Inkubationszeiten über ein Jahr beschrieben.

Klinische Symptome bei Hunden und Katzen

Eine Tollwutinfektion verläuft nach Ausbruch der Symptome rasch progressiv und fast ausnahmslos tödlich. Grundsätzlich wird eine rasende und eine stille (paralytische) Wut unterschieden, jedoch sind die Symptome variabel, nicht immer charakteristisch und nicht alle Tiere durchlaufen alle klinischen Stadien. In der Prodromalphase, welche 2 bis 3 Tage dauert, treten Verhaltensänderungen wie Nervosität, Scheu oder Anhänglichkeit, teils Fieber und häufig Hyperästhesie oder Juckreiz an der Bissstelle auf. Diese Symptome können auch übersehen werden. In der darauffolgenden akuten Krankheitsphase zeigen die Tiere bei der rasenden Wut u.a. Hyperaktivität, Hyperästhesie, erhöhte Bissbereitschaft, Pica, Desorientierung, Muskeltremor und generalisierte Krämpfe. Die Tiere sterben infolge von Krampfanfällen; teils tritt eine kurze paralytische Phase vor dem Tod ein. Die stille (paralytische) Wut zeichnet sich durch eine aufsteigende lower motor neuron (LMN) Paralyse aus. Die Tiere zeigen Kopfnervenausfälle, die u.a. mit Larynxparalyse, Speicheln und «dropped jaw» einhergehen. Im weiteren Verlauf werden die Tiere komatös und versterben infolge eines Atemstillstandes.

Diagnose

Tollwut gehört immer auf die Differentialdiagnosen-Liste, wenn ein Tier plötzlich ausgeprägte Verhaltensänderungen oder zentralnervöse Symptome (insbesondere eine LMN Paralyse) aufweist. Die Diagnose kann nur post-mortem gestellt werden und basiert auf dem Nachweis des Erregers mittels Immunfluoreszenz im Gehirn. Dafür sollte das ganze Tier (bei Grosstieren nur der Kopf) dreifach verpackt und als «UN 3373, Biologischer Stoff, Kategorie B» per Express Post an die Tollwutzentrale Bern verschickt werden. Informationen dazu unter www.ivi.unibe.ch > Dienstleistungen > Diagnostik > Schweizerische Tollwutzentrale > Antrag für Tollwut-Diagnostik.

Reisen: Prophylaxe bei Hund, Katze und Frettchen

Ein Impfobligatorium für Hunde in der Schweiz besteht nicht mehr. Gesetzliche Vorgaben bestehen für den Grenzübertritt von Hunden, Katzen und Frettchen. Voraussetzungen für die (Wieder-) Einreise aus der EU sind:

  • Kennzeichnung mittels Mikrochip
  • gültige Tollwutimpfung
  • korrekt ausgefüllter, offizieller Heimtierpass

Detaillierte Informationen und die Tollwutrisiko-Länderliste finden Sie hier: www.blv.admin.ch > Tiere > Reisen mit Heimtieren > Hunde, Katzen und Frettchen


Bei der Einreise aus Drittstaaten unterscheiden sich die Bestimmungen je nachdem, ob die Einreise aus einem Land mit geringem Tollwutrisiko oder aus einem Tollwut-Risikoland erfolgt. Bei einer Einreise aus einem Tollwut-Risikoland müssen zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein (ausreichender Tollwuttiter, 3-monatige Wartefristen, Einfuhrbewilligung des BLV, etc.). Sämtliche Einfuhrbedingungen und benötigte Dokumente werden in der Online-Hilfe des BLV «Mit Hund, Katze und Frettchen über die Grenze» aufgelistet: www.blv.admin.ch > Tiere > Reisen mit Heimtieren > Online-Hilfe

Prophylaxe beim Menschen

Präexpositionsprophylaxe: Gemäss Empfehlungen der EKIF wird eine Tollwutimpfung in der Schweiz u. a. allen Tierärztinnen und Tierärzten, Studierenden der Veterinärmedizin, TPA sowie Tierpflegerinnen und Tierpflegern empfohlen (beruflich gefährdete Personen).

Postexpositionsprophylaxe (PEP): Eine Postexpositionsprophylaxe sollte sofort eingeleitet werden, wenn eine mögliche Exposition mit dem Tollwutvirus stattgefunden hat. Sie ist in hohem Grad wirksam, jedoch nur bei Anwendung vor Auftreten von Symptomen und wenn sie korrekt durchgeführt wird. Eine Postexpositionsprophylaxe besteht immer aus einer gründlichen lokalen Reinigung der Wunde mit viel Wasser und Seife, einer Wunddesinfektion und -versorgung und einer aktiven Impfung sowie je nach Situation zusätzlich einer passiven Immunisierung.

Impfempfehlungen für Personal von Tierarztpraxen

Für tiermedizinisches Personal mit direktem Tierkontakt ist nebst den Basisimpfungen (inkl. Tetanusimpfung) auch eine Tollwutimpfung empfohlen. Zur Überprüfung des Schutzes nach präexpositioneller Impfung sollte eine Tollwuttiterbestimmung (erstmals 21 Tage nach der an den Tagen 0 und 7 durchgeführten Grundimmunisierung, ab Jahresbooster ohne weitere Kontrolle dann alle 5 Jahre) durchgeführt werden. Bei beruflicher Impfindikation erfolgt die Kostenübernahme durch den Arbeitgebenden gemäss Arbeitsgesetz (Art. 6 ArG) und Unfallversicherungsgesetz (Artikel 82 UVG), siehe Schweizerischer Impfplan 2021 (Anhang 2 und Tabelle 6.2).

Stand: April 2022

Wichtigste Referenzen

Rabies Bulletin Europe. www.who-rabies-bulletin.org

Jahresberichte der Schweizerischen Tollwutzentrale.
www.ivi.unibe.ch/dienstleistungen/diagnostik/schweizerische_tollwutzentrale/jahresberichte/index_ger.html

Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, Reisen mit Heimtieren.
https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/tiere/reisen-mitheimtieren.html

Bundesamt für Gesundheit, Eidgenössische Kommission fürImpffragen: Richtlinien und Empfehlungen Prä- und postexpositionelle Tollwutprophylaxe beim Menschen. Januar 2021.
https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-ueberblick/tollwut.html

C.M. Brown, et al. Compendium of animal rabies prevention and control, 2016. JAVMA, 248 (5) (2016), pp. 505–517.

Autorinnen und Autoren
PD Dr. med. vet. Barbara Willi Ph.D., dipl. ACVIM und ECVIM-CA, Mitglied der Impfkommision SVK-ASMPA, Vetsuisse-Fakultät, Universität Zürich

Prof. Dr. med. vet. Reto G. Zanoni, Schweizerische Tollwutzentrale, Institut für Virologie und Immunologie IVI, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern

Mitwirkende
Dr. med. vet. Claudia Nett-Mettler, Diplomate ACVD & ECVD, vetderm.ch – Dermatologie und Allergologie für Tiere, Ennetseeklinik, Hünenberg und Schwäntenmos, Zumikon

Dr. med. vet. Andrea Spycher, Fachtierärztin FVH für Kleintiere, Tierarztpraxis Bern-West GmbH, Bern

Dr. med. vet. Stefan Schellenberg, Dipl ACVIM (SAIM), Tierklinik Aarau West

 
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