Nachruf

Zum Tod von Prof. Hans Jürg Schatzmann

Kurz nach Vollendung seines 97. Lebensjahres verstarb am 2. Oktober 2021 Hans Jürg Schatzmann, weiland Ordinarius für Pharmakologie an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Bern (heute Vetsuisse-Fakultät). Hans Jürg Schatzmann kam am 3. September 1924 als Sohn eines Arztes in Bern zur Welt. Mit Ausnahme eines zweijährigen Forschungsaufenthaltes (1956–1958) in den USA, blieb er der Stadt Bern während seiner gesamten Ausbildung und seiner beruflichen Laufbahn treu. Nach seinem humanmedizinischen Studium und einer klinischen Dissertation wurde er 1951 Assistent von Walter Wilbrandt am pharmakologischen Institut der Universität. Wilbrandt war einer der Pio­niere einer quantitativen Analyse von Membrantransportprozessen, dessen Arbeits- und Denkweise Schatzmann sehr beeindruckten. Nach dem Aufenthalt in Amerika kehrte er deshalb 1958 an das Berner Pharmakologische Institut zurück. 1964 habilitierte er sich für Pharma­kologie. Schon ein Jahr später wurde er als Professor für Pharmakologie an die Veterinärmedizinische Fakultät gewählt. Gleichzeitig konnte dort erstmals ein Institut für Pharmakologie etabliert werden. Er blieb Direktor dieses Instituts bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1989. Als Wissenschaftler hat sich Schatzmann einen bedeutenden internationalen Ruf vor allem durch zwei wichtige Entdeckungen erworben, die beide aktive Transportsysteme der Zellmembran betrafen und die er vor allem am Modell der Erythrozytenmembranen untersucht hat.

Bereits als junger Assistent von Wilbrandt beobachtete er 1953 die hochspezifische Hemmwirkung von Digitalisglycosiden auf die «Na+-Pumpe», also den ATP-abhängigen transmembranären Transport von K+- und Na+-Ionen. 13 Jahre später, 1966, charakterisierte Schatzmann als Erster den aktiven, ATP-abhängigen Transport von Ca2+ Ionen durch die Zellmembran in den Extrazellulärraum. Beide Befunde bestätigten sich an vielen anderen Körperzellen. Sie wurden zum Ausgangspunkt zahlreicher weiterführender kinetischer, biochemischer und molekularbiologischer Untersuchungen zur Struktur und Funktion der Transport­proteine und zur Regulation der intrazellulären Elek­trolytkonzentrationen. Daran waren, neben Schatzmann und seinen Mitarbeitern, viele Forschungsgruppen im In- und Ausland beteiligt und haben so unser Verständnis dieser lebenswichtigen Membrantransportsysteme (den «Ionenpumpen») geprägt.

Erregbare Zellen besitzen neben der Ca2+-Pumpe ein zusätzliches Transportprotein, das erlaubt, den einwärts gerichteten elektrochemischen Gradienten von Na+ als treibende Kraft für den Auswärtstransport von Ca2+ (also entgegen seinem Gradienten) zu nutzen. Die Entdeckung dieses transmembranären Na+/Ca2+-Austauschs am Myocard erlaubte es später, den positiv inotropen Effekt von Digitalisglycosiden auf die von Schatzmann beobachtete Hemmung der Na+-Pumpe und den dadurch ausgelösten Anstieg des intrazellulären Na+ zurückzuführen. Durch die Aktivität des Na+/Ca2+ Austauschproteins resultiert in der Folge ein Anstieg des zellulären Ca2+ und damit eine erhöhte Kontraktilität des Myokards.

Seine wissenschaftlichen Leistungen wurden besonders durch die Verleihung der Ehrendoktorwürden der Universitäten Ulm und Wien gewürdigt.

Schatzmann nahm aber auch die Aufgaben als Veterinärpharmakologe in Lehre und Forschung sehr ernst. Seine Vorlesung war beliebt und führte dazu, dass regelmässig interessierte und motivierte Doktoranden erfolgreich im kleinen Team des Instituts mitarbeiteten. Daraus resultierten u.a. wichtige pharmakokinetische Untersuchungen an Nutztieren und Pferden zu einer Zeit, als solche Studien noch Seltenheitswert besassen und Dosierungsfehler auf Grund fehlender pharma­kokinetischer Informationen nicht selten waren.

Ausserhalb der eigentlichen Forschung spielte er auch im Rahmen der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel als Gründungsmitglied und langjähriger Präsident der Fachkommission für Tierarzneimittel eine wichtige Rolle.   

Schatzmann war auch privat eine eigenwillige, originelle und vielseitig interessierte Persönlichkeit. Unverheiratet geblieben, lebte er allein ohne Fernsehen und ohne Internetzugang, aber mit einer grossen Bibliothek in dem noch von seinem Grossvater im Chalet-Stil erbauten Haus samt Garten. Viele Jahre spielte er Cello in einem Streichquartett mit drei Kollegen aus anderen Instituten. Trotz zunehmender körperlicher Gebrechlichkeit blieb ihm bis zuletzt ein bewunderungswürdig klarer Geist, ein scharfer Verstand und die Lust an Diskussionen über Wissenschaftsfragen erhalten.

Seine Verwandten, Freunde und wissenschaftlichen Kollegen verlieren in Hans Jürg Schatzmann eine eindrucksvolle Persönlichkeit, einen liebenswürdigen, humorvollen Freund und einen hochgeschätzten Forscher und Lehrer.

H. Porzig und G. Scholtysik