Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 159, Heft 8,
August 2017
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 03 August 2017  
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«Verschiedene Meinungen von Experten zu kombinieren, wird in der Forschung zunehmend wichtiger»

Die Pathologin Nadine Stokar unterstützt Forschende in der Biomedizin.

Sie bezeichnen sich als «Comparative Pathologist». Was bedeutet das genau?
Ich arbeite am Institut für Tierpathologie der Universität Bern für die Serviceplattform Compath. Die Plattform richtet sich an Forschende, sei es an der Universität oder in der Industrie, die Hilfe bei der Interpretation ihres Tiermodells benötigen. Wir vermitteln die richtige Ansprechperson oder das Labor, das die gefragte Methode anbieten kann. Dabei handelt es sich um eine Schnittstelle der Institute für Human- und Tierpathologie. Wir nennen unseren Dienst «Comparative Pathology », kurz Compath, weil wir die Pathologie verschiedener Spezies, sprich Mensch und Tier, miteinander vergleichen.

Wie sieht Ihre Aufgabe bei Compath konkret aus?
Wir evaluieren, ob ein Tiermodell geeignet ist, eine bestimmte Erkrankung beim Menschen darzustellen. Die Evaluation muss so ganzheitlich sein, dass die Forschen den abschätzen können, wie aussagekräftig die Resultate sind. Eine Maus hat als Vegetarierin eine andere Verdauung als der Mensch. Auf gewisse Infektionen ist sie nicht sensibel, der Mensch hingegen sehr. Solche Aspekte müssen wir berücksichtigen. Die Forschenden sind hier auf die Expertise eines Veterinärmediziners angewiesen. Ich muss aber auch die menschlichen Krankheiten kennen. Wir haben regelmässig gemeinsame Weiterbildungsseminare mit den Humanpathologen, wo wir zum Beispiel die Histologie bei Schilddrüsenkrebs von Mensch und Tier vergleichen. Bei Compath können wir wenn nötig für die Humankrankheiten den jeweiligen Experten aus der Humanpathologie beiziehen.

Wer nutzt die Dienstleistungen von Compath?
Alle Forschungsgruppen, die wir beraten, forschen mit tierischem oder humanem Gewebe. Sie brauchen unsere Expertise bei Untersuchungen, der Interpretation von Resultaten oder der Planung neuer Projekte.

Welche Informationen erhalten die Forschenden durch die Evaluation der Tiermodelle?
Sie wissen mehr darüber, wie eine Krankheit entsteht und was auf zellulärer Ebene im Körper geschieht. Die Informationen aus dieser präklinischen Forschung dienen als Grundlage für die klinische Forschung beim Menschen, zum Beispiel für die Entwicklung neuer Therapiemethoden oder neuer Kombinationen von Medikamenten.

Welches sind die wichtigsten Krankheiten, die mit Tiermodellen dargestellt werden können?
Dazu gehören viele Humankrankheiten, aber auch Krankheiten beim Tier: Krebs, metabolische Erkrankungen, Neurofunktionen, Verhaltensfunktionen, psychische Erkrankungen, infektiöse Erkrankungen. Auch Modelle für Zoonosen sind möglich, wo die Tiere ihre eigene Rolle im Kreislauf einer Infektion haben.

Wieso erwies sich eine solche Plattform als notwendig?
Verschiedene Meinungen von Experten zu kombinieren, wird in der Forschung zunehmend wichtiger. Beurteilt eine Person mit einem anderen interdisziplinären Hintergrund ein Forschungsprojekt, erhöht dies die Qualität der Forschung. Wenn die Tiermodelle durch Experten evaluiert werden, können Tierversuche im Sinne des 3R-Prinzips reduziert werden.

Sie sind auch an der EPFL Lausanne tätig, welche Partner von Compath ist. Welche Aufgaben haben Sie dort?
In Lausanne arbeite ich an drei Tagen pro Woche als Pathologin für Labortiere für alle Forschungsgruppen vor Ort. Ich kombiniere die Morphologie, wo es darum geht, eine Erkrankung in den Organen zu lokalisieren, mit molekularbiologischen Methoden, wo Proteine oder DNA nachgewiesen werden. Häufig bin ich kurzfristig gefragt, wenn beispielsweise Tiere mitten in einem Versuch erkranken. Ich untersuche, ob die Ursache beim Versuch liegt oder ob der Krankheitsausbruch tierspezifisch ist. Ich bilde die Forschenden im Umgang mit solchen Situationen aus. Zudem berate ich PhDs und Post-Docs bei der Planung ihrer Projekte.

Selber sind Sie aber nicht direkt als Forscherin tätig?
Bei den Projekten von Compath geben wir zwar wissenschaftlichen Input und sind daher als Co-Autoren in Publikationen aufgeführt, aber wir sind nicht diejenigen, welche das Gesamtprojekt leiten. Wir machen selber auch keine Tierversuche. Wir beraten bei pathologischen Fragen und sind zudem Spezialisten für Untersuchungen mit Gewebe.

Wie gehen Sie damit um, dass Sie sich als Pathologin mit toten Tieren beschäftigen?
Ich sehe die Pathologie als zentralen Bestandteil der Tiermedizin am lebenden Tier. Bei der Biopsie-Diagnostik analysieren wir Gewebestücke lebender Tiere, um entsprechende Therapien einleiten zu können. Indem wir einzelne tote Tiere untersuchen, erkennen wir Krankheiten und können die übrigen Tiere im Bestand behandeln. Ausserdem leisten Resultate aus der Grundlagenforschung einen wichtigen Beitrag, um Behandlungen bei Tieren oder Menschen zu verbessern oder neue Therapien zu entwickeln. Viele Resultate tragen dazu bei, ein Stück weiterzukommen, auch wenn sie auf den ersten Blick negativ erscheinen.

Was fasziniert Sie an der Pathologie?
Ursprünglich wollte ich Grosstierärztin werden. Mich störte jedoch, dass ich die Tiere nur von aussen sah, ohne eigentlich zu wissen, was bei einer Krankheit im Tier vor sich geht. Die Faszination der Pathologie ist, den Krankheiten auf den Grund zu gehen. Manchmal gleicht dies einer Detektivarbeit und ist wenig repetitiv. Ich lerne jeden Tag Neues dazu, das macht die Pathologie zu einem attraktiven Berufsfeld.

Nadine Stokar in ihrem Büro am Institut für Tierpathologie in Bern. Im Rahmen von Compath berät sie wissenschaftliche Projekte, welche Erkrankungen bei Mensch und Tier untersuchen.

Zur Person

Nadine Stokar-Regenscheit hat in Zürich Veterinärmedizin studiert. Anschliessend verfasste sie eine Dissertation am Institut für Veterinärpathologie in Zürich und wechselte dann an die Universität Bern für ein Residency- Spezialisierungsprogramm in Anatomischer Veterinär- Pathologie. 2015 absolvierte sie die Prüfungen für den Fachtierarzttitel (FVH) in Veterinärpathologie und den europäischen Spezialistentitel (ECVP). Heute ist die 31-jährige als Oberassistentin am Institut für Tierpathologie an der Universität Bern angestellt.

Schweizerische Vereinigung für Tierpathologie wird 30 Jahre alt

Die Schweizerische Vereinigung für Tierpathologie (SVTP) feiert 2018 ihr 30-jähriges Bestehen. Das Schweizer Archiv für Tierheilkunde (SAT) will anlässlich dieses Jubiläums aufzeigen, welche unterschiedlichen Berufswege die Tierpathologie bietet. In einer losen Interviewreihe berichten Pathologinnen und Pathologen aus verschiedensten Bereichen über ihren Beruf. Das Interview mit Nadine Stokar macht den Auftakt. Mitte 2018 erscheint zudem eine Sonderausgabe des SAT zum Jubiläum.

Am 15./16. Juni 2018 findet ein Jubiläumsanlass der SVTP zum Thema «Pathologie im Wandel der Zeit» statt – Reservieren Sie sich das Datum bereits jetzt!

Interview: Annik Steiner, Verantwortliche Medien und Kommunikation auf der Geschäftsstelle GST.

 
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