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Kamelmilch statt Kuhmilch: unsere Projekte zur Ernährungssicherheit in den Trockenzonen Kenias
Woraus besteht die Arbeit von Tierärzten? Im Impfen und medikamentösen Behandeln von Tieren? Nicht nur! Die täglichen Aufgaben eines Veterinärs umfassen noch viel, viel mehr. In unserem Projektland Kenia zum Beispiel, wo wir die Integration von Kamelen in Nutztierherden vorantreiben. Damit unterstützen wir die Bevölkerung beim Aufbau von beständigen Nahrungsquellen, Einkommen und sozialem Status.
Weites, wüstenartiges Land. Nirgendwo wächst Gras. Vereinzelt stehen Bäume. Eine Gruppe von Kindern spielt mit einem ausgebeulten Plastikkanister Fussball. Wir befinden uns mitten in Isiolo, einem der trockenen Gebiete Kenias. Mit einer Grösse von 580.367 km² ist Kenia mehr als 14 Mal so gross wie die Schweiz. 45 Millionen Einwohner, die über 40 verschiedene Sprachen sprechen, leben in dem Land am Horn von Afrika. Viele von ihnen gehören Bevölkerungsgruppen an, deren Lebensgrundlage in der Nutztierhaltung besteht.
Dürreperioden machen die Rinderhaltung fast unmöglich
Vor einem Steinhäuschen in Modagashe treffen wir Mohamed Abakula Kanchoro. Er arbeitet seit seinem Studienabschluss an der Egerton University in Nairobi als Tiergesundheitsassistent. Jahrelang zog er von Dorf zu Dorf und kümmerte sich um die Rinderherden der Bevölkerung. Schon nach kurzer Zeit musste er feststellen, dass trotz aller Bemühungen, die Tiere gesund zu halten, die Rinder keine ausreichende Lebensgrundlage für die Menschen mehr darstellen. Isaack Ngeera, einer der Begünstigten unserer Kamelprojekte, bestätigt dies: «Die Rinder weiden immer nur am Boden. Wenn es zu heiss wird und das Gras vertrocknet, finden unsere Tiere keine Nahrung mehr. Dann haben auch wir nichts zu essen, keine Milch zu trinken und überhaupt kein Einkommen, da wir keine Tierprodukte verkaufen können!»
Die Umwelt hat sich nämlich infolge der Erderwärmung verändert und in Isiolo wachsen heute nicht mehr dieselben Pflanzen wie vor 30 Jahren. Derzeit kommt es in der Region zu häufigen Dürreperioden, während denen viele der Gräser und Büsche, die den Rindern als Nahrung dienen, nicht mehr wachsen. Die Folge dieser vom Klimawandel verursachten Veränderung der Vegetation war eine merkliche Verkleinerung der Herden der nutztierhaltenden Bevölkerung. Die Kühe bekamen keine Jungtiere mehr und konnten nur mehr wenig Milch geben. Die Menschen, allen voran Kinder, begannen unter Abmagerungserscheinungen, Wachstumsstörungen und Nährstoffmangel zu leiden.
Deshalb wollte auch der Tiergesundheitsassistent Mohamed an unserem Projekt ICMP teilnehmen. Er besuchte Weiterbildungskurse und lernte Kamele zu melken, die Milch hygienisch weiterzuverarbeiten, typische Kamelerkrankungen zu erkennen, die Tiere mit passenden Medikamenten und Impfungen zu versorgen sowie die Bevölkerung in Kamelhaltung und -pflege zu beraten. Trotz seiner anfänglichen Skepsis der Kamelhaltung gegenüber ist Mohamed inzwischen von den widerstandsfähigen Tieren überzeugt. «Inzwischen versuche ich alle Menschen dazu zu bewegen, ihre Rinderherden zu verkleinern und stattdessen Kamele zu halten. Sie können in trockenen und halbtrockenen Gebieten einfach besser überleben», erklärt er und zeigt auf eines der majestätischen Tiere, das den Hals durchstreckt, um die Blätter ganz oben im Baum zu erreichen. Und die Baumwipfel sind selbst in den trockenen Gebieten Kenias grün.
Aber nicht nur ihre Überlebensfähigkeit während Dürreperioden spricht für Kamele. Ihre Milch stellt ausserdem eine erstklassige Proteinquelle für die Bevölkerung dar. Ein Kamel gibt zwischen 5 und 10 Liter Milch am Tag und kann damit eine ganze Familie mit Nährstoffen versorgen. Der Überschuss wird von den Frauen zu Milchprodukten verarbeitet und anschliessend verkauft. Dadurch kann jener der Teil der Bevölkerung, der keine Tiere hält, mit hochwertiger Nahrung versorgt werden.
Neue Perspektiven für die Frauen
Ausserdem gibt es einen weiteren wichtigen Effekt, den die Kamelhaltung auf die Lebensqualität der Bevölkerung hat: sie stärkt die Frauen. Den bunt gekleideten Mädchen und Frauen, die am Rand des Weidegebiets stehen und den Kamelen zusehen, ist die Veränderung auf den ersten Blick anzumerken. Sie unterhalten sich angeregt und lachen laut. Jede von ihnen sieht gesund aus. Sie alle gehören zu einer der vielen Frauengruppen, die im Zuge unseres Projekts gegründet wurden. Diese Gruppen sind für die Verarbeitung und den Vertrieb von Kamelmilchprodukten zuständig. «Seit ich mein Kamel von Vétérinaires Sans Frontières Suisse bekommen habe, hat meine Familie endlich eine beständige Nahrungsquelle. Es bleibt immer etwas übrig, das ich dann verkaufen kann», berichtet Anab Kassim und deutet dabei auf ihr Nutztier. Der Verkauf findet entweder an kleinen Milchverkaufsständen, auf dem Marktplatz von Isiolo Stadt oder durch eine der regionalen Milchkooperativen, die für Weiterverteilung sorgen, statt. Eine der Frauengruppen transportiert ihre Milch sogar auf den Markt in Nairobi. Diese Verankerung in der Milchwertschöpfungskette hat dafür gesorgt, dass die Frauen inzwischen einen viel höheren Status in ihren Gemeinden haben als zu Beginn unseres Kamelprojekts.
Das erfolgreiche Kamel-Projekt wird fortgesetzt
Da das Projekt ICMP, dessen dritte Phase 2015 endete, einen so überaus positiven Einfluss auf das Leben vieler Menschen in Kenia hatte, arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von VSF-Suisse im Rahmen von Projekt UPICAM seit Januar 2016 auf dem Gebiet der Kamelhaltung weiter. Im ersten Halbjahr wurden bereits 100 Familien junge, gesunde, fruchtbare Kamele übergeben. 405 Männer und Frauen wurden in Kamelhaltung und Milchhygiene geschult. Die Menschen können weiterhin ihren auf Nutztierhaltung basierenden Lebensstil, den ihre Vorfahren über Jahrhunderte pflegten, beibehalten. Ihre Ernährung besteht weiterhin hauptsächlich aus Fleisch und Milchprodukten. Sie müssen keine vollkommen neue und fremde Lebensweise annehmen, um zu überleben.
Dafür sorgt neben den VSF-Suisse-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern auch Tiergesundheitsassistent Mohamed, der auch in Zukunft unterwegs sein wird, um den Menschen die Vorteile der Kamelhaltung näherzubringen und die Tiere im Krankheitsfall zu behandeln.
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Text: Kerstin Köffel, VSF-Suisse
Fotos: Tom Martin, martinandmartin.eu