Antibiotikaresistenz

Selektives Trockenstellen

Michèle Bodmer, Dr. med. vet. dip. ECBHM, Wiederkäuerklinik, Bereich Bestandesmedizin, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern

Im Zuge der Antibiotikareduktion bei Nutztieren, wurde beim Milchvieh insbesondere der Einsatz von antibiotikahaltigen Präparaten zum Trockenstellen kritisch diskutiert. Der Einsatz solcher Präparate hat grundsätzlich zwei verschiedene Ziele: einerseits sollen bestehende Infektionen zur Abheilung gebracht werden, andererseits auch Neuinfektionen während der Galtzeit verhindert werden.

Das generelle Trockenstellen wurde weltweit als wichtige Massnahme zur Kontrolle von Mastitiden empfohlen und ist auch seit den späten 1960iger Jahren Bestandteil des vielzitierten 5-Punkte-Planes (Neave et al., 1969). Die Einstellung zum Antibiotikaeinsatz, insbesondere zur vorbeugenden Anwendung, hat sich in den letzten Jahren stark verändert. In den Niederlanden wurde deshalb 2013 der prophylaktische Einsatz von antibiotischen Trockenstellpräparaten verboten und die selektive Applikation für die Behandlung bestehender Infektionen propagiert. Auch in Norwegen wird seit Mitte der 1990er-Jahre im Rahmen eines staatlichen Mastitis-Kontrollprogrammes auf selektives Trockenstellen gesetzt.

Eine Untersuchung von 100 Schweizer Betrieben mit erhöhten Tankzellzahlen ergab, dass nur gerade 69% der Betriebsleiter alle Kühe mit antibiotischem Euterschutz trockenstellten (Kretzschmar et al., 2013). Dies bedeutet, dass in der Schweiz bereits eine gewisse Tradition zum selektiven Trockenstellen herrscht. Wichtig ist, nun klare, evidenz-basierte Kriterien für das selektive Trockenstellen festzulegen.

Unzählige Studien haben sich mit den verschiedenen Aspekten der Trockenstellbehandlungen auseinandergesetzt und auch bestimmte Entscheidungskriterien für die Anwendung von antibiotischem Euterschutz identifiziert.

Erfahrungen und Forschungsergebnisse aus anderen Ländern

Als Parameter für die Entscheidungshilfe werden von verschiedenen Autoren die monatlichen Zellzahlmessungen, die Mastitisvorgeschichte der Kuh und die Ergebnisse einer bakteriologischen Untersuchung angegeben. Ein zusätzlicher wichtiger Faktor ist die Berücksichtigung der aktuellen Resistenzlage bei verschiedenen Keimgruppen im jeweiligen Betrieb, damit auch der Wirkstoff gezielt ausgewählt werden kann. In einer Metaanalyse worin 24 Studien zusammengefasst wurden konnte gezeigt werden, dass ein selektives Trockenstellen mit Antibiotika dem generellen Einsatz von antibiotischem Trockenstellpräparaten in Bezug auf die Verhinderung von Neuinfektionen absolut ebenbürtig ist (Halasa et al., 2009).

Eine lange Laktation und eine verlängerte Trockenstehzeit von mehr als 2 Monaten konnten in einer französischen Studie als relevante Risikofaktoren für Neuinfektionen während der Trockenstehzeit identifiziert werden (Robert et al., 2008). Beide Risikofaktoren lassen sich mit gutem Fruchtbarkeitsmanagement minimieren.

Die Resultate einer norwegischen Studie (Østerås et al., 1999), welche die Elimination von «major» Mastitiserregern (S. aureus, S. dysgalactiae, S. uberis, E. coli) über die Trockenstehzeit untersuchte zeigten, dass im Falle einer Infektion mit einem major Mastitiskeim beim Trockenstellen und beim Vorliegen eines hohes geometrischen Mittels der letzten 3 Zellzahlmessungen der Therapieerfolg einer Behandlung sehr gering war. Im Rahmen des Norwegischen Mastitiskontrollprogrammes werden solche Tiere zur Ausmerzung empfohlen. Im Falle einer Infektion mit Koagulase-negativen Staphylokokken oder anderen «minor»- Mastitiserregern konnte auch bei Tieren ohne Behandlung kein erhöhtes Risiko einer Neuinfektion mit «major»-Mastitiskeimen zu Beginn der neuen Laktation festgestellt werden. Zusammenfassend sollte laut Østerås et al. (1999) für die Therapieentscheidung vor allem das geometrische Mittel der letzten 3 Zellzahlmessungen in Betracht gezogen werden, da dieser Faktor den grössten Effekt auf das Ergebnis hatte. Eine bakteriologische Milchanalyse vor dem Trockenstellen verbesserte die Voraussagekraft für einen Therapieerfolg erheblich.

In Kanada wurde vor kurzem eine Studie durchgeführt, welche den selektiven Einsatz von antibiotischen Trockenstellpräparaten basierend auf erhöhten Zellzahlen und auf Ergebnissen aus dem Schnellkulturverfahren mittels Petrifilm mit generellem Antibiotikaeinsatz beim Trockenstellen verglich. Zusätzlich wurde noch der Effekt der Verwendung von internem Zitzenversiegler auf Neuinfektionen untersucht. Die Ergebnisse bestätigen die Ergebnisse aus der Metaanalyse von Halasa et al. (2009) und bestätigten zusätzlich auch die Schutzwirkung von internem Zitzenversieglern.

Wahl des Zellzahlgrenzwertes

Nun stellt sich natürlich die Frage, welche Grenzwerte für die Zellzahlen herangezogen werden sollten, um möglichst viele infizierte Tiere einer Behandlung zuzuführen ohne zu viele nicht-infizierte Tiere zu behandeln und damit unnötig Antibiotika zu brauchen. Dazu wurden in den Niederlanden verschiedene mögliche Zellzahlgrenzwerte in Bezug auf Eutergesundheit, Antibiotikaverbrauch und Wirtschaftlichkeit evaluiert (Scherpenzeel et al., 2016). Darauf basieren unter anderem auch die niederländischen Empfehlungen für das selektive Trockenstellen (https://www.kwaliteitdiergeneeskunde. nl/kwaliteit/richtlijnen/antimicrobielemiddelen- bij-het-droogzetten-van-melkkoeien): Primipare mit >150 000 Zellen/ml und Multipare mit >50 000 Zellen/ml sollen für einen Behandlungsentscheid weiteren Untersuchungen (bakteriologischen Analyse) unterzogen werden und anschliessend nach den betriebsspezifischen Standardbehandlungen behandelt werden. Das Zellzahllimit für Erstlaktierende erscheint im Vergleich zum Zellzahllimit bei älteren Kühen hoch. Dies erklärt sich aber daraus, dass junge Kühe insgesamt eine günstigere Eutergesundheit aufweisen und trotz erhöhtem Grenzwert der überwiegende Anteil von infizierten Tieren identifiziert und behandelt wird.

Bei älteren Kühen ist die Streuung wesentlich grösser und auch das Risiko z. B. mit einem S. aureus von dem bekannt ist, dass er nicht immer eine Zellzahlerhöhung hervorruft, infiziert zu sein (Studer et al., 2008). Um möglichst wenige infizierte Tiere zu verpassen, wurde deshalb das Interventionslimit bei Kühen auf einem relativ tiefen Niveau angesetzt.

Was tun bei Herdenproblemen?

Gerade wenn ein Herdenproblem mit einem kontagiösen Keim wie S. aureus (GTB, vereinzelt auch andere Genotypen) besteht, spielt der Infektionsdruck in der Gesamtherde ebenfalls eine wichtige Rolle (Voelk et al., 2014) und sollte unbedingt in eine Therapieentscheidung mit einbezogen werden. Dies bedeutet, dass der systematische Einsatz von antibiotischem Trockensteller während der Sanierungsphase im Sinne einer Verminderung des Infektionsdruckes Sinn macht.

Bei Herdenproblemen mit S. uberis, der generell zu den Umwelt-assoziierten Keimen gezählt wird, muss der Einsatz von antibiotischen Trockenstellern gut abgewogen werden, wie aus der oben genannten norwegischen Studie abgeleitet werden kann (Østerås et al., 1999). Bei chronischen Infektionen kann möglicherweise von einem Einsatz von antibiotischem Trockensteller abgesehen werden, da die Kuh nach dem Abkalben für eine Ausmerzung vorzusehen ist. Begleitende Massnahmen, um eine Infektion mit S. uberis in der Anfangs- und Endphase der Galtzeit zu verhindern sind unabdingbar. So muss die Haltung der Galtkühe bezüglich Einstreuhygiene und Feuchtigkeit optimiert werden, denn bekanntermassen finden die meisten Neuinfektionen mit S. uberis in der Galtphase statt (Bradley und Green, 2000).

Neuinfektionen können erfolgreich ohne Antibiotika mit internem Zitzenversiegler (Berry und Hillerton, 2002) verhindert werden, dabei ist auf eine korrekte Anwendung bei der Applikation und eine maximale Milchleistung zum Trockenstellen von 15 kg zu achten. Damit wird der Druck auf den Strichkanalverschluss nicht zu gross und ein Milchtropfen kann trotz Versiegler verhindert werden.

Antibiotikaeinsatz bei sogenannten «minor»-Mastitiserregern

Ob sich der Einsatz von Antibiotika im Falle einer bestehenden Infektion mit «minor»- Mastitiserregern rechtfertigen lässt, wird momentan kontrovers diskutiert. Eine neue niederländische Studie kommt zum Schluss, dass der Gesamtantibiotikaverbrauch beim Einsatz von Trockenstellpräparaten im Falle von Kühen mit tiefen Zellzahlen und Nachweis von «minor»-Mastitiserregern (v. a. Koagulase-negative Staphylokokken) deutlich höher ist, als wenn die leicht vermehrt auftretenden klinischen Mastitiden anfangs der neuen Laktation behandelt werden. Im Gegensatz dazu empfehlen die Kanadier nach wie vor den Einsatz von antibiotischen Präparaten zum Trockenstellen von Kühen mit Koagulase-negativen Staphylokokken-Infektionen.

Welches Vorgehen v. a. auch mit den Anforderungen an die Qualität der Schweizer Rohmilchproduzenten vereinbar ist, muss in Zukunft sicherlich noch diskutiert werden.

Berücksichtigung der Resistenzsituation

Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist der Einsatz eines wirksamen Präparates. Dies gilt insbesondere für den Einsatz zur Behandlung von Koagulase-negativen Staphylokokken, die zu fast 40% Penizillinresistenzen aufweisen und wovon 47% gegen alle Betalactame resistent sind (Frey et al., 2013). Sehr oft trifft man auch auf Stämme, die gleichzeitig eine Penicillin und Oxazillinresistenz aufweisen. Die Resistenzlage bezüglich Aminoglycosiden (Gentamicin und Kanamycin) und Ampicillin und Amoxicillin scheint aber nach wie vor günstig. Eine regelmässige Überprüfung der Resistenzsituation in den Milchviehbetrieben mit vermehrtem Auftreten von Koagulase-negativen Staphylokokken ist daher angezeigt.

Rund 16% der S. aureus Isolate wurden von Overesch et al. (2013) als Penicillin-resistent eingestuft und die Autoren entdeckten nur wenige Resistenzen gegen andere Wirkstoffe wie Aminoglycoside und Makrolide. Allerdings wurde auch in obengenannter Studie ein multiresistenter S. aureus Stamm gefunden (livestock associated MRSA). Um eine weitere Selektion dieser Stämme zu verhindern, soll vor einer S. aureus Behandlung ein Antibiogramm erstellt werden. Die Resistenzlage von S. uberis ist momentan nach wie vor relativ entspannt, so zeigen nur 5% der Stämme eine verminderte Empfindlichkeit gegen Penicillin (Overesch et al., 2013). Aufgrund dessen gilt Penicillin nach wie vor als Wirkstoff der Wahl und soll auch beim Trockenstellen berücksichtigt werden. Allerdings kann dieser Keim eine deutliche Therapieresistenz aufweisen und scheint im Euter insbesondere in chronischen Fällen schwer mit Antibiotika erreichbar zu sein.

Im Sinne einer Antibiotikareduktion kann folgendes Vorgehen beim Trockenstellen von Milchkühen vorgeschlagen werden (Abbildung 1):

Die Selektion für eine Antibiotikatherapie zum Trockenstellen erfolgt aufgrund der letzten 3 Zellzahlmessungen (Schalmtest-Resultate müssen für die Nicht- Zuchtverbandsbetriebe herangezogen werden), der Mastitisvorgeschichte und eines Milchprobenresultates.

Die Ausmerzung chronisch infizierter Tiere nach der nächsten Abkalbung ist einer wiederholten Behandlung vorzuziehen und bei Herdenproblemen sind keimindividuelle und betriebsindividuelle Verbesserungsstrategien in Management und Haltung einzuhalten. Die Niederländer konnten zeigen, dass 85% Intramammarika gespart werden konnten, wenn nicht alle Kühe routinemässig mit antibiotischem Euterschutz trockengestellt wurden. Dies obwohl es bei Vierteln, die ohne Antibiotika trockengestellt wurden, zu vermehrtem Auftreten (OR 1.7) von klinischen Mastitiden gekommen ist (Scherpenezeel et al., 2016).

Literaturverzeichnis

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Internetreferenzen

https://www.kwaliteitdiergeneeskunde.nl/kwaliteit/richtlijnen/antimicrobiele-middelen-bij-het-droogzettenvan-melkkoeien

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Abbildung 1: Vorgehen zum selektiven Trockenstellen, ABC: Antibiotika, TR: Trockenstellen, ZZ: individuelle Zellzahl, tTZZ: theoretische Tankzellzahl