Vet-Info
«PPR verursacht jedes Jahr weltweit Schäden von zwei Milliarden Dollar»
2015 hat die internationale Gemeinschaft entschieden, PPR auszurotten. Doch nun kommt es auch in Europa wieder zu Ausbrüchen der hochansteckenden und tödlichen Tierseuche.
«Eine Seuche, die viele nur aus dem Lehrbuch kennen, ist plötzlich nicht weit weg von uns»: Das sagt Barbara Wieland zu den Ausbrüchen der Pest der kleinen Wiederkäuer, besser bekannt als Peste des petits ruminants (PPR), seit letztem Sommer in Griechenland, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Albanien. Die Leiterin des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) in Mittelhäusern bei Bern ist besorgt. «In Ungarn sind Tiere sehr nahe an der Grenze zu Österreich erkrankt.» PPR ist wieder in Europa – und nähert sich der Schweiz. Lange galt Europa als frei von der hochansteckenden und tödlichen Krankheit.
«PPR war in meinem Studium eine Tierseuche, um die man sich nicht gross gekümmert hat», sagt Barbara Wieland. «Sie war weit weg und kam hier nicht vor.» Selber hat sie die Krankheit kennengelernt, als sie in Ländern arbeitete, die stark von PPR betroffen waren. Sie arbeitete für die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in der Mongolei an Projekten zur Tiergesundheit, bevor sie die Rolle der leitenden Wissenschaftlerin am International Livestock Research Institute in Äthiopien übernahm. Vor allem in Ostafrika erlebte Barbara Wieland, wie das Virus ganze Herden dahinraffte und damit den Menschen auf dem Land die Lebensgrundlage entzog.
2015 entschieden sich die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen und die Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH) für eine Eradikationskampagne: PPR sollte – als zweite Viruserkrankung bei Tieren nach der Rinderpest 2011 – ausgerottet werden. «PPR verursacht jedes Jahr weltweit Schäden in der Höhe von zwei Milliarden Dollar», sagt Barbara Wieland. «Mit einer Investition von drei bis vier Milliarden über 15 Jahre hinweg kann die Krankheit ausgerottet werden – das lohnt sich.» Studien gehen davon aus, dass für jeden investierten Dollar mindestens 10 bis 35 Dollars zurückfliessen.
Wird ein Tier mit dem Lebendimpfstoff geimpft, ist es lebenslang gegen PPR geschützt. «Daher ist es möglich, die Krankheit auszurotten», so Wieland. Dazu brauche es aber eine Zusammenarbeit unter den Ländern – damit überall geimpft wird und so auch Tiere, die mit Nomaden durch mehrere Länder streifen, das Virus nicht wieder einschleppen. Die Kampagne läuft und ist in vielen Ländern erfolgreich – doch haben Krisen und Konflikte die Impfaktion in anderen Ländern ins Stocken gebracht.
Auch bei Vétérinaires Sans Frontières Suisse (VSF-Suisse) ist die Pest der kleinen Wiederkäuer ein wichtiges Thema. In Togo, Kenia, Somalia und Äthiopien arbeitet VSF-Suisse in Projekten, die darauf abzielen, den Zugang zu Impfstoffen für Nutztierhaltende zu verbessern, sogenannte Community Animal Health Workers (CAHW) auszubilden und PPR-Impfkampagnen zu koordinieren. Wichtig ist dabei, dass auf bestehende Strukturen in den Veterinärdiensten aufgebaut wird und diese nachhaltig gestärkt werden. Zudem berücksichtigt VSF-Suisse besonders Frauen und stärkt ihre Rolle. Denn oftmals sind es Frauen, die für die Haltung und das Wohlergehen der Kleinwiederkäuer verantwortlich sind, aber wenig Anerkennung dafür erhalten.
«Würde PPR ausgerottet, wäre dies auch ein grosser Schritt für die Entwicklungszusammenarbeit», sagt Barbara Wieland. «Das wäre ein Beitrag zu mehreren Nachhaltigkeitszielen der Agenda 30.» Sie denkt dabei an die Ziele keine Armut, kein Hunger, Geschlechtergleichheit, menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum sowie Leben an Land. «Kleine Wiederkäuer werden vor allem von Frauen, oftmals alleinstehenden, gehalten – darum hätte das Ausrotten von PPR einen positiven Einfluss auf die Chancen auf ein adäquates Einkommen von Frauen.»
Gerade die Tatsache, dass vor allem Frauen kleine Wiederkäuer halten, sei aber auch ein Problem bei der Umsetzung der Ausrottungskampagne. Denn für Frauen sei der Zugang zu Veterinärdienstleistungen und zu Ausbildungen zu Tiergesundheitsthemen oft erschwert. Eine weitere Schwierigkeit bei der Umsetzung sei, dass in vielen betroffenen Ländern die Veterinärdienste unterfinanziert seien. «Neben wirkungsvollen Impfstoffen braucht es gut funktionierende Veterinärdienste, um eine Tierseuche ausrotten zu können.» Werde der Veterinärdienst gestärkt, wirke sich dies zudem auch auf die Bekämpfung anderer Tierseuchen positiv aus. Aber es brauche global den politischen Willen, die Ausrottung voranzutreiben.
Das IVI
«Die globale Gesellschaft hat sich zur Ausrottung entschieden – und nun tritt PPR auch in Europa wieder auf», sagt Barbara Wieland nachdenklich. Das IVI ist das nationale Referenzlabor. Die Diagnostikabteilung ist im Austausch mit Laboren weltweit, um über das Virus auf dem neusten Stand zu sein. In Zusammenarbeit mit dem PPR-Referenzlabor der WOAH am CIRAD im französischen Montpellier und dem Institut für Tierpathologie der Universität Bern erforscht die Immunologieabteilung des IVI Virulenzunterschiede, die sowohl vom Virusstamm also auch von der Spezies beziehungsweise der Rasse abhängen. Diese Arbeit hat aufgezeigt, dass Virulenz mit Unterschieden im Zelltropismus für Epithelzellen, Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen und dendritische Zellen in Zusammenhang steht. Dies wiederum steuert die Stärke der Entzündung sowie der Depletion von Lymphozyten in dem sekundären lymphatischen Gewebe und damit die Fähigkeit des Immunsystems, das Virus abzuwehren. Diese unterschiedliche klinische Ausprägung ist für die Bekämpfung der Seuche von Bedeutung.
Viele andere Viren
PPR ist nur eine von hochansteckenden Krankheiten, die sich in Europa aktuell ausbreiten: Die Maul- und Klauenseuche ist in Deutschland, Ungarn und der Slowakei aufgetreten, die Afrikanische Schweinepest zirkuliert seit mehreren Jahren, die Schaf- und Ziegenpocken und die Lumpy-Skin-Disease (LSD) setzen sich zunehmend fest, und immer noch da ist die Vogelgrippe. «Es ist besorgniserregend, dass gleichzeitig so viele Bedrohungen auftreten», sagt Barbara Wieland.
Warum genau die Krankheiten sich verbreiten, weiss niemand genau. Vermutet wird, dass die zunehmende Vernetzung viel dazu beiträgt. Via Tiertransporte und wohl auch über den Menschen – beispielsweise beim illegalen Import von Fleisch von kranken Tieren – wird die Krankheit verschleppt.
Die Peste des petits ruminants
Fieber, Fressunlust, Nasen- und Augenausfluss oder Entzündungen der Maulschleimhaut: Das sind die ersten Symptome der Pest der kleinen Wiederkäuer, genannt Peste des petits ruminants (PPR). «Die klinischen Symptome zeigen sich sehr rasch und in der ganzen Herde», sagt Barbara Wieland, Leiterin des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI). «Sie sind jedoch sehr unspezifisch.» Es folgt massiver, wässeriger und manchmal auch blutiger Durchfall, mit dem Resultat einer schwerwiegenden, meist tödlichen Dehydrierung. PPR ist eine hochansteckende virale Krankheit; die Mortalitätsrate beträgt bei Schafen und Ziegen bis zu 90 Prozent. Für den Menschen besteht keine Ansteckungsgefahr. Der Erreger, ein Virus der Gattung Morbillivirus, wird vor allem über engen direkten Tierkontakt oder indirekt über Ausscheidungen befallener Tiere übertragen. PPR ist in der Türkei endemisch und kommt vor allem in den meisten Ländern Afrikas, des Nahen Ostens und den Ländern von Zentral- bis Südostasien vor. Impfungen sind in der EU und in der Schweiz verboten.