Verbandsnachrichten
«Manchmal hat das Amt einfach eine andere Rolle als der Berufsverband»
Bis Ende August ist Hans Wyss noch Direktor des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Der Tierarzt schaut im Interview zurück auf seine Zeit als Journalist, als junger Tierarzt und als Amtsdirektor.
Seit 2003 waren Sie Direktor des Bundesamts für Veterinärwesen (BVET), das 2014 zum Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) wurde. Nun werden Sie Ende August pensioniert. Welche Ereignisse waren in diesen 22 Jahren am prägendsten?
Hans Wyss: Zu Beginn meiner Zeit als BVET-Direktor war BSE noch sehr präsent. Zudem war die Fusion des BVET mit der Abteilung Lebensmittelsicherheit des Bundesamtes für Gesundheit zum BLV prägend. Und seit drei Jahren sind wir nun auch für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständig. 22 Jahre in derselben Stelle tönt zwar nach einer langen Zeit, aber für mich waren es drei Etappen.
Wie hat sich die Arbeit im BLV in den letzten 22 Jahren verändert?
Die Politik hat in dieser Zeit unsere Themen immer mehr entdeckt. Unsere Themen polarisieren. Im Tierschutz geht es um Nützen und Schützen. Ebenso bei den Pflanzenschutzmitteln: Hier geht es um die Frage, wie man die Gesundheit und den Gewässerschutz gewährleisten kann. Bei der Ernährung stellt sich die Frage nach der Rolle des Staates. Weil sehr viele Themen kontrovers betrachtet werden, ist die Anzahl der politischen Vorstösse stark gestiegen.
Schauen wir zurück auf Ihre ersten Berufsjahre. Bevor Sie in einer Landtierpraxis arbeiteten, waren Sie Sportjournalist. Wie kamen Sie zum Journalismus?
Während des Studiums habe ich als freier Journalist für die Berner Zeitung gearbeitet. Nach dem Studium wollte ich das vollberuflich machen – damit ich mich nicht mit 40 Jahren fragen muss, wie ein Leben als Journalist gewesen wäre. Ich arbeitete für Radio DRS, und das war ein super Entscheid.
Sie kehrten dennoch zurück zur Arbeit als Tierarzt. Wieso?
Ich hatte mich beim Radio für drei Jahre verpflichtet, und gegen Ende dieser Zeit fragte mich ein Kollege, ob ich nicht als Partner bei ihm in der Praxis einsteigen möchte. So kam ich mit 30 Jahren zurück in den Beruf.
1993 wurden Sie stellvertretender Kantonstierarzt des Kantons Bern. Warum verliessen Sie die Tierarztpraxis?
Mich interessieren sehr viele Themen. Nach eineinhalb Jahren in der Praxis merkte ich, dass ich in einem breiteren Aufgabengebiet tätig sein möchte.
Das Aufgabengebiet als BLV-Direktor ist tatsächlich extrem breit.
Ja, meine Arbeit ist sehr spannend und vielseitig. Mir wird es nie langweilig.
Und wird es Ihnen nie zu viel?
Ich habe das riesige Glück, dass mich Verantwortung nicht belastet. Ich mache, was ich kann, und das muss reichen. Ich habe nie unter Druck gelitten. Ich bin aber auch kein Perfektionist.
Aus der Bauernschaft kam Anfang Jahr viel Kritik, weil die Lebensmittelpyramide geändert wurde. Der Schweizer Bauer schrieb von einer «Diskriminierung von Rind- und Schweinefleisch auf den Schweizer Tellern» und forderte Sie auf, die Ernährungsempfehlungen schleunigst anzupassen. Wie gehen Sie mit solcher Kritik um?
Dass unsere Arbeit kritisiert wird, ist normal. Es kommt immer darauf an, ob ich die Kritik nachvollziehen kann. Als Fachamt orientieren wir uns an den jeweiligen wissenschaftlichen Kenntnissen. Fleisch ist in der Pyramide übrigens immer noch abgebildet, dies in Form einer Pouletbrust. Auch Milchprodukte sind nach wie vor sehr prominent dargestellt. Und Milch- und Rindfleischproduktion sind ja eng miteinander verbunden. Aber ich kann verstehen, wenn Interessengruppen die Pyramide gerne anders darstellen möchten.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit der amtlichen Seite mit den praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzten?
2005 haben wir eine fundierte Ausbildung für amtliche Tierärztinnen und Tierärzte gestartet. Das kam aus meiner eigenen Erfahrung, denn ich hatte keine spezielle Ausbildung, als ich als praktizierender Tierarzt im Kanton Bern sogenannter Kreistierarzt war, also auch eine amtliche Funktion hatte. Heute ist das professionalisiert, und das Niveau der amtlichen Tätigkeit ist wirklich gut. Bei vielen Themen, aber vor allem bei Tierseuchen sind die praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzte an vorderster Front. Die gute Zusammenarbeit mit ihnen ist äusserst wichtig.
Ist die Beziehung zwischen amtlichen und praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzten gut?
Vielleicht nicht in der hintersten Ecke der Schweiz, aber grundsätzlich ist sie gut. Das heisst nicht, dass sie reibungslos ist. Wie in jeder Beziehung gibt es manchmal unterschiedliche Optiken.
Wie hat sich die Zusammenarbeit des BLV mit der GST in den letzten 22 Jahren verändert?
Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit der GST, aber manchmal hat das Amt einfach eine andere Rolle als der Berufsverband. So hat die GST wiederholt die immer strengeren Regeln für die Praktikerinnen und Praktiker kritisiert. Das kann ich verstehen. Wir haben aber auch einiges gemeinsam erreicht, beispielsweise bei den Antibiotika: Wir haben deren Einsatz massiv reduziert. Wir haben dort viel mehr erreicht als in der Humanmedizin.
Was möchten Sie der GST mitgeben?
Dass es wichtig ist, die gemeinsamen Interessen zu sehen und die persönlichen Anliegen zurückzustellen. Die Sektionen sollten realisieren, dass es ein grosser Gewinn ist, als Ganzes gut zu funktionieren. Die Minderheiten miteinzubeziehen, macht die Schweiz aus.
Was sind derzeit aus Sicht des BLV die grössten Herausforderungen für die Schweiz?
Im Veterinärbereich ist es die weltweite Tierseuchenproblematik. Hier ist die Gefahr für uns relativ gross. Wir sind zunehmend mit Krankheiten, gerade auch vektorübertragenen, konfrontiert. Bei der Ernährung wissen wir, dass diese zusammen mit der Bewegung einen starken Einfluss auf die nicht-übertragbaren Krankheiten hat. Wir essen beispielsweise einfach zu viel Zucker. Und auf dem politischen Weg wird das Volk über unsere Stellung in Europa entscheiden müssen. Wir importieren den grössten Teil unserer Lebensmittel aus der EU und wir exportieren die meisten Lebensmittel dorthin. Wäre es da nicht sinnvoll, per Vertrag dabei zu sein und mitzureden? Die EU ist für uns in Sachen Lebensmittel extrem wichtig, daher sollte dieser Bereich möglichst gut geregelt sein. Das ist keine politische Aussage, sondern eine fachliche Beurteilung.
Ende August gehen Sie in Pension. Sie sind Präsident der Vétérinaires Sans Frontières Suisse (VSF-Suisse) und neu Verwaltungsratspräsident der Identitas AG. Sie lehnen sich nach der Pensionierung also nicht zurück?
Doch, das Pensum wird viel kleiner sein als heute. Ich freue mich auf mein Engagement bei VSF-Suisse. Hier in der Schweiz sind wir in der Tiergesundheit auf einem Topniveau, und ich möchte helfen, anderswo das Niveau zu verbessern. Es ist fantastisch zu sehen, welchen positiven Einfluss VSF-Suisse in den ärmsten Ländern Afrikas hat.
Worauf freuen Sie sich, wenn Sie das BLV verlassen?
Etwas mehr Zeit zu haben und pflegen zu können, was bisher zu kurz kam. Beispielsweise meine Pferde. Ich reite regelmässig, aber ich freue mich, mehr Zeit dafür zu haben. Und ich möchte neue Sachen entdecken. Ich freue mich darauf, Zeit zum Lesen und Reisen zu haben.
Was wird Ihnen fehlen?
Der Kontakt zu den Leuten hier im BLV. Es ist ein grosses Privileg, jeden Tag interessanten Menschen zu begegnen und mit ihnen nach Lösungen zu suchen.
Welche Pläne haben Sie?
Ich habe mein Leben lang nichts geplant, auch jetzt nicht.
Seit 35 Jahren Mitglied der GST
Hans Wyss hat von 1979 bis 1984 in Bern Tiermedizin studiert. Von 1987 bis 1990 arbeitete er als Sportjournalist beim damaligen Radio DRS, danach von 1991 bis 1992 als Partner in einer Landtierarztpraxis. 1993 wurde er stellvertretender Kantonstierarzt des Kantons Bern und wechselte 1999 als Verantwortlicher für Kommunikation ins Bundesamt für Veterinärwesen. Von 2003 bis 2013 war er dessen Direktor; seit 2014 steht der 65-Jährige dem neuen Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen vor. In dieser Rolle ist er auch Beisitzer im GST-Vorstand. Hans Wyss ist seit 1990 Mitglied der GST.
Auf Hans Wyss folgt Laurent Monnerat
Ab dem 1. August leitet der Veterinärmediziner Laurent Monnerat das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Er tritt die Nachfolge von Hans Wyss an. Laurent Monnerat ist derzeit Kantonstierarzt und Chef der Dienststelle für Verbraucherschutz und Veterinärwesen des Kantons Jura. Der 53-Jährige hat ein eidgenössisches Diplom in Veterinärmedizin der Universität Bern und ein Lizentiat in Wirtschaft und Betriebswirtschaft der Universität St.Gallen. Seinen Doktortitel in Veterinärmedizin erlangte er auf dem Gebiet der Bakteriengenetik.