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Die Folgen von Anthropomorphismus für Tiere
Wenn der Mensch Tieren Züge, Verhaltensweisen und Emotionen zuschreibt, kann dies für die Tiere problematisch sein. Denn so können speziesspezifische Bedürfnisse unterschätzt, vernachlässigt oder völlig missachtet werden.
In einem Band aus der Reihe «Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens» aus den 1920er-Jahren kritisiert ein Autor, dass Hunde Ausgehanzüge passend zum Outfit der Besitzerin tragen, und dass für die Paarung – genannt «Hochzeit» – sogar Hochzeitskleidung angeboten wird. Aktuell gab es letztes Jahr im deutschen Karlsruhe extra einen Weihnachtsmarkt für Hunde. Einige Leute färben das Fell ihrer Haustiere. Es gibt Filme, besonders Zeichentrickfilme, in denen Tiere oder Gegenstände sprechen und sich wie Menschen verhalten; sogar Naturereignisse, Stofftiere, Autos und andere Objekte erhalten in diesen Filmen Namen. Auch Computeranimationen, Roboter, Planeten oder Gestirne haben menschliche Züge. Weitere Beispiele finden man in der Werbung: da tanzen und singen Gemüse mit Gesichtern, um Kindern den Verzehr von Broccoli und Karotten schmackhaft zu machen. Umgekehrt spricht man auch von Hasenfuss oder Adlerauge, um Menschen zu beschreiben.
Werden menschliche Züge, Verhaltensweisen, Emotionen oder Persönlichkeiten Tieren oder Objekten zugeschrieben, nennt man dies Vermenschlichung oder Anthropomorphismus.
Warum tun wir das? Es scheint, dass wir dadurch eine gewisse Vertrautheit suchen, auch unsere Furcht verringern. Weiterhin spiegelt sich die menschliche Neigung wider, Kameradschaft und Vertrautheit überall zu suchen, selbst bei nichtlebenden Dingen. Man kann es auch als Versuch interpretieren, in der Welt einen Sinn zu sehen. Insgesamt scheinen wir Menschen also davon zu profitieren.
Was heisst das für die Tiere?
Aber was hat es für Folgen, wenn Tiere davon betroffen sind – wenn ihnen menschliche Emotionen, Denkweisen und Vorstellungen unterstellt werden?
Wenn wir davon ausgehen, dass Tiere Emotionen auf die gleiche Weise empfinden wie Menschen, sich verhalten wie Menschen und denken wie Menschen, dann kann dies dazu führen, dass wir viele Verhaltensweisen falsch interpretieren, und dass wir Tieren Motivationen und Gedanken unterstellen, die nicht vorhanden sind. Neue Studien zeigen zwar, dass viele Tiere, besonders Hunde, zu ähnlichen Emotionen und Auffassungen, selbst Denkweisen fähig sind wie Menschen. Aber es gibt noch viele Lücken; und man kann diese Ergebnisse nicht einfach für alle Tiere übernehmen.
Infolge könnten speziesspezifische Bedürfnisse unterschätzt, vernachlässigt oder völlig missachtet werden. Auch können Tiere dadurch einfach überfordert werden, wenn wir sie bestimmten Erwartungen unterwerfen, die sie nicht erfüllen können. Dies kann nicht nur das physische, sondern auch das psychische Wohlbefinden der Tiere infrage stellen.
Ein bei Hunden häufiges Beispiel ist, dass der Hund langsam schwanzwedelnd und geduckt daherkommt. Er signalisiert damit, dass er die negative Emotion des Menschen wahrnimmt und ihn milde stimmen will. Oft interpretieren Hundehalterinnen und Hundehalter dies jedoch so, als ob der Hund wisse, dass er etwas falsch gemacht hat. Das könnte zu mehr Bestrafung führen, da der Hund ja offensichtlich weiss, was verboten ist, es aber trotzdem tut. Oder es kommt bei den Tierbesitzenden zur Frustration über den sturen oder unartigen Hund, was wiederum die Beziehung zwischen Mensch und Tier negativ beeinflussen kann.
Oder: Ein Papagei, der den ganzen Tag ruhig in seinem Käfig sitzt, wird für glücklich gehalten, obwohl er sich im Zustand der erlernten Hilflosigkeit befindet: alles, was er versucht hat, um seine speziesspezifischen Bedürfnisse hinsichtlich Sozialkontakt und Beschäftigung zu erfüllen, war erfolglos. Noch ein Beispiel: Ein Kaninchen, das sich ruhig verhält, wenn man es in eine bestimmte Haltung bringt und sogar bei Schmerzen passiv und regungslos in dieser Haltung verharrt, empfindet also keine Schmerzen? Diese Fehleinschätzung hatte früher dazu geführt, dass Kaninchen ohne Narkose kastriert wurden.
Die Würde des Tiers
Auf dem Markt werden Parfums für Hunde angeboten. Da darf man sich jedoch fragen, inwieweit ein Tier, dessen Information über die Umgebung zum grossen Teil über den Geruchssinn erfolgt, von einer solchen Geruchswahrnehmung irritiert oder gestört und negativ beeinflusst wird.
Aber wie ist es nun, wenn man Tiere mit menschlicher Kleidung zeigt, ihr Fell anfärbt und die Nägel farblich lackiert? Dabei entstehen ja keine direkten negativen Folgen für das Tier. Doch während der Mensch selber entscheidet, ob er sich die Haare färbt, lächerliche Outfits trägt oder die Nägel lackiert, können das Katzen, denen Schleifchen angesteckt werden, und Affen, denen Kleider angezogen werden, nicht. Hier muss man sich dessen bewusst sein, dass auch ein Tier seine Würde hat; diese ist in der Schweizer Tierschutzgesetzgebung ausdrücklich geschützt.
Zusammenfassend sollten wir also versuchen, Tiere so zu verstehen und zu akzeptieren, wie sie sind. Wir sollten entsprechende Studien fördern, die uns seriöse Auskunft über physische und psychische Bedürfnisse von Tieren geben und diese dann soweit wie möglich respektieren.