Vet-Info
Eine gute Kommunikation macht alle zufriedener
Die kanadische Tierärztin Cindy Adams hat den Ehrendoktortitel der Universität Bern erhalten. Die frühere Sozialarbeiterin hat sich auf die Kommunikation im tierärztlichen Alltag spezialisiert.
«Wir müssen menschlicher sein im Umgang mit unserer Kundschaft»: Das sagt Cindy Adams. Die kanadische Tierärztin hat selber erlebt, wie wichtig dies sein kann. Sie brachte vor Jahren den verletzten Hund ihrer Tochter auf eine Notfallstation. Sie fürchtete um das Leben des Tiers und weinte. «Es kommt gut», sagte eine Angestellte und legte ihre Hand auf ihren Arm. «Noch heute erinnere ich mich an diese Hand auf meinem Arm.»
Doch nicht nur empathischer sollten die Tierärztinnen und Tierärzte mit ihrer Kundschaft sein. Cindy Adams plädiert für eine Kommunikation, die auf der Beziehung zwischen Tierärztin oder Tierarzt und der Kundschaft basiert. «Wir müssen weg von einer Tierarzt-zentrierten Kommunikation», sagte die frühere Sozialarbeiterin im Dezember am Teaching Brunch der Vetsuisse-Fakultät in Bern. Cindy Adams ist Professorin am Department of Veterinary Clinical and Diagnostic Sciences an der Universität Calgary, wo sie das Clinical Communication Program entwickelt und implementiert hat. Sie hat den internationalen Kommunikationskongress der Veterinärmedizin ICCVM gegründet und ist Ko-Autorin des Buchs «Skills for Communicating in Veterinary Medicine».
In Bern weilte sie, weil die Universität Bern ihr den Ehrendoktortitel verlieh. Die Vetsuisse-Fakultät Bern nutzte die Gelegenheit und führte Workshops mit der bekannten Kommunikationsspezialistin durch. Am Teaching Brunch entzauberte sie mehrere Mythen. «Kommunikation ist keine optionale Zusatzfähigkeit – sie ist eine klinische Kernkompetenz», sagte sie beispielsweise. Und sie betonte auch, dass die Kommunikationsfähigkeit nicht einfach angeboren sei. «Kommunizieren ist lernbar.» Auch die Idee, dass Erfahrung alleine ausreicht, um gut mit der Kundschaft umzugehen, widerlegte Cindy Adams: «Erfahrung alleine reicht nicht aus, um zwischen guten und schlechten Kommunikationsgewohnheiten unterscheiden zu können.»
Die Professorin untermauert ihre Aussagen mit ihren Forschungsresultaten. Sie hat in zahlreichen Studien untersucht, wie sich die Kommunikation auf das Verhältnis zwischen Tierärzteschaft und Tierhaltenden auswirkt. Dabei fand sie heraus, dass eine beziehungsorientierte Gesprächsführung nicht nur in Kleintierpraxen entscheidend sei, sondern auch bei der Behandlung von Grosstieren. «Ideal ist es, wenn beide Seiten rund die Hälfte des Gesprächs bestreiten; meist ist es aber so, dass die Tierärztin oder der Tierarzt während 85 Prozent der Zeit spricht.» Ihre Botschaft ist klar: Wer die Kommunikationslücke schliesst, verbessert die Behandlung – und stärkt das Vertrauen zwischen Mensch und Tiermedizin.
Der Calgary-Cambridge-Guide
Cindy Adams empfiehlt Tierärztinnen und Tierärzten, dem Calgary-Cambridge-Guide zu folgen: Diese Methode zur Strukturierung von Gesprächen wurde für die Humanmedizin entwickelt und von ihr für die Tiermedizin adaptiert. Wichtig dabei ist, den Tierhaltenden Raum zu lassen, sie nicht zu unterbrechen, ihnen zuzuhören. «Dabei geht es nicht darum, minutenlang Smalltalk zu führen, sondern anders zu kommunizieren.» Wie die Forschung zeigt, dauert ein solches Gespräch nicht länger als die bisher praktizierten Konsultationen. «Es bringt aber mehr wertvolle Informationen, und die Tierhaltenden fühlen sich ernst genommen.»
«Je besser wir kommunizieren, umso eher wenden Tierhaltende die vorgeschlagenen Therapien auch an», sagte Cindy Adams und verwies auf Studien dazu. Denn nur wer auf die Tierhaltenden eingehe und erfahre, wie deren Alltag aussehe, könne eine Therapie vorschlagen, die auch umsetzbar sei: Ist die Person den Tag über zu Hause oder weg bei der Arbeit? Kann sie dem Tier fünf Mal im Tag ein Medikament verabreichen oder nicht? Wie sieht die finanzielle Lage der Tierhaltenden aus? «Wir müssen über Geld sprechen», sagte Adams. Dabei gehe es aber nicht ausschliesslich um die Kosten. «Wir sollten klar darlegen, welche Behandlungen welche Ergebnisse bringen und welche Optionen es gibt – so können die Tierhaltenden informierte Entscheidungen treffen.»
Gemeinsam diskutieren
Wenn Tierhaltende und die Tierärzteschaft gemeinsam nach Lösungen für eine Therapie suchen, werden die Tierhaltenden diese eher anwenden – und damit wird das Tier gesünder sein, was die Tierhaltenden zufrieden stellt. Sie werden wiederkommen, und damit sind auch die Tierärztin und der Tierarzt zufrieden. Darum verspricht Cindy Adams: «Gute Kommunikation bringt weniger Kundenbeschwerden und den Tierärztinnen und Tierärzten mehr Befriedigung im Berufsalltag.»
Studierende lernen zu kommunizieren
Wie spreche ich mit besorgten Tierhaltenden? Wie führe ich schwierige Gespräche? An der Vetsuisse-Fakultät Bern lernen die Studierenden während ihren fünf Studienjahren unter anderem auch, wie sie gut mit der Kundschaft kommunizieren. So organisiert die Fakultät in jedem Studienjahr Workshops, in denen Schauspielerinnen und Schauspieler die Rolle der Tierhaltenden übernehmen. «Diese Praxisübungen bringen den Studierenden viel mehr, als wenn wir ihnen nur die Theorie vermitteln», sagt Simone Forterre, die bei der Vetsuisse-Fakultät Bern unter anderem für die Studienplanung zuständig ist. Sie hat die Kommunikationstrainings zuerst als fakultativen Wahlkurs eingeführt, unterdessen ist der Kurs Pflicht im Curriculum. «Es ist heute auch dank Cindy Adams eine wissenschaftliche Evidenz, dass Kommunikation nötig und lernbar ist.»
Dabei folgt auch die Vetsuisse-Fakultät Bern dem Calgary-Cambridge-Guide (siehe Haupttext). Wichtig ist, zu Beginn des Gesprächs gemeinsam die Ziele der Konsultation festzulegen. Bei der folgenden Anamnese helfen Eingangsfragen, die sehr offen gestellt werden, so dass die Tierhaltenden ihre gesamte Sicht erzählen. Die Tierärztin oder der Tierarzt sollte die Tierhaltenden nicht unterbrechen, sondern erst am Schluss Rückfragen stellen und eine Zusammenfassung des Gesagten machen. Diese wird beispielsweise eingeleitet mit «Wenn ich Sie richtig verstanden habe». Während der Untersuchung ist es für eine beziehungszentrierte Konsultation von Vorteil, wenn die Tierärztin oder der Tierarzt erzählt, was sie oder er gerade macht. Wenn es dann um weiterführende Untersuchungen, Befunde oder Therapien geht, sollte die Tierärztin oder der Tierarzt dies mit der Kundin oder dem Kunden besprechen: Was ist für sie möglich, was ist gewünscht? «Wenn wir vorab klären, ob eine Kundin der Katze mehrmals pro Tag Augentropfen geben kann oder nicht, spart das Zeit, weil ich nicht Sachen vorschlage, die für die Kundin gar nicht umsetzbar sind», sagt Simone Forterre. Ideal ist es, wenn die Kundin am Ende in eigenen Worten wiederholt, wie sie das Tier pflegen wird.
Im Masterstudiengang absolvieren die angehenden Tierärztinnen und Tierärzte eine klinische Rotation. Forterre ist es ein Anliegen, dass sie dort auf Ausbildende treffen, die dieselbe Kommunikationsweise anwenden – der Weg dahin ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Ihr Zukunftstraum: Workshops für berufserfahrene Tierärztinnen und Tierärzte, um auch sie mit Rollenspielen für bessere Kommunikation zu trainieren. «Das ist noch eine Vision – aber eine, die viel Potenzial hat.»