Fokus
Vor 215 Jahren schlossen die ersten Tierärzte ihre Ausbildung in der Schweiz ab
1805 wurde in Bern die erste «Thierarzneischule» der Schweiz gegründet. Vier Jahre später erhielten die ersten Studenten ihr Diplom.
Tierärzte gibt es, seit es domestizierte Nutztiere gibt. Bis ins 19. Jahrhundert waren es meist Bauern, Hufschmiede, Metzger und Schinder – sie waren für die Beseitigung von Tierkadavern und deren Verwertung zuständig –, die sich neben ihrem Hauptberuf um die Tiermedizin kümmerten. In Europa etablierte sich Tiermedizin als Wissenschaft im 18. Jahrhundert: Die Armeen hatten einen grossen Bedarf an Pferden, gleichzeitig breiteten sich erstmals pandemische Viehseuchen aus. In der Schweiz erlernten angehende Tierärzte ihren Beruf jedoch weiterhin in der Praxis bei gestandenen Tierärzten.
Der Auftakt ins 19. Jahrhundert war eine bewegte Zeit, auch in der Schweiz. Die alte Eidgenossenschaft war untergegangen; die Schweiz war faktisch ein französischer Vasallenstaat. Von 1803 bis 1813, in der Mediationszeit, bildete die Mediationsakte die verfassungsrechtliche Grundlage der Eidgenossenschaft und der Kantone – und war so auch Grundlage für eine neue Ordnung und neue Strukturen. So führten einige Kantone beispielsweise die obligatorische Viehversicherung ein. Denn sie hatten erkannt: Die Landwirtschaft war die wichtigste Einkommensquelle der Bevölkerung.
Der Kanton Bern ging noch einen Schritt weiter: Der Kleine Rat beschloss im Jahr 1805, eine «Thierarzneischule» zu errichten. Diese war der Bernischen Akademie angegliedert, der Vorläuferin der Universität. Um zugelassen zu werden, benötigten die Interessierten ein Fähigkeitszeugnis für die Ausübung des Tierarztberufs. Ortspfarrer und lokale Behörden konnten diese Zeugnisse lediglich aufgrund ihrer eigenen Einschätzung ausstellen; es gab keine spezifischen Zulassungskriterien. Und so kamen vor allem Bauernsöhne zum zweijährigen Studium nach Bern.
Der erste Professor
Erster Professor an der «Thierarzneischule» war Carl Friedrich Emmert. Er unterrichtete ab dem Wintersemester 1806 und hatte nach zwei Jahren bereits 20 Studenten in seinen Vorlesungen. Carl Friedrich Emmert konzentrierte den Unterricht auf Pferde, Rinder und Schafe; manchmal sprach er aber auch über Schweine und Hunde, selten über Katzen. Veterinärmedizin bedeutete damals das exakte Beobachten der Symptome und des Krankheitsverlaufs; schlüssige Erklärungen fehlten meistens.
1807 wurde nordwestlich des Burgerspitals das Tierspital errichtet. Und 1809 legten die ersten drei Studenten die praktische und theoretische Prüfung ab. Abraham Ebersold aus Eschlen, Gabriel Simmen aus Erlach und David Stauffer aus Signau erhielten die Note «vorzüglich» – wie auf dem Foto des Diploms von David Stauffer zu lesen ist.
Samuel Anker, Mathias Anker und Jean Bertmann studierten ebenfalls in den Anfangsjahren der Tierarztschule in Bern; Samuel Anker war der Vater, Mathias der Onkel des Kunstmalers Albert Anker. Die drei verfassten als Studenten Nachschriften der Vorlesungen. Die bernische Ausbildungsanstalt wurde im ganzen Land bekannt; immer mehr kamen auch ausserkantonale Studenten nach Bern, um sich zu Tierärzten ausbilden zu lassen.
Professor Carl Friedrich Emmert wurde 1812 zusätzlich Professor für Chirurgie und Entbindungskunst bei den Humanmedizinern. Um neue Professoren der Tiermedizin auszubilden, schickte die Kuratel der Akademie zwei Studenten ins Ausland, damit sie dort ihr Wissen erweitern konnten: Mathias Anker und Peter Schild verbrachten drei Jahre an den Universitäten in Wien, Berlin und München, bevor sie nach Bern zurückkehrten. Nach einer zweijährigen Probezeit als Lehrer wurden sie definitiv eingestellt, Anker wurde zum Leiter ernannt. «Das Institut stand endlich auf festen Füssen», schreibt dazu Theodor Oskar Rubeli in seiner Schrift zu den ersten 100 Jahren der Tierärztlichen Lehranstalt.
1826 zogen die Klinik und die Ställe der Lehranstalt weg vom Burgerspital, hin zur Engehalde. Immer mehr Tiere wurden im Tierspital behandelt, und auch die Zahl der Studenten stieg stetig. 1906, hundert Jahre nach der Gründung, hatte die veterinärmedizinische Fakultät in Bern 41 Zuhörer.
Im November 1834 wurde die Universität Bern ins Leben gerufen. Mathias Anker stand damit an der Spitze der «thierärztlichen Abtheilung der medizinischen Fakultät».
Auch in Zürich
Angesichts des Erfolgs der tierärztlichen Ausbildung in Bern schuf 1820 auch der Kanton Zürich eine Lehranstalt für Tierärzte. 1813 gründete der Zuger Arzt Franz Karl Stadlin die Gesellschaft Schweizer Thierärzte (GST); 2004 wurde sie umbenannt in Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte. Die GST gibt seit 1816 das Schweizer Archiv für Tierheilkunde (SAT) heraus.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts engagierten sich die Lehranstalten in Bern und Zürich zusammen mit der GST dafür, dass die tierärztliche Ausbildung in der Schweiz vereinheitlicht und mit der Humanmedizin gleichgestellt wurde. 1900 beziehungsweise 1901 wurden die Berner und die Zürcher Tierarzneischule den örtlichen Universitäten angegliedert und waren damit die weltweit ersten universitären Veterinärfakultäten.
David Stauffer hat eines der ersten Veterinär-Diplome der Schweiz erhalten.
Der Text: «Wir Canzler und Curatoren der Bernischen Academie thun kund hiemit: Demnach der hiesige Cantonsangehörige DAVID STAUFFER aus Signau während zwey Jahren unter dem hier öffentlich angestellten Professor Artis Veterinaria der Erlernung der Thierarztneykunde mit Eifer sich beflissen hat, als haben Wir denselben auf heutigem Tag in Unsrer Gegenwart zu einem öffentlichen Examen berufen und durch seine Antworten befunden, dass derselbe seine Lehrjahre wohl angewandt, und durch Talente und Fleiss sehr gute Kenntnisse in dem Theoretischen und Praktischen Theile seiner Kunst und vorzüglich in Hinsicht auf die Pferde, erworben habe. Da nun benannter Herr STAUFFER gesinnet ist, von nun an als Thierarzt zu prakticieren, so haben Wir demselben kraft dieses offenen Briefes das unpartheyische und aufrecht Zeugnis anmit ertheilen wollen, dass er wohl studiert habe, und Wir ihn soweit an Uns für fähig befunden, sich von nun an seinem Berufe als prakticierenden Thierarzt zu widmen. Also gegeben unter Meiner des Canzlers Unterschrift mit Beysetzung des grossen Academischen Siegels. Bern, den 30. November 1809. Namens der Academischen Curatel, der Canzler: Mutach».
Quellen:
- Die Tierärztliche Lehranstalt zu Bern in den ersten hundert Jahren ihres Bestehens, Prof. Dr. Theodor Oskar Rubeli, 1906
- Die Vorlesung von C. F. Emmert über Spezielle Pathologie und Therapie an der Tierarzneischule Bern im Jahr 1811, Inaugural-Dissertation von Sabine Betschart, 2019
- Die Vorlesung von Matthias Anker über Allgemeine Pathologie im Jahr 1820 an der Tierarzneischule Bern, Inaugural-Dissertation von Irene Nussli, 2019
- Historisches Lexikon der Schweiz
- Schweizer Archiv für Thierheilkunde, Dezember 1922