Fokus
Die schweizweite Bekämpfung der Moderhinke beginnt
Es ist ein ambitioniertes Ziel: Innert fünf Jahren soll die Moderhinke von den Schweizer Schafbetrieben verschwinden. Das erfordert ein grosses Engagement der Schafhaltenden, aber auch der Tierärzteschaft.
Schafe, die beim Grasen auf den Vorderläufen knien, weil ihre Klauen sie so sehr schmerzen, dass sie nicht mehr stehen mögen – das soll es künftig in der Schweiz nicht mehr geben. Heute ist die Moderhinke auf mehr als einem Viertel der Schweizer Schafbetriebe verbreitet und sorgt für entzündete und eiternde Klauen. Die Tiere leiden; zudem geben sie weniger Milch und weniger Fleisch, und die Schafhaltenden erleiden wirtschaftliche Einbussen. Der Bund geht davon aus, dass jährlich rund 6,6 Millionen Franken wegen der Moderhinke verloren gehen.
Im Jahr 2014 hat der damalige Bündner Nationalrat Hansjörg Hassler in einer Motion gefordert, dass die bakterielle Erkrankung schweizweit koordiniert bekämpft wird. Der Kanton Graubünden hatte die Moderhinke zuvor bereits erfolgreich bekämpft – doch kam es immer wieder zu Krankheitsausbrüchen, gerade auf Alpen und Gemeinschaftsweiden, wo auch Tiere aus anderen Kantonen gesömmert werden. «Der einzelne Tierhalter kann sich nicht gegen die Krankheit schützen», schrieb Hassler in seiner Motion. «Deshalb sind für die Moderhinke-Krankheit die Kriterien erfüllt, als Tierseuche definiert und entsprechend bekämpft zu werden.» Bundesrat und Parlament stimmten dem zu, und so wurde die Moderhinke in das Tierseuchengesetz und die Tierseuchenverordnung aufgenommen.
Diesen Herbst, zehn Jahre später, startet nun das nationale Bekämpfungsprogramm. Je nach Studie haben 25 bis 40 Prozent der 11 000 Betriebe in der Schweiz mit ihren total 450 000 Schafen eine Moderhinke-Prävalenz. Das Ziel: In fünf Jahren soll die Prävalenz unter ein Prozent sinken.
Oktober bis März wird saniert
Dr. met. vet. Camille Luyet vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) leitet das Projekt der Moderhinke-Sanierung. «In Pilotphasen mit den Urkantonen, dem Wallis, der Waadt sowie den Kantonen Aargau und Solothurn haben wir das Konzept getestet», sagt sie. Oktober bis März ist jeweils die Zeit für das Testen und Sanieren – und hier spielen die Tierärztinnen und Tierärzte eine grosse Rolle. Denn auf jedem Betrieb muss ein Teil der Tiere getupfert werden. Diese Proben entnehmen die Tierärztinnen und Tierärzte oder nicht-tierärztliche Personen, die Erfahrung mit Schafen haben, beispielsweise ausgebildete Moderhinke-Berater. Online-Kurse bereiten die teilnehmenden Tierärztinnen und Tierärzte auf ihre Aufgaben vor.
Die kantonalen Veterinärdienste entschädigen die Tierärztinnen und Tierärzte mit einer Pauschale von 125 bis 200 Franken pro Betrieb; diese Spannweite hat der Bund festgelegt. Jeder kantonale Veterinärdienst legt den Betrag entsprechend den kantonalen Verhältnissen fest. Denn es sind die Veterinärdienste, welche die Sanierung umsetzen. «Eine Harmonisierung der Bezahlung unter den Kantonen war nicht möglich und von den schweizerischen Veterinärdiensten nicht gewünscht», sagt Camille Luyet. «Die Löhne, die Arbeitswege und die Arbeitsgesetze sind in den einzelnen Kantonen zu unterschiedlich.»
Biosicherheit ist wichtig
Die Tupfer kommen ins Labor. Dort zeigt ein PCR-Test, ob Tiere des getesteten Betriebs positiv sind. Wenn ja, beginnt der sechs- bis achtwöchige Sanierungsprozess mit Klauenpflege und Klauenbädern. «Wichtig ist dabei die Biosicherheit», sagt Camille Luyet: Die Schneid-Instrumente werden zwischen den Anwendungen desinfiziert, die Tiere kommen auf eine frische Weide, der Stall muss frisch eingestreut werden. Denn das Bakterium überlebt bis zu 24 Tage im Boden. Zehn Tage nach Ende der Sanierung erfolgt eine neue Tupferung; ist der Test negativ, gilt der Betrieb als Moderhinke-frei – und die Tiere können zur Sömmerung auf die Alp. Betriebe, deren Tiere auf die Alp gehen, werden im Oktober als erste überprüft, damit sie genügend Zeit für die Sanierung haben, bevor die Alpsaison wieder beginnt.
Die Beratung der Schafhaltenden übernimmt der Beratungs- und Gesundheitsdienst für Kleinwiederkäuer (BGK). «Die Tierärztinnen und Tierärzte werden die ersten Ratschläge geben, aber aus Ressourcengründen werden in den meisten Fällen Moderhinke-Berater diese Aufgabe übernehmen», sagt Camille Luyet.
Das Impfverbot
Ab dem 1. Juni dürfen Schafe in der Schweiz nicht mehr gegen Moderhinke geimpft werden. Dies, um zu verhindern, dass geimpfte Tiere ohne Symptome die Krankheit weitergeben und andere Tiere in ihrer Herde anstecken.
Während maximal fünf Jahren werden alle Schafbetriebe im Winterhalbjahr getestet. Sobald die Moderhinke noch in weniger als einem Prozent der Betriebe nachgewiesen wird, geht das Programm von der Bekämpfungs- in die Überwachungsphase über. «Vielleicht benötigen wir dafür ja weniger als fünf Jahre», sagt Camille Luyet, und fügt hinzu: «Unser Moderhinke-Projekt ist europaweit das grösste dieser Art.»
Genügend Desinfektionsmittel
Die Klauen der Schafe werden beim nationalen Bekämpfungsprogramm im Biozid Desintec HoofCare Special D gebadet, und nicht in einer Zink-Kupfer-Lösung, wie dies viele Schafhaltende bisher gemacht haben. «Es wird genügend Mittel zur Verfügung haben, wir haben dies abgeklärt», sagt Camille Luyet. Und auch die Labore hätten versichert, dass sie die Kapazitäten haben, um die PCR-Tests durchzuführen.
Unmut in der Tierärzteschaft
Tierärztinnen und Tierärzte haben sich an die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) gewandt, weil sie keine Ressourcen für die Probeentnahmen im Rahmen der Moderhinken-Sanierung haben. Sie bemängeln auch, dass die Probeentnahmen nicht wirtschaftlich sind.
Dass die Entschädigung der Tierärzteschaft durch die Kantone nicht ausreichend ist, zeigt diese einfache Rechnung: Bei einem Bruttojahreslohn für eine Tierärztin oder einen Tierarzt von 110 000 Franken plus 15 Prozent Sozialversicherungskosten ergibt dies Personalkosten von 63,89 Franken in der Stunde. Üblicherweise betragen die Personalkosten um die 55 Prozent der Gesamtkosten. Dementsprechend kostet eine Tierärztin, ein Tierarzt mit dem genannten Jahreslohn in der Stunde um die 116 Franken. Wird der Zeitaufwand, welcher mit einer Probeentnahme im Zusammenhang steht, für einen Kleinbetrieb mit 10 Schafen von der Terminvereinbarung bis zur Abrechnung berechnet, ergibt dies ungefähr 92 Minuten Arbeitszeit beziehungsweise Kosten von 178 Franken plus rund 2 Franken für die Schutzmaterialen. Dementsprechend hat die Praxis Kosten von 180 Franken pro Betriebsbesuch für einen Kleinbetrieb. Angenommen, der Besuch wird nun mit dem Minimalansatz von 125 Franken entschädigt, macht die Praxis pro Besuch 55 Franken Reinverlust. Bei einem Grossbetrieb und einer Beprobung von 30 Schafen betragen die Kosten bei gleicher Berechnungsgrundlage 296 Franken. Diese Probenentnahme wird mit maximal 200 Franken entschädigt. Es resultiert ein Reinverlust von 96 Franken pro Betrieb. Indirekte Kosten sind in dieser vereinfachten Rechnung nicht enthalten; entsprechend erhöht sich der Reinverlust.
Die GST hatte sich während der Vernehmlassung für eine höhere Entschädigung eingesetzt; dies hat der Bund jedoch nicht aufgenommen. Auch ein Schreiben an das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat zu keiner Anpassung geführt. Die GST empfiehlt den Tierärztinnen und Tierärzten, ihre Ressourcenverfügbarkeit und die Wirtschaftlichkeit einer Probeentnahme individuell und kritisch zu hinterfragen. Nach Einschätzung der GST ist die Tierärzteschaft weder verpflichtet, Mitarbeitende für die Probeentnahmen einzusetzen, noch dafür neue Mitarbeitende einzustellen, Unterauftragnehmer zu beauftragen oder die Proben trotz fehlender Ressourcen oder fehlender Wirtschaftlichkeit zu entnehmen.