Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 166, Heft 6,
Juni 2024
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 28 Mai 2024  
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«Bioinformatik beantwortet biolo­gische Fragen mit Hilfe des Computers»

Nicole Jegerlehner

Die Bioinformatik ist aus der Diagnostik und der Forschung nicht mehr wegzudenken. Auch am Institut für Virologie und Immunologie (IVI) unterstützen acht Bioinformatikerinnen und Bioinformatiker die Laborarbeit.

Michele Wyler beginnt seine Arbeit oft im Stall des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) in Mittelhäusern: «Ich denke nach und zeichne erste Überlegungen in mein Heft.» Mit Blick auf die Tiere entwirft er auf dem Papier Wege, wie er ein Computerprogramm aufbauen will, um Fragen für die Forschung und die Diagnostik zu beantworten. «Wichtig ist, die Idee zu finden, wie ich Aussagen aus Daten herausfiltern kann.»

Der Tessiner ist Bioinformatiker: Er kann immense Datenmengen so aufbereiten, dass die Forschenden daraus neue Erkenntnisse ziehen können. «Dabei bin ich gar nicht technikaffin», sagt Michele Wyler über sich selber. «Ich möchte niemals Software-Entwickler werden – ich bin an der Biologie interessiert.» Er hat denn auch ursprünglich Agrarwissenschaft studiert. «Die Bioinformatik ist eine sehr logische Angelegenheit und reines Handwerk», sagt er. «Sie beantwortet biologische Fragen mit Hilfe des Computers.»

Claudia Bachofen, Abteilungsleiterin Diagnostik und Entwicklung am IVI, ist froh um die Arbeit von Michele Wyler. «Wir sind auf die Bioinformatikerinnen und Bioinformatiker angewiesen, denn wir werten heute oftmals riesige Datenmengen aus.» Wichtig sei aber, dass die Bioinformatiker verstünden, was für eine Studie relevant sei; daher sei es von Vorteil, wenn sie einen naturwissenschaftlichen oder (veterinär-)medizinischen Hintergrund hätten.

Damit die Forschenden die Daten passend erfassen, muss die Bioinformatik bereits bei der Projektplanung einbezogen werden. Michele Wyler ergänzt: «Die Probenauswahl und die Probenaufbereitung im Labor beeinflussen die Auswertbarkeit der Daten durch die Bioinformatik; und der Bioinformatiker muss verstehen, was das Ziel des Projektes ist.»

Davon ist auch Artur Summerfield, Leiter Immunologie am IVI und Professor an der Universität Bern, überzeugt. In der Forschung steht am Anfang meist eine Hypothese als Grundlage für ein experimentelles Design. Der Einbezug der Bioinformatik bereits bei der Planung stellt sicher, dass die generierten Daten eine Überprüfung der Hypothese ermöglichen. Deshalb sagt er: «Der Austausch ist extrem wichtig.» Heute seien eigentlich viele einfache Fragen in der Immunologie geklärt. «Nur sehr komplexe Fragen, wie sie zum Beispiel bei AIDS, Krebs oder der afrikanischen Schweinepest auftreten, sind noch nicht gelöst». In einer Studie am IVI wird zum Beispiel versucht, die schützende Immunantwort gegen das Virus der afrikanischen Schweinepest zu identifizieren, in dem die komplette transkriptionelle Antwort aller Immunzellen auf Einzelzell-Ebene gemessen wird. «Solche Datensätze sind durch das menschliche Gehirn nicht verarbeitbar, wohl aber mit der Bioinformatik», sagt Artur Summerfield. Um einem Impfstoff näher zu kommen, analysiert das IVI solche Datensätze auch mit Methoden der künstlichen Intelligenz beziehungsweise des maschinellen Lernens.  

Früherkennung

Die Diagnostik des IVI verwendet die Bioinformatik bei der Charakterisierung von Tierseuchenerregern und bei der Identifikation von neuen Viren. «Dank neuen, unspezifischen Sequenzierungstechnologien und nachfolgenden bioinformatischen Analysen können neue, potenziell gefährliche Viren erkannt werden», sagt Claudia Bachofen. «Wir bestimmen zum Beispiel im Rahmen einer veterinärmedizinischen Dissertation alle vorhandenen Viren in Proben von Wildvögeln und beurteilen ihr zoonotisches Potenzial.» Ohne Bioinformatik wäre eine rasche Analyse dieser grossen Datenmengen nicht möglich.

Gezielte Suche

Das IVI verwendet die Bioinformatik aber auch, um bekannte Tierseuchen-Erreger zu charakterisieren. «Beispielsweise wollen wir bei der Vogelgrippe möglichst rasch wissen, welcher Genotyp des Virus vorliegt, um Hinweise zu erlangen, von wo und über welchen Weg das Virus in die Schweiz gelangt ist», sagt Claudia Bachofen. Dazu muss das gesamte Genom möglichst schnell vollständig sequenziert und mit internationalen Referenzstämmen vergleichen werden. «Wir vergleichen das genetische Wissen der Welt mit unseren eigenen, vielen Daten – aus dieser Vernetzung entsteht etwas, das Sinn macht», sagt Michele Wyler. «Wir können so beispielsweise nach viralen Mustern suchen und neue Viren erkennen.»

Routine-Unterstützung

Die Bioinformatik unterstützt die Diagnostik auch bei Routine-Aufgaben. Muss beispielsweise überprüft werden, ob ein PCR-Test noch immer alle Stämme eines Virus erkennt, war das zuvor sehr aufwändig. Mit einem speziell dafür generierten Computerprogramm geht das nun sehr rasch und einfach. «Die Bioinformatik kann aufwändige Prozesse automatisieren und nimmt uns Arbeit ab», sagt Claudia Bachofen.

Längst haben Technologien wie Next Generation Sequencing NGS Einzug in die Veterinärmedizin gehalten. Um deren volles Potenzial ausschöpfen zu können und dadurch für künftige Herausforderungen in Forschung und Diagnostik gerüstet zu sein, braucht es – jedenfalls für Michele Wyler – sowohl das Tüfteln am Computer wie auch die Konzeptionierung im Stall.

Bioinformatiker Michele Wyler erklärt Claudia Bachofen die Resultate einer Studie. (© zvg)
 
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