Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 166, Heft 5,
Mai 2024
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 30 April 2024  
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Nachhaltige Viehwirtschaft für eine bessere Zukunft: Die Rolle der Agrarökologie

Zora Hebeisen, VSF-Suisse

Die Agrarökologie kam Anfang des 20. Jahrhunderts als wissenschaftliche Disziplin auf, doch erst seit neuerem hat sie Eingang in den Diskurs internationaler Organisationen gefunden, auch bei VSF-Suisse. Doch was ist das genau?

In vielen Kulturen bestehen bereits seit Jahrhunderten landwirtschaftliche Praktiken, welche man heute wohl als agrarökologisch bezeichnen würde. Als wissenschaftlicher Ansatz ist die Agrarökologie jedoch erst seit knapp 100 Jahren im Diskurs. Erst vor etwa 30 Jahren wurde sie dann institutionalisiert und gewann an Bekanntheit – vor allem seit die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der UNO eine Fürsprecherin ist.

Vielfältige Wissenschaft

Die Agrarökologie ist ein interdisziplinärer Ansatz, welcher ökologische Kenntnisse mit landwirtschaftlichen Praktiken verbindet, um dadurch nachhaltige und widerstandsfähige Lebensmittelsysteme zu entwickeln. Sie untersucht also die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Tieren, Menschen und der Umwelt in der Landwirtschaft und bedient sich dabei verschiedenster wissenschaftlicher Felder wie der Agronomie, der Ökologie, den Umweltwissenschaften, der Soziologie, der Wirtschaft und gar der Geschichte.

Die Agrarökologie hat als ganzheitlicher Ansatz zum Ziel, die weltweite Ernährungssicherheit zu erhöhen und dabei auch zur Bekämpfung des Klimawandels und der Biodiversitätskrise beizutragen. So soll das globale Lebensmittelsystem ökologisch nachhaltiger und sozial gerechter werden. Über die Jahrzehnte entwickelte sich die Disziplin so weiter, dass sie sich nicht mehr nur mit der Technik im Feldbau und in der Tierhaltung an sich, sondern auch mit der sozialen Organisation um das Feld herum auseinandersetzt. Es wird somit auch die Art und Weise berücksichtigt, wie Menschen die Lebensmittel zuerst produzieren, dann prozessieren und transportieren und schliesslich verteilen.

Paradigmenwechsel ist nötig

Seit mehreren Jahrhunderten steigt die globale Lebensmittelproduktion exponentiell. Dennoch leiden weltweit immer mehr Menschen unter Hunger, und die Kluft im Bereich der Ernährungssicherheit zwischen den Ländern des Globalen Nordens und des Südens wächst. Das bedeutet, dass bisherige Landwirtschafts- und Ernährungssysteme nicht in der Lage sind, alle Menschen weltweit zu versorgen. Durch Treibhausgasemissionen und die Verursachung von Biodiversitätsverlust beschleunigen sie zudem die Klima­krise.

Die UNO sieht die Agrarökologie als Instrument zur Erreichung des Entwicklungsziels Nummer 2: «eine Welt ohne Hunger». Indem ökologische Prinzipien mit landwirtschaftlichen Praktiken verbunden werden und der Wandel in Richtung tragfähiger Strukturen innerhalb von Ernährungssystemen unterstützt wird, sollen die Agrarökosysteme einen besseren Output erzielen, ohne einen Nachteil für das Klima oder die Menschen drumherum mit sich zu bringen.

Für agrarökologische Lösungen

Vétérinaires Sans Frontières Suisse (VSF-Suisse) hat sich in ihrer Strategie das übergeordnete Ziel gesetzt, die Ernährungssicherheit in ihren Einsatzgebieten in Ost- und Westafrika zu erhöhen. Dabei verfolgt sie spezifisch einen auf die Tierhaltung ausgerichteten agrarökologischen Ansatz. In der Praxis setzt die Agrarökologie keine genauen Vorgaben, sondern das Vorgehen basiert auf der lokalen Anwendung agrarökologischer Grundprinzipien, wie beispielsweise Synergien, biologische Vielfalt oder die Beteiligung lokaler Landwirtinnen und Landwirte.

So gesehen wird die Umsetzung der Agrarökologie als Prozess betrachtet, welcher bei der Verminderung chemischer Substanzen beginnt und bis zur Umstellung des ganzen Ernährungssystems reicht, welches sowohl die bäuerlichen Betriebe als auch uns alle, die wir die Lebensmittel verzehren, miteinbezieht. Konkret handelt es sich dabei beispielsweise um die Erhaltung lokaler Rinderrassen und die Agroforstwirtschaft oder die Verwendung von Ernterückständen und organischen Abfällen als Tierfutter, aber auch die Nutzung von Mist als organischem Dünger anstelle von Kunstdünger.

Eine Studie der Alliance Sufosec – einem Zusammenschluss von sechs Schweizer NGOs, darunter VSF-Suisse – in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften verdeutlicht, dass die Umstellung auf agrarökologische Praktiken ein langfristiger Prozess ist, der Anpassung und kollektiven Wissenserwerb erfordert. Das Augenmerk sollte dabei stets auf lokal angepassten Lösungen liegen, durch welche Innovation und Widerstandsfähigkeit gefördert werden, und die es den Gemeinschaften ermöglichen, sich an ökologische Herausforderungen anzupassen und gleichzeitig ihr traditionelles Wissen zu bewahren. In diesem Zusammenhang wird auch von der Ko-Kreation gesprochen: wenn die bäuerlichen Betriebe gemeinsam mit der Wissenschaft und weiteren Partnern in einem Projekt neue Erkenntnisse gewinnen und umsetzen.

Sei es die Milch- und Fleischwertschöpfungskette, die Nutzung von Waldprodukten wie Honig oder die Verteilung von tierischen Lebensmitteln in Zeiten von Ernährungskrisen: Agrarökologie bedeutet Zugang zu lokaler, diversifizierter und reichhaltiger Nahrung und eine selbstbestimmtere Ernährungssicherheit.

Viehhalter in Mali mit seiner gemischtrassigen Rinderherde. (© VSF-Suisse)

Impfen für Afrika 2024

Eine gute Möglichkeit, als Tierarztpraxis die Arbeit von VSF-Suisse zu unterstützen, ist die Teilnahme an der Spendenkampagne «Impfen für Afrika». Vom 3. bis 8. Juni 2024 sammeln Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte einen Teil der Einnahmen aus den bei ihnen durchgeführten Impfungen und spenden den Erlös an VSF-Suisse.
Mehr Informationen und Anmeldung unter: vsf-suisse.org/impfen

 
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