Fokus
Der Bundesrat sieht keine Handlungsmöglichkeiten
Die Thematik des Nachwuchs- und Fachkräftemangels in der Tiermedizin ist im Bundeshaus angekommen: Der Bundesrat hat zu einer Interpellation von Nationalrat Lars Guggisberg Stellung genommen.
Wegen des Fachkräftemangels in der Veterinärbranche droht eine Lücke in der tiermedizinischen Grundversorgung. Auf Initiative der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) reichte Nationalrat Lars Guggisberg (SVP, Bern) zusammen mit Mitunterzeichner Lorenz Hess (Die Mitte, Bern) am 4. Mai 2023 eine Interpellation ein, die eine Auskunft des Bundesrats zu Massnahmen gegen den Nachwuchs- und Fachkräftemangel in der Tiermedizin verlangte – beispielsweise mehr Studienplätze in der Veterinärmedizin und Anreize für die Nutztiermedizin in Randregionen.
Nun hat der Bundesrat die Interpellation beantwortet. Er zitiert aus der Studie zur Versorgungslage in der Schweizer Nutztiermedizin, welche die Vetsuisse-Fakultät Bern 2018 durchgeführt hatte. Diese kam zum Schluss, dass die Versorgungssicherheit gut bis sehr gut gewährleistet sei – dass aber in der Schweiz nicht genügend Tierärztinnen und Tierärzte ausgebildet würden, um den künftigen Bedarf an Nutztierpraktikern zu decken. «Langfristig genügend Nachwuchs zu generieren ist ein vielschichtiges Thema, das nicht nur die Zahl der Ausbildungsplätze betrifft, sondern auch die Attraktivität der Arbeitsbedingungen», schreibt der Bundesrat.
Keine Kompetenzen
Der Bund verfüge über keine Kompetenzen, um die Ausbildungsplätze an der Vetsuisse-Fakultät der Universitäten Bern und Zürich zu erhöhen oder einen dritten Standort anzuordnen, heisst es in der Antwort weiter. Zudem sei die Anzahl der Studienplätze in den letzten Jahren von 150 auf 172 erhöht worden. Es sei schwierig, noch mehr Studierende aufzunehmen: «Eine weitere Erhöhung ohne Qualitätsverlust in der Ausbildung hätte sehr grosse Investitionen in die Infrastrukturen sowie einen starken personellen Ausbau zur Folge», schreibt der Bundesrat. «Insbesondere der klinische Teil der Ausbildung bedarf einer Klinikstruktur, die sich nicht ohne weiteres in anderen Bildungsorganisationen einrichten lässt.»
Mehr Praxisausbildung
Die Vetsuisse-Fakultät habe erkannt, dass es nötig sei, «professional knowledge» während des Studiums zu fördern, und habe den Lehrplan überarbeitet. In der Förderperiode 2021–2024 erhalte die Fakultät vom Bund 1,2 Millionen Franken an projektgebundenen Beiträgen für den Aufbau einer Struktur für externe Ausbildungsmodule für die Studierenden in Lehrpraxen.
Auch bei den Arbeitsbedingungen erkennt der Bundesrat keine Handlungskompetenzen. «Der zuständige Berufsverband, die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte GST, hat das Problem jedoch erkannt und Richtlinien ausgearbeitet», heisst es in der Antwort. Zudem sei das öffentliche Veterinärwesen bestrebt, den administrativen Aufwand für Tierärztinnen und Tierärzte so gering als möglich zu halten und zu entschädigen.
Die Sicht der GST
Der GST-Vorstand hat sich in seiner Sitzung im September mit der Antwort des Bundesrats befasst und stellt fest: «Der Bundesrat liefert in seiner Antwort auf die Interpellation Guggisberg zum Nachwuchs- und Fachkräftemangel in der Tiermedizin wenig Anhaltspunkte zum weiteren Vorgehen.» Der Bundesrat anerkennt zwar, dass die tierärztliche Grundversorgung in der Schweiz von grosser Wichtigkeit ist, will jedoch keine unmittelbaren Massnahmen treffen. Die GST plant nun Gespräche mit der Vetsuisse-Fakultät, dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), Parlamentarierinnen und Parlamentariern und den kantonalen Hochschulämtern. Um die Versorgung der Tiere in Zukunft sicherzustellen, muss jetzt dringend gehandelt werden.
Die GST beurteilt den Bezug des Bundesrats auf die Studie zur Versorgungslage in der Schweizer Nutztiermedizin der Vetsuisse-Fakultät Bern von 2018 als kritisch: Das Ergebnis der Studie ist mit Arbeitsbedingungen der Tierärztinnen und Tierärzte verknüpft, die heute nicht mehr zeitgemäss sind. Die Versorgungssicherheit ist darum gefährdet.
Die GST schlägt in einem Massnahmenkatalog unter anderem vor, die Anzahl der Studienplätze substanziell zu erhöhen, einen differenzierten Zugang zum Studium zum Beispiel via Passerelle zu prüfen, Anreizsysteme für die Nutztiermedizin in Randregionen zu schaffen und die administrativen Auflagen zu reduzieren.
«Wir bilden zu wenige Tierärztinnen und Tierärzte aus»
Der Berner SVP-Nationalrat Lars Guggisberg nimmt Stellung zur Bundesratsantwort auf seine Interpellation zum tierärztlichen Fachkräftemangel.
Warum engagieren Sie sich beim Thema Nachwuchs- und Fachkräftemangel in der Tiermedizin?
Ich setze mich für alle Berufsgruppen ein, die wir beim Fachkräftemangel unterstützen können, auch im Bereich Tiermedizin. Hier bot sich eine Intervention auf Stufe des Bundes an.
Der Bundesrat sieht dies offenbar anders: Er sagt, er sei nicht zuständig.
Das ist leider ein Phänomen: Die verschiedenen Staatsebenen wollen die Verantwortung jeweils auf die anderen abschieben. Die Ausbildung der Tierärztinnen und Tierärzte ist jedoch eine Verbundsaufgabe. Es ist zu einfach, wenn der Bund sagt, nur die Kantone seien zuständig.
Sie sind also nicht zufrieden mit der Antwort des Bundesrats auf Ihre Interpellation?
Ich bin überhaupt nicht zufrieden. Aber ich werde nachhaken. Die Interpellation war der erste Schritt auf Bundesebene. Nun werden wir Grossratsmitglieder einspannen, um auf Kantonsebene etwas zu erreichen.
Sie sind Berner Nationalrat – werden Sie auch versuchen, im Zürcher Parlament etwas zu erreichen, oder nur in Bern?
Das ist ein Thema, das wir gesamtheitlich angehen müssen. Daher werden wir auch Kontakte im Kanton Zürich aktivieren, so dass die Parlamente der beiden Standortkantone der Vetsuisse-Fakultät aktiv werden.
Hätten Sie vom Bundesrat eine andere Antwort erwartet?
Ich gebe die Hoffnung nie auf, eine substanzielle Antwort zu erhalten. Diese Hoffnung wurde aber bereits oft enttäuscht. Vielleicht müssen wir nun konkrete Forderungen stellen und eine Motion einreichen. Aber bevor wir das entscheiden, müssen wir analysieren, ob eine Intervention auf kantonaler oder eidgenössischer Ebene zielführender ist.
Was sind für Sie die wichtigsten Punkte Ihrer Interpellation?
Die substanzielle Erhöhung der Studierendenzahl ist sehr wichtig. Wir bilden in der Schweiz zu wenige Tierärztinnen und Tierärzte aus. Es ist nicht nachhaltig, wenn wir von ausländischen Fachkräften abhängig sind. Aber auch die Passerelle und damit die bessere Durchlässigkeit bei der Ausbildung ist ein wichtiges Thema, ebenso die Förderung der Praktika.
Interview: Nicole Jegerlehner