Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 165, Heft 9,
September 2023
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 29 August 2023  
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Fokus

«Die Bereitschaft zu Behandlungen ist bei versicherten Tierhaltenden grösser»

Nicole Jegerlehner

Immer mehr Haustiere sind versichert. Für Tierärztinnen und Tierärzte stellt sich die Frage nach der Zusammenarbeit mit der Versicherung: Wann müssen sie Auskunft geben? Wird der Aufwand entschädigt? Ein Merkblatt der GST hilft weiter.

«In Sachen Tierversicherung steckt die Schweiz noch in den Kinderschuhen»: Das sagt Marcel Haus. Sein Unternehmen Broker2go hat den Überblick über die Angebote an Tierversicherungen. Während in nordischen Ländern fast 90 Prozent der Haustiere versichert sind, sind es in der Schweiz nur gerade knapp 10 Prozent. In den letzten Jahren ist die Nachfrage gestiegen, und Marcel Haus geht davon aus, dass dies so weitergeht: «In der Vergangenheit haben die Versicherungen aufgrund zahlreicher Ausschlusskriterien viele Schadensfälle abgelehnt, doch mit dem Markteintritt von neuen Versicherungen wie Calingo kommen neue Versicherungslösungen auf den Markt.» Und darum geht er davon aus, dass auch in der Schweiz bald viel mehr Haustiere versichert sein werden. Wann lohnt sich denn eine Tierversicherung? «Wer nicht einfach so 4000 bis 5000 Franken für den Fall eines Unfalls oder einer Krankheit auf der Seite hat, sollte sein Tier versichern», sagt Marcel Haus.

Engere Zusammenarbeit

Der Geschäftsführer von Broker2go wünscht sich eine engere Zusammenarbeit zwischen den Versicherungen und der Tierärzteschaft. «Nur so gelingt der Durchbruch, und mehr Tierhaltende schliessen eine Versicherung ab.» Eine engere Zusammenarbeit bedeutet für ihn auch, dass die Versicherungen die Tierärzteschaft für deren Aufwand entgelten, wenn sie Berichte einfordern.

Das Merkblatt

Die Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte GST hat nun das Merkblatt «Auskunfterteilung gegenüber Tierversicherungen» zusammengestellt. Darin hält sie fest: «Tierversicherungen können zur Verbesserung der medizinischen Versorgung beitragen.» Für Tierärztinnen und Tierärzte könnten die Versicherungen wirtschaftlich und ethisch vorteilhaft sein, weil die Bezahlung von teureren Behandlungen dadurch eher gewährleistet sei und die Tierärztinnen und Tierärzte so freier nach medizinischen Überlegungen handeln könnten.

Tierärztinnen und Tierärzte fallen nicht unter das strafrechtliche Berufsgeheimnis nach Art. 321 Strafgesetzbuch (StGB). Doch sind sie aus auftrags- und datenschutzrechtlicher Sicht verpflichtet, über den Inhalt des Auftrags und über die Person der Tierhalterin oder des Tierhalters Stillschweigen zu bewahren. Die GST empfiehlt der Tierärzteschaft deshalb, die schriftliche Einwilligung der Tierhaltenden einzuholen, bevor sie der Versicherung Auskunft erteilen. Zudem sollen sie bei der Versicherung ein schriftliches Auskunftsbegehren einholen, dies als Absicherung gegenüber den Tierhaltenden. Wichtig ist, dass die Tierärztinnen und Tierärzte nicht auf dem «kleinen Dienstweg», also inoffiziell, Auskunft an die Versicherung erteilen, hält das Merkblatt fest.

Geld für den Zusatzaufwand

Und klar ist für die GST auch: Wenn die Versicherung ergänzende Berichte verlangt, die ohne diese Anfrage nicht erstellt würden, empfiehlt es sich, bei der  
Versicherung für den Zusatzaufwand vorgängig eine schriftliche Kostengutsprache einzuholen. Der Zusatzaufwand dürfe nicht den Tierhaltenden in Rechnung gestellt werden: «Sie haben die Berichte nicht beauftragt und diese sind für die Behandlung medizinisch nicht nötig.»

Der Tierarzt Flurin Tschuor arbeitet als Gutachter für mehrere Tierversicherungen. Dabei stehen meist zwei Fragen im Vordergrund: Liegt eine genetische oder vererbte Krankheit vor? Und bestand die Krankheit bereits vor Vertragsabschluss? Bei vielen Versicherungen gelten diese Kriterien als Ausschlussgrund. Als Gutachter stellt Flurin Tschuor fest: «Es gibt kulantere und strengere Versicherungen.» Das bestätigt auch Marcel Haus von Broker2go.

Die Hälfte ist versichert

Flurin Tschuor ist von der Nützlichkeit der Versicherungen überzeugt. In seiner Tierklinik Mittelland weist das Personal die Kundinnen und Kunden denn auch auf die Versicherungen hin, wenn sie mit jungen Tieren in die Klinik kommen. «Ich bin sehr froh um jedes Tier, das versichert ist», sagt Flurin Tschuor. «Die Bereitschaft zu Behandlungen ist bei versicherten Tierhaltenden grösser.» Rund die Hälfte seiner Kundschaft sei versichert.

Als Tierarzt erlebt Flurin Tschuor den administrativen Aufwand für die Versicherungen als marginal; «vor allem verglichen mit dem, was man als Tierarzt durch die Versicherung gewinnt, da so die Zahlung abgesichert ist». Und: «Ich kann ja auch etwas verlangen für meinen Aufwand.»

Die Sicht der Versicherungen

Das sehen nicht alle Versicherungen so. Die Tierversicherung «Wau-Miau» von der Europäischen Reiseversicherung (ERV) schreibt beispielsweise, sie seien nur sehr selten mit Tierärztinnen und Tierärzten in Kontakt. Und wenn, dann gebe es keine Entschädigung. Andere Versicherungen stehen gar nicht im Kontakt mit den Tierärztinnen und Tierärzten. So schreibt Epona, die seit über 120 Jahren in der Schweiz tätig ist, auf Anfrage: «Wir entschädigen die Tierärztinnen und Tierärzte aktuell nicht. Wir holen die benötigten Informationen via unsere Versicherungsnehmenden ein.» Auch die Mobiliar schreibt zu ihrer Haustierversicherung: «Rückfragen an Tierärztinnen und Tierärzte sind bisher nicht bekannt.» In der Tierunfallversicherung in der Landwirtschaft hingegen entschädigt die Mobiliar die Kosten für den Bericht der Tierärztin oder des Tierarztes: «Der Tierarztbericht dient als Grundlage für die Deckungsbeurteilung.» Und Animalia schreibt: «Wenn wir Informationen über einem Fall anfordern, entschädigen wir selbstverständlich die Tierärztin oder den Tierarzt für den Aufwand.»

Ein hartes Pflaster

In der Schweiz arbeiten die Tierversicherungen offenbar nicht immer kostendeckend, wie zwischen den Zeilen zu erfahren ist. ERV beispielsweise schreibt: «Gerade in den letzten Jahren gab es in der Tiermedizin massive Fortschritte, was zu wesentlich höheren Tierarztkosten bei den durch uns versicherten Tieren führte.» 2022 kam es daher zu einer Prämienerhöhung. «Stand heute können wir dieses Produkt wieder selbsttragend anbieten.»

Und Epona schreibt: «Die Entwicklung der letzten zehn Jahre verdeutlicht, dass es eine grosse Herausforderung ist, rentabel zu bleiben.» Animalia meint nur: «In diesem Geschäftsfeld sind Schadenfälle häufig. Die Durchschnittskosten pro Fall nehmen tendenziell zu.»

Der jüngste Versicherer

Dies hat Calingo nicht davon abgehalten, im Dezember 2022 eine Haustierversicherung zu lancieren, derzeit für Hunde und Katzen; das Unternehmen prüft zudem eine Pferdeversicherung. Calingo ist nicht nur das Nesthäkchen unter den Tierversicherungen in der Schweiz; das Unternehmen geht auch neue Wege. So werden Tiere jeder Rasse und jeden Alters versichert. Mitgründer Marlo Hug hält in seiner schriftlichen Antwort fest, dass Calingo die Produkte zusammen mit Tierärztinnen und Tierärzten entwickelt hat. Und: «Wir arbeiten im Vertrieb und auch im Schaden sehr nahe mit unseren Tierärztinnen und Tierärzten zusammen.» Konkret heisst das, dass Calingo sich im Vertrieb in die Tierarztsoftware wie Oblon, Diana und Easy Vet integriert. Die Praxen können auf diese Weise Haustierofferten an ihre Kundschaft versenden – und erhalten jährlich eine Provision für so abgeschlossene Versicherungen. Klar ist für Calingo auch, dass die Tierärztinnen und Tierärzte entschädigt werden, wenn die Versicherung einen Bericht anfordert.

In einem Pilotversuch mit fünf Praxen testet Calingo jenes System, das auch Krankenkassen für Menschen anwenden: Die Kundschaft zeigt die Versicherungskarte, und die Tierarztpraxis verschickt die Rechnung an Calingo. Die Versicherung zahlt der Praxis den gesamten Betrag und rechnet dann mit den Versicherungsnehmenden ab.

Eine Behandlung geht schnell einmal ins Geld. (© GST)

Die Pferdeversicherungen

Viele Pferdeversicherungen in der Schweiz sind aus dem landwirtschaftlichen Bereich heraus entstanden: oftmals sind es genossenschaftlich organisierte Versicherungen. Zu Beginn kamen sie nur für ein Pferd auf, das ersetzt werden musste – sei es, weil es nicht mehr für die Arbeit taugte, sei es, weil es starb. Heute decken die meisten Pferdeversicherungen auch tierärztliche Pflege ab, und es sind neue Versicherer auf dem Markt.
Simone Castella ist zugleich Vorstandsmitglied der Basellandschaftlichen Pferdeversicherung und der der Schweizerischen Vereinigung für Pferdemedizin (SVPM). Sie begrüsst die Versicherungen: «Das gibt den Tierbesitzerinnen und -besitzern den Rückhalt, etwas zu probieren, das sie sich sonst nicht leisten könnten; das dient dem Tierwohl.» Sie bedauert, dass es derzeit nur wenige Anbieter für Krankenversicherungen für Pferde gibt. Laut Simone Castella hält sich der Arbeitsaufwand für Berichte an die Versicherungen in Grenzen.
Hansjakob Leuenberger, Cheftierarzt an der Tierklinik 24 in Staffelbach, kennt Pferde- und Tierversicherungen aus verschiedensten Blickwinkeln: Er ist Vertrauenstierarzt für die Mobiliar-Versicherung, sitzt im Vorstand der Pferdeversicherungs-Genossenschaft Zofingen und schreibt als Tierarzt Berichte für die Versicherungen.
Er begrüsst die Pferdeversicherungen, die auch den veterinärmedizinischen Aufwand abdecken: «Das ist eine gute Sache.» Er wünscht sich aber, dass alle Versicherungen den Aufwand der Tierärztinnen und Tierärzte für zusätzliche Berichte abgelten. Und er wünscht sich eine engere Zusammenarbeit zwischen Versicherungen und Tierärzteschaft: «Gut wäre es, wenn alle Versicherungen die gleichen Berichte verlangen und diese auch gleich in die Veterinär-Software integrieren würden», sagt Hansjakob Leuenberger. So könnte der administrative Aufwand für die Tierärzteschaft verringert werden. Heute habe jede Versicherung ein anderes Formular und wolle unterschiedliche Details wissen.

Fragen zu Tierversicherungen?

Der Rechtsdienst der GST hat das GST-Merkblatt «Auskunfterteilung gegenüber Tierversicherungen» erarbeitet. Mitglieder der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte erhalten kostenlos Auskunft in Rechts- und Wirtschaftsfragen. Die Fragen können an insgesamt vier Halbtagen telefonisch oder jederzeit per Mail gestellt werden.

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