Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 165, Heft 7_8,
Juli 2023
 
Thema Sonderheft Tierwohl / cahier spécial Bien-être animal  
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 04 Juli 2023  
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Fokus

Nicht-aversive Methoden im Umgang mit Maus und Ratte im Versuch – was ist das?

Dr. Maike Heimann, Dipl. SVLAS, Präsidentin des Vereins Swiss Association of Veterinarians in Industry and Research

Wer das Verhalten von Mäusen und Ratten kennt, kann auf sie eingehen und so erreichen, dass sie zutraulicher werden. Das senkt bei den Labortieren den Stress – was schliesslich auch zu einer besseren Datenqualität führt.

Wenn Mäuse oder Ratten in Versuchen eingesetzt werden, ist auf einen schonenden Umgang mit den Tieren zu achten – aus drei Gründen. Da sind die rechtlichen Gründe: die gesetzlichen Vorgaben schreiben den schonenden Umgang im Versuch, aber auch in den Versuchstierhaltungen selbst vor. Die ethischen Gründe geben vor, dass die zum Erreichen des Versuchsziel gegebenenfalls unvermeidbare Belastung des Tiers so gering wie möglich zu halten ist, da sein Einsatz sonst ethisch nicht vertretbar wäre. Und auch wissenschaftliche Gründe gibt es: der schonende Umgang mit dem Tier reduziert die Stressbelastung im Tier, was zu einer besseren Datenqualität führt; darüber hinaus wird der Umgang mit dem Tier erleichtert.

In den letzten Jahren wurden einige Techniken erforscht beziehungsweise entwickelt, die erfolgreich die Stressbelastung von Maus und Ratte reduzieren helfen und die mehr und mehr in den Tierlaboren der Schweiz zum Einsatz kommen. Sie helfen dabei, dass das Tier sich besser an den Menschen gewöhnt und nicht aversiv, also abweisend, auf den Menschen reagiert. Einige Beispiele werden im Folgenden vorgestellt.

Tunnelhandling (Maus)

Unter Tunnelhandling versteht man die Praxis, eine Maus mittels eines kleinen Tunnels aus ihrem Käfig zu nehmen, um sie beispielsweise anschliessend zu untersuchen oder in einen anderen Käfig umzusetzen1. Meist werden kurze, durchsichtige Plexiglastunnel verwendet, in welche die Maus selbstständig hineinläuft. Anschliessend kann das Tier samt Tunnel angehoben und aus seinem Käfig genommen werden, zum Beispiel um es aus dem Käfig auf die Hand des Untersuchers laufen zu lassen.

Bei dieser Technik macht man sich das biologische Verhalten von Mäusen zu Nutze: Mäuse lieben Tunnel und laufen eigenständig hinein, sobald sie ihre natürliche Scheu vor dem neuen Objekt in ihrem Heimkäfig verloren haben. Bis dies erreicht ist, braucht es etwas Training für die Maus, aber auch für den Menschen, der mit ihr umgeht.

Alternativ können Mäuse am Schwanz gegriffen und hochgehoben werden. Das geht zwar in den meisten Fällen etwas schneller, hat aber erwiesenermassen den Nachteil, zu mehr Stress in der Maus zu führen2, 3. Dies liegt vermutlich daran, dass die Hand wie ein von oben kommender Jäger wahrgenommen wird, was zu Angst führen kann. An das Tunnelhandling gewöhnte Mäuse werden im Regelfall handzahmer und umgänglicher. Auch wurde beobachtet, dass es beim Umgang mit ihnen zu weniger Bissvorfällen kommt. Sie scheinen also weniger gestresst zu sein – und damit auch die Menschen, die mit ihnen umgehen. Nicht zu empfehlen ist das Tunnelhandling unter bestimmten Bedingungen, zum Beispiel bei sehr hohen Hygienebedingungen in einzelnen Versuchshaltungen oder bei Infektionsversuchen, bei denen die Gefahr einer Zoonose besteht.

Cup-handling (Maus)

Cup bedeutet im Englischen Becher oder Schale: Das entspricht der Form, zu der beide Hände geformt werden, um eine Maus darin aufzunehmen und sie aus ihrem Käfig zu nehmen. Die Maus läuft dabei entweder selbstständig auf die zum «Cup» geformten Hände oder – wenn sie noch nicht sehr vertraut mit dem Prozedere ist – man schliesst die beiden Hände unter der Maus zum «Cup» zusammen1. Diese Technik ruft keine Stressbelastung im Tier hervor, da das Tier durch den direkten Umgang mit dem Menschen recht handzahm wird, wobei aber im Vergleich zum Tunnelhandling mit mehr Trainingszeit gerechnet werden muss. Zusätzlich zu denselben Einschränkungen, wie sie für das Tunnelhandling beschrieben wurden, eignet sich diese Methode nicht für sehr springfreudige Mäuse.

Oral self-dosing (Maus und Ratte)

Wie bei grösseren Tieren können oral aufzunehmende Substanzen auch an Maus und Ratte über eine für sie lecker schmeckende Trägersubstanz verabreicht werden. Dies kann in manchen Fällen den Einsatz einer oralen Schlundsonde unnötig machen, die für die Tiere in jedem Fall unangenehmer ist. Beispielsweise können Schmerzmittel in Nutella «versteckt» werden, das an den Rand des Käfigs geschmiert und von den Tieren aufgeleckt wird4. Wenn genauer dosiert werden muss, können die Tiere auch daran gewöhnt werden, in für sie leckere Trägersubstanzen verpackte Substanzen direkt von der Spritze aufzulecken5. Als Trägersubstanzen haben sich Zuckerlösungen bewährt, aber auch Nutella, Honig oder Babybrei.

Kitzeln – Tickling (Ratte)

Wie schon beim Tunnelhandling wird auch beim Rattenkitzeln das biologische Verhalten der Ratte genutzt. Entwickelt wurde die Methode von einem Team von Neurowissenschaftlern, welche positive Emotionen und Ultraschallvokalisationen bei Ratten untersuchten. Sie stellten fest, dass junge Ratten spielen, indem sie herumrennen und miteinander ringen. Dabei springt eine Ratte auf den Nacken einer anderen, die sich umdreht, um ihren Spielkameraden festzuhalten. Dieses Verhalten wird beim Rattenkitzeln imitiert und führt zu positiven Emotionen in den Tieren – die man sogar hörbar machen kann. Zwar kichern die Tiere im für den Menschen nicht hörbaren Ultraschallbereich, doch mit einem Fledermausdetektor kann man die Geräusche für den Menschen hörbar machen. Rattenkitzeln steigert das Wohlbefinden der Tiere, verbessert die Beziehung zwischen Menschen und Ratte und minimiert Stressbelastungen im Versuchskontext6, 7. Nicht zu empfehlen ist die Technik bei Mäusen, da sie diese Art von Verhalten nicht zeigen – die Maus würde bei dem Versuch, sie zu kitzeln, beissen.

Die Maus verlässt den Tunnel und läuft auf die Hand eines Versuchsdurchführenden. (© ETH-LTK-Kooperation für Aus- und Weiterbildung im Labortierkundebereich)

Tipps für den Umgang mit Maus und Ratte

  • Sorgen Sie für Ruhe und vermeiden Sie schnelle Bewegungen, um die Tiere nicht zu erschrecken. Öffnen Sie den Käfig vorsichtig und graben Sie mit Ihrer Hand im Einstreu, so dass diese den Geruch des Käfigs annimmt – das kann die Tiere etwas entspannen. Entfernen Sie störendes Spielzeug und Nestmaterial.
  • Nager sind neugierig – lassen Sie ihnen Zeit, Ihre Hand kennenzulernen. Ratten knabbern dabei manchmal an der Hand – das ist kein Beissen, sondern die Art des Kennenlernens der Ratte.
  • Tunnelhandling (Maus): legen Sie eine Plexi­glasröhre oder Vergleichbares wie eine Klopapierrolle seitlich an den Rand und die Ecke des Käfigs. Leiten Sie die Maus langsam in Richtung des Tunnels, indem Sie die aufgestellte Handfläche hinter der Maus herschieben. Hektik vermeiden – vielleicht braucht die Maus mehrere Anläufe. Heben Sie den Tunnel mit der Maus darin an und verschliessen Sie beide Öffnungen (immer Luftlöcher lassen). Sie können das Tier nun von allen Seiten inspizieren oder in einen anderen Käfig oder eine Wiegeschale verbringen, beziehungsweise sie auf Ihre Hand laufen lassen.
  • Cup-handling (Maus): nur, wenn das Tier handzahm ist (andernfalls muss es erst trainiert werden, was im Rahmen der tierärztlichen Untersuchung nicht möglich wäre). Lassen Sie das Tier entweder auf ihre Hände laufen und verschliessen diese dann zu einer Höhle oder schliessen Sie beide Hände vorsichtig von der Seite kommend (zum Beispiel in einer Ecke des Käfigs, in der die Maus nicht so leicht ausweichen kann). Keinesfalls Cup-handling bei springfreudigen oder nicht-handzahmen Tieren anwenden.
  • Handzahme Ratten laufen oft freiwillig auf die Hand des Menschen. Alternativ werden sie vorsichtig mit einer Hand gegriffen, wobei der Brustkorb umfasst wird (nicht quetschen, da sonst die Atmung behindert wird) und mit der zweiten Hand das Hinterteil der Ratte stabilisiert wird.
  • Oral self-dosing funktioniert wie bei anderen Tieren auch bei Nagern gut. Allerdings ist bei manchen Tieren Neophobie deutlich ausgeprägt. Im Gespräch mit den Haltern der Tiere lässt sich aber gegebenenfalls herausfinden, ob es mögliche Trägersubstanzen (Babybrei, Honiglösung, Leberwurst) gibt, welche die Tiere schon kennen und in denen man ein Medikament verstecken kann.

Referenzen

  1. https://www.nc3rs.org.uk/3rs-resources/mouse-handling/mouse-handling-video-clips
  2. Hurst JL, West RS (2010) Taming anxiety in laboratory mice. Nature Methods 7: 825-826. doi: 10.1038/nmeth.1500
  3. Gouveia K, Hurst JL (2013) Reducing mouse anxiety during handling: Effect of experience with handling tunnels. PLoS ONE 8(6): e66401. doi: 10.1371/journal.pone.0066401
  4. Abelson et al. (2012) Voluntary ingestion of nut paste for administration of buprenorphine in rats and mice. Laboratory Animals; 46: 349–351. doi: 10.1258/la.2012.012028
  5. Scarborough et al. (2020) Preclinical validation of the micropipette-guided drug administration (MDA) method in the maternal immune activation model of neurodevelopmental disorders. Brain, Behavior, and Immunity, Volume 88, 461-470, doi: 10.1016/j.bbi.2020.04.015
  6. Cloutier et al. (2018) Tickling, a Technique for Inducing Positive Affect When Handling Rats. https://review.jove.com/t/57190/tickling-a-technique-for-inducing-positive-affect-when-handling-rats, doi:10.3791/57190
  7. LaFollette et al. (2018)  Practical rat tickling: Determining an efficient and effective dosage of heterospecific play. Applied Animal Behaviour Science, Volume 208, 82-91, doi: 10.1016/j.applanim.2018.08.005.
 
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