Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 165, Heft 7_8,
Juli 2023
 
Thema Sonderheft Tierwohl / cahier spécial Bien-être animal  
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 04 Juli 2023  
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Fokus

Aspekte des Tierwohls in der Exotenpraxis

Samuel Frei, Dr. med. vet. Exoticus – Zentrum für Heim- und Zootiermedizin

Das Konzept «Five Freedoms» hilft, das Wohlergehen exotischer Patienten in der Praxis zu verbessern: Nebst der körperlichen Gesundheit werden auch Aspekte der Haltung, der Ernährung, des Verhaltens und der mentalen Gesundheit betrachtet.

In der Schweiz halten immer mehr Haushalte Kaninchen, Meerschweinchen und exotische Heimtiere. Dies hat zu einer Zunahme der Vorstellung dieser Tiere in der Tierarztpraxis geführt, was oft auch einen Mehraufwand für die behandelte Tierärzteschaft darstellt, da nicht immer das nötige Fachwissen vorhanden ist. Um das Wohlergehen dieser exotischen Patienten in der Praxis besser evaluieren und verbessern zu können, kann man sich das Konzept der fünf Freiheiten («Five Freedoms») oder noch besser das Fünf-Domänen-Modell1 zur Hilfe nehmen: Um das Wohlergehen eines Tieres beurteilen zu können, sollte nicht nur die körperliche Gesundheit betrachtet werden, sondern zusätzlich auch Aspekte der Haltung, Ernährung, Verhalten und der mentalen Gesundheit. Gerade bei exotischen Heimtieren resultieren noch sehr viele Erkrankungen direkt als Folge von falscher Haltung und Ernährung.

Kaninchen

Nach Hunden und Katzen sind Kaninchen eine der häufigsten in der Tierarztpraxis vorgestellten Tierarten. Der grosse Unterschied ist, dass Kaninchen in der Schweiz sowohl als Haustier wie auch als Nutztiere gehalten werden. Ein Nutztier hat eine kürzere Lebenserwartung als ein Heimtier, es soll möglichst gesund und schnell eine gewisse Grösse erreichen. Bei einem als Heimtier gehaltenen Kaninchen aber steht genau wie bei Hund und Katze das Ziel im Vordergrund, ein langes, glückliches und gesundes Leben zu führen. Dadurch unterscheiden sich auch die Ansprüche an die medizinische Versorgung in Bezug auf das Tierwohl grundlegend. Eine kürzlich erschienen Studie aus England hat die wichtigsten Parameter aufgezeigt, welche einen erheblichen Einfluss auf das Tierwohl von Kaninchen hat2. Genügend Bewegung spielt eine wichtige Rolle für ihre Gesundheit; eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit kann zu Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten führen. Auch sind Enrichment und soziale Kontakte wichtig für das Wohlergehen der Tiere. Die Ernährung sollte zu 85 Prozent aus Wiesenfütterung oder Heu bestehen, da Kaninchen als reine Pflanzenfresser einen hohen Faseranteil in der Nahrung benötigen. Zusätzlich kann noch Frischfutter wie Salat oder Gemüse und qualitativ gute Heupellets in kleinen Mengen gefüttert werden. Getreidemischungen, welche traditional in der Kaninchen-Zucht eingesetzt werden, sind zu vermeiden. Sie führen häufig zu Zahnerkrankungen, Übergewicht und Verdauungsproblemen.

Medizinische Grundversorgung sicherstellen

Gerade Kaninchenhalter-Neulinge, aber auch schon routinierte Kaninchenbesitzer sollten über eine artgerechte Haltung und präventive medizinische Versorgung ihrer Haustiere informiert werden. Grundsätzlich wird empfohlen, Kaninchen bereits als Jungtier zu kastrieren. Männchen können sich gegenseitig starke Verletzungen zufügen, aber auch im Zusammenleben mit den Weibchen wird so Stress reduziert. Ebenfalls wird eine unnötige Vermehrung verhindert. Mit der Tierbesitzerin und dem Tierbesitzer sollten auch Vor- und Nachteile der Kastration der Weibchen besprochen werden. Wir empfehlen, weibliche Kaninchen zu kastrieren, da diese im Alter sehr häufig Uteruspathologien entwickeln und die regelmässig auftretende Scheinträchtigkeit für viele Tiere erheblichen Stress darstellt. Die Impfung gegen die virale hämorrhagische Krankheit (VHK) gehört heute in jede Praxis, welche Kaninchen behandelt. Diese sollte jährlich wiederholt werden und wird auch bei Kaninchen in Innenhaltung empfohlen, auch wenn dort die Ansteckungsgefahr kleiner ist. Wenn nicht jährlich geimpft wird, so sollten dennoch alle Kaninchen mindestens einmal im Jahr in der Praxis vorgestellt werden. Da Krankheiten bei Kaninchen durch die Tierhaltenden meist spät entdeckt werden, können diese so frühzeitig erkannt werden und dem Tier eine lange und meistens belastende Behandlung erspart werden.

Nagetiere

Bei Nagetieren verhält es sich ähnlich wie bei Kaninchen. Hier sollte aber bedacht werden, dass die Ansprüche an eine artgerechte Haltung und Ernährung je nach Tierart unterschiedlich sind. Bei rein herbivoren Arten wie Meerschweinchen, Chinchilla und Degu sollte die Fütterung genauer beurteilt werden, da diese ebenfalls auf einen hohen Faser­anteil in der Nahrung angewiesen sind. Oft werden diese Tiere mit Müslimischungen und Knabberstangen aus dem Zoofachhandel gefüttert, welche zu Übergewicht und Zahnproblemen führen können. Meerschweinchen müssen Zugang zu genügend Vitamin C haben. Keines dieser Tiere soll oder darf allein gehalten werden. Auch hier empfiehlt es sich, eine jährliche Gesundheitskontrolle durchzuführen, um Aspekte der Haltung, Fütterung und Tiergesundheit zu besprechen.

Reptilien

In der Schweiz werden viele unterschiedliche Reptilien gehalten und diese stellen hohe Ansprüche an die Haltung und Fütterung. Leider sehen wir auch heute noch, dass viele Krankheiten direkt durch eine falsche Haltung ausgelöst oder begünstigt werden. Reptilien könnten unterschiedlicher nicht sein und stammen aus verschiedenen Klimazonen und Habitaten. Dies macht es für Tierärztinnen und Tierärzte umso schwieriger, die Haltungsbedingungen zu beurteilen und Empfehlungen an die Haltenden zu geben. In unserer Praxis informieren wir die Kundschaft bereits bei der Terminvereinbarungen, dass sie Bilder vom Terrarium und der Einrichtung zum Termin mitnehmen sollen. Das macht es auch für die Besitzerinnen und Besitzer einfacher, da nicht alle sich an die Einrichtung und beispielsweise Spezifikationen der Lampen erinnern können. Da die Umwelt- und die Haltungsbedingungen von Reptilien mitunter den grössten Einfluss auf das physische und mentale Wohlergehen von Reptilien haben, sollte dies zwingend mit den Besitzerinnen und Besitzern besprochen werden.

Da viele Reptilien mit Insekten gefüttert werden, sind viele anfällig auf Stoffwechselstörungen des Calcium-Haushalts. Dies äussert sich in der Deformation von Knochen, neurologischen Ausfällen und Problemen mit der Reproduktion. In den allermeisten Fällen ist dies eine direkte Konsequenz falscher Haltung. Reptilien sollten zwingend Zugang zu UVB-Licht haben. Selbst karnivore Arten wie Schlangen profitieren von einer UVB-Quelle im Terrarium. Mediterrane Landschildkröten werden vorzugsweise draussen gehalten und haben Zugang zu direktem Sonnenlicht. Daneben sollte die medizinische Grundversorgung von Reptilien abgedeckt werden. So empfinden zum Beispiel auch Reptilien Schmerzen, was auch entsprechend in der Therapie berücksichtigt werden sollte. Obwohl wir mittlerweile sehr gute Informationen zu Analgesie bei Reptilien haben, werden diese Tiere im Vergleich mit Säugetieren seltener oder mit den falschen Analgetika behandelt3.

Ziervögel

Vögel sind soziale und sehr intelligente Tiere, was in der Haltung berücksichtigt werden sollte. Kein Ziervogel darf in der Schweiz allein gehalten werden. Bei der Käfiggrösse sollten sicherlich die gesetzlichen Mindestmasse eingehalten werden. Grösser ist in diesem Fall aber immer besser und Besitzerinnen und Besitzer sollten dementsprechend auch informiert werden. Wichtig für das Tierwohl ist es, normales Verhalten ausüben zu können. Bei vielen Vögeln gehört dazu die Möglichkeit zu fliegen. Bei kleineren Vögeln wie Wellensittichen ist dies für die Besitzer meist einfacher möglich. Dies sollte unbedingt gefördert werden, da wir immer noch sehr viele übergewichtige Wellensittiche in der Praxis sehen. Sport ist wie bei Menschen auch ein wichtiger Aspekt, um Übergewicht zu verhindern. Gleichzeitig sollte die Umgebung aber auch sicher sein. Wenn Vögel Freiflug in der Wohnung haben, sollte also sichergestellt werden, dass sie keine giftigen Pflanzen oder Fremdkörper aufnehmen können. Auch sollten sie keinen Zugang zur Küche haben, wo unter Umständen giftige Dämpfe entstehen können.

Fehlendes UVB-­Licht und Mangel an ­Calcium führen häufig zu Knochenstoffwechselstörungen und Verformung des Kiefers wie bei dieser Zwergbartagame (Pogona henrylawsoni). (© zvg)

Referenzen

  1. Mellor DJ. Operational Details of the Five Domains Model and Its Key Applications to the Assessment and Management of Animal Welfare. Animals 2017: 7(8): 60
  2. Rioja-Lang F, Bacon H, Connor M, Dwyer CM. Rabbit welfare: determining priority welfare issues for pet rabbits using a modified Delphi method. Veterinary Record Open 2019: 6(1)
  3. Sladky KK and Mans C. Analgesia. In Mader‘s Reptile and Amphibian Medicine and Surgery 3rd edition, Divers SJ and Stahl SJ Eds. W.B. Saunders. 2019: 465–474
 
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