Fokus
«Man muss zuerst auf die emotionale Ebene des Gegenübers zugehen»
Kommunikationsexpertin Regula Flisch verfügt über langjährige Erfahrung im Kindesschutz. Die kommunikativen Herausforderungen sind vergleichbar mit jenen im Tierschutz. Regula Flisch erklärt, wie sich Konflikte entschärfen und einvernehmliche Lösungen finden lassen.
Frau Flisch, Tierärztinnen und Tierärzte sind im Berufsalltag regelmässig mit heiklen Situationen konfrontiert, beispielsweise wenn sie einen Missstand in einem Stall feststellen und den Tierbesitzer beziehungsweise die Tierbesitzerin damit konfrontieren müssen. Wie sollten sie in einer solchen Situation vorgehen?
Regula Flisch: Zunächst einmal ist es wichtig, dass man versucht, das Machtgefälle in den Hintergrund zu rücken und eine gemeinsame Ebene zu finden. Die Tierärztinnen und Tierärzte müssen sich bewusst sein, dass sie in einer ganz anderen Position sind als die Tierhaltenden. Diese haben Angst, dass sie kritisiert und sanktioniert werden, ja dass man ihnen gar ihre Tiere wegnimmt. Sie nehmen den Tierarzt beziehungsweise die Ärztin als Bedrohung wahr und reagieren mangels anderer verfügbarer Emotionen oft mit Wut.
Da mag man noch so sachlich argumentieren, die Botschaft kommt nicht an?
Grundsätzlich gibt es keine rein informative Kommunikation. Jede Kommunikation umfasst neben dem Inhalt auch einen Beziehungsaspekt. Auf der Beziehungsebene kommt zum Ausdruck, wie der Sender und der Empfänger sich zueinander verhalten und wie sie einander einschätzen.
Und dieser Beziehungsaspekt bestimmt die Deutung des Gehörten?
Genau. Wenn Tierärztinnen und Tierärzte argumentieren, dass die Tiere zu wenig Futter und Auslauf bekommen, interpretiert der Adressat das womöglich als persönlichen Angriff. Es ist also wichtig, dass man den Beziehungsaspekt berücksichtigt. Oft ist dieser die Ursache für Missverständnisse und Konflikte. Wird ein Gespräch «auf Augenhöhe» geführt, lässt sich die Botschaft besser vermitteln.
Nur: Das Machtgefälle ist eine Realität, man kann es doch nicht leugnen.
Das stimmt, aber es lässt sich in den Hintergrund rücken. Durch Empathie. In einem ersten Schritt gilt es, die Empfindungen, Gedanken und Ängste der Tierhaltenden zu erkennen und die Emotionen aufzufangen. Man muss auf die emotionale Ebene des Gegenübers zugehen.
Wie lässt sich das machen?
Beispielsweise mit einem Satz wie: «Ich verstehe ihre Sorgen, das ist eine schwierige Situation». Hilfreich ist auch, wenn man die gemeinsamen Interessen herausstreicht: das Wohl der Tiere. In der Regel wollen ja beide Seiten, dass es den Tieren gut geht. Erst wenn man auf dieser gemeinsamen Ebene ist, sollte man mit den Fakten kommen und beispielsweise erklären, wie eine tierschutzkonforme Haltung definiert ist und was das Gesetz bei einem Verstoss vorsieht.
Letztlich aber müssen die Tierärztinnen und Tierärzte auch Entscheidungen treffen, die für die Tierbesitzenden schmerzhaft sein können, etwa, dass ihr geliebtes Tier umplatziert werden muss. Wie vermittelt man diesen Entscheid am besten?
Auch hier ist es hilfreich, eine gemeinsame Ebene zu finden. Idealerweise bezieht man die Tierhaltenden in die Lösungsfindung ein. Man kann etwa an ihre Tierliebe appellieren: «Sie haben ihre Tiere gern, helfen Sie mit, einen guten Platz zu finden.»
Was bewirkt dieser Einbezug?
Er stärkt das Gefühl der Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem ich als Sozialpädagogische Familienbegleiterin involviert war. Bei meinem Besuch stellte ich fest, dass die Familie, die auch Kleinkinder hatte, in der Wohnung einen Rottweiler hielt, ohne nötige Bewilligung. Ich musste eine Gefährdungsmeldung bezüglich der Kinder machen und der Familie mitteilen, dass der Hund nicht bei ihr bleiben darf. Gemeinsam haben wir dann eine gute Lösung für den Hund gefunden. Er kam bei Freunden der Familie unter, die über eine entsprechende Bewilligung verfügten. An der Lösung fand auch die Familie Gefallen. Sie wusste, dass es ihrem Hund dort gut geht und dass sie ihn besuchen kann.
Ein heikles Thema kann auch die Euthanasie sein. Wie soll man vorgehen, wenn sich ein Tierbesitzer oder eine -besitzerin nicht zur Euthanasie durchringen kann, obschon sie aus professioneller Sicht durchgeführt werden sollte?
Auch hier ist es wichtig, dass man zuallererst Empathie zeigt. Man kann sich zum Beispiel erkundigen, welche Bedeutung das Tier für die Tierhaltenden hat und ausdrücken, dass einem das Halsband oder der Name des Tiers gefällt. So lässt sich Nähe schaffen, eine Vertrauensbasis, welche die Tierbesitzenden empfänglicher macht für die nachfolgende Argumentation. In vielen Fällen ist es zudem hilfreich, wenn man den Leuten etwas Zeit gibt für die Verabschiedung und mit ihnen diskutiert, wie ein würdiger Abschied gestaltet sein könnte, etwa in Form einer kleinen Zeremonie.
Was gilt es bei der Argumentation zu beachten?
Bei Themen wie Euthanasie oder Tierschutzvergehen sind die betroffenen Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer oft emotional aufgewühlt. In ihrem Kopf herrscht ein ziemliches Durcheinander. Deshalb sollte man die Argumente gut strukturieren. Beispielsweise in der Form einer Aufzählung: erstens, zweitens, drittens. Oder mit einerseits/andererseits: Was spricht dafür, was dagegen. Am Schluss der Argumentation können die wichtigsten Punkte nochmals zusammengefasst werden. Dabei gilt: maximal drei Punkte aufführen, mehr kann man sich in der Regel nicht merken, erst recht nicht in aufgewühltem Zustand.
Sie haben in Ihrer langjährigen Arbeit im Bereich des Kindesschutzes sehr bedrohliche Situationen erlebt, wurden schon einmal mit einer Schrotflinte angegangen. Auch Tierhaltende reagieren oft hochemotional – etwa wenn sie fürchten, dass man ihnen ihr geliebtes Tier wegnimmt oder dass ihre Existenz als Landwirtin oder Pferdezüchter auf dem Spiel steht. Was ist zu tun, wenn eine Situation zu eskalieren droht?
Bei Voraus-Drohungen empfehle ich, die Polizei beizuziehen und die Drohenden in polizeilicher Begleitung zu besuchen. Wenn man sich – auch ohne Voraus-Drohung – unwohl fühlt, geht man besser zu zweit hin. Überhaupt kann es sich lohnen, heikle Gespräche im Duo zu führen. Die eine Person kann dann die Rolle des «Good Cop» übernehmen, die andere gibt den «Bad Cop». Das funktioniert aber nur in einem eingespielten Team.
Und wenn ein Gespräch unerwartet eskaliert?
Dann sollte man rechtzeitig abbrechen und einen neuen Termin vereinbaren. Oft sind auch Unterbrüche hilfreich. In den Pausen können sich die Leute etwas beruhigen. Und sollten sie «hitzig» bleiben, empfiehlt es sich, Gesprächsregeln zu definieren. Dazu zählt etwa der Verzicht auf jede Art von Drohung oder Beleidigung. Und wie ich bereits ausgeführt habe, können viele Konflikte verhindert werden, wenn man die Leute emotional abholt. Das ist der Schlüssel für eine gelingende Kommunikation und einvernehmliche Lösungsfindung.
Haben Sie zum Schluss für uns Tierärztinnen und Tierärzte noch ein paar besondere Tipps?
Zur Bewältigung von heiklen Themen oder Situationen lohnt sich der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Mit welchen Strategien hatten sie Erfolg? Der Austausch ist einerseits für die eigene Psychohygiene wichtig, denn konfliktreiche Begegnungen können einem ganz schön zusetzen. Andererseits erweitert man so sein Wissen beim Umgang mit heiklen Themen. Auch spezifische Schulungen können hilfreich sein.
Zur Person
Regula Flisch ist seit April 2023 Prorektorin des Bereichs «Weiterbildung und Dienstleistungen» an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG). Nachdem sie 2004 das Studium zur Sozialarbeiterin FH abgeschlossen hatte, sammelte sie Berufserfahrung im Bereich der Sozialen Arbeit. Gemeinsam mit einer Geschäftspartnerin gründete sie 2006 die Fachstelle Inspira, welche im Bereich des Kindes- und Erwachsenenschutzes tätig ist. Ab 2015 war Regula Flisch in verschiedenen Funktionen an der Ostschweizer Fachhochschule tätig, unter anderem als Lehrgangsleiterin des CAS Brennpunkt Kindesschutz sowie CAS Kindes- und Erwachsenenschutz.