Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 164, Heft 11,
November 2022
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 01 November 2022  
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One Health

Corona-Forschung im Veterinärbereich als Beitrag zur SARS-CoV-2 Pandemie­bekämpfung

Dass ein Forschungsinstitut, welches sich mit Tierseuchen beschäftigt Spitzenforschung über SARS-CoV-2 macht, mag auf den ersten Blick überraschen. Jedoch ist jedem Tierarzt der sich mit Infektionserregern befasst klar, dass vor allem in der Veterinärmedizin viel Wissen über Coronaviren vorhanden ist.

Die Forschung zu diesen Viren ist unverzichtbar für die Kontrolle und Prävention, da bisher nicht für alle Krankheiten Impfstoffe oder Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und Coronaviren nach wie vor grosse wirtschaftliche Schäden verursachen. In diesem Artikel versuchen wir aufzuzeigen, wie die Coronavirus-Expertise im Veterinärbereich einen essentiellen Mehrwert zur Pandemiebekämpfung machen konnte.  

Coronaviren wurden erstmals im Jahr 1931 (genauer das avian infectious bronchitis virus, AIBV) in Zusammenhang mit Infektionen in Hühnern beschrieben. Die ersten beschriebenen Coronaviren des Menschen waren «HCoV-229E» und «HCoV-OC43» in den 1960er Jahren. Coronaviren sind daher ein Risiko und eine Gefahr, nicht nur für den Menschen, sondern kommen natürlicherweise auch bei zahlreichen Heim- und Nutztieren vor. Coronaviren können hochpathogene Tiererkrankungen oder sogar Tierseuchen verursachen, wie zum Beispiel PEDV (Porcine Epidemic Diarrhoea Virus), TGEV (Transmissible Gastroenteritis Virus), PRCoV (Porcines Respiratorisches Coronavirus) beim Schwein oder bei den Rindern BCoV (Bovines Coronavirus). FIPV (Felines infectiöses Peritonitis Virus) und FCoV (Felines Coronavirus) sind Coronaviren bei den Katzen und CCoV (Canine enteric Coronavirus) ist bei Hunden zu finden. Es gibt viele weitere Beispiele für Coronaviren bei den unterschiedlichsten Tierarten. Fledermäuse stellen das grösste Reservoir für Coronaviren dar.

Coronaviren können auch für Zoonosen verantwortlich sein

SARS-CoV (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus), MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus), SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2) sind Beispiele aus dem 21. Jahrhundert für Viren, die Zoonosen (Übertragung vom Tier auf den Menschen) verursachten. Sie können schwerwiegende Erkrankungen beim Menschen hervorrufen und Tiere fungieren als Reservoir oder Zwischenwirte. Über Zwischenwirte, wie zum Beispiel die Zibetkatze und Marderhunde, wurde 2002 sehr wahrscheinlich das SARS-CoV von Fledermäusen auf den Menschen übertragen. Bisherige Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin, dass Fledermäuse auch der Ursprung von SARS-CoV-2 sind. Bei Fledermäusen werden neben vielen anderen Erregern auch zahlreiche Viren gefunden, welche auf den Menschen übertragbar sind (SARS-CoV, SARS-CoV-2, Tollwut). Unbekannt ist immer noch, ob SARS-CoV-2 direkt von den Fledermäusen auf den Menschen übertragen wurde oder ob, wie vermutet, noch weitere Tierarten die auf chinesischen Märkten gehandelt werden als Zwischenwirt eine Rolle spielten.

Erkenntnisse aus der Forschung zum PED-Virus beim Schwein und MERS-CoV halfen im Kampf gegen SARS-CoV-2

Zur Familie der Coronaviren gehört auch das Porzine Epidemische Diarrhoe-Virus (PEDV). PEDV war in Europa in den 1980er und 1990er Jahren verbreitet und war vor allem dafür bekannt, dass es ein hochpathogenes Virus in Saugferkeln sein kann. 2012 wurde aus China bekannt, dass ein neuer, bisher unbekannter Stamm aufgetreten ist der in der gesamten Schweinehaltung in China zu grossen Problemen führte. Dieser Stamm wurde 2013 erstmal auch in den USA nachgewiesen und hat sich dann innerhalb weniger Monate über das ganze Land verbreitet. Mehrere Millionen Schweine mussten im Verlauf des Ausbruchs gekeult werden – mit den entsprechenden grossen ökonomischen Verlusten.

Einen PEDV-Impfstoff entwickeln

Um auf eine mögliche Einschleppung des hochpathogenen PEDV-Stamms in die Schweiz vorbereitet zu sein, hat das IVI bereits 2014 ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Veterinärvirologie der Justus-Liebig-Universität in Giessen (Deutschland) gestartet. Das Projekt wurde durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) gefördert und es konnte der hochpathogene PEDV-Stamm (PEDV-Minnesota) synthetisch erzeugt werden. Analysen in den Hochsicherheitslaboratorien des IVI zeigten, dass dieser Stamm tatsächlich hochpathogen ist. Es konnten im Verlauf des Projekts diagnostische Methoden zum Nachweis von PEDV etabliert werden und es wurden erste Ansätze zur Entwicklung eines PEDV-Impfstoffes getestet. Ein PEDV-Impfstoff, der auf einer abgeschwächten Version des PEDV beruht, wird nun zusammen mit einem industriellen Partner entwickelt.

Projekte zur Charakterisierung des MERS-CoV liefern wichtige Antworten

Am IVI liefen seit einigen Jahren auch Projekte zur Charakterisierung des MERS-CoV (Middle-East Respiratory Syndrome Coronavirus), vor allem in Hinblick auf die Frage, warum dieses Virus in Kamelen nur eine leichte Erkältungskrankheit auslöst, während es im Menschen zu einem tödlichen Krankheitsverlauf kommen kann. Dabei wurden insbesondere die zellulären Wirtsantworten aus menschlichen oder Kamelzellen untersucht und relevante humane und Kamel-Schleimhautkultursysteme entwickelt. Diese «Epithel»-Zellkulturen ermöglichen es, die Viren in den natürliche Zielzellen zu studieren, ohne dass dafür Tierversuche nötig sind. Und genau diese menschlichen Epithel-Zellkulturen stellten sich als äusserst wertvoll heraus, als SARS-CoV-2 aufgetaucht ist, da sie auch geeignet sind, die Wechselwirkung zwischen menschlichen Epithel-Zellen und SARS-CoV-2 zu untersuchen.

Als im Januar 2020 die Nachricht von einem neuen SARS-Coronavirus um die Welt ging, war man am IVI gewappnet – man hatte es hier sozusagen mit einem alten Bekannten zu tun. Dank Erfahrung mit Coronaviren beim Tier und etablierten Zellkultur-, Organoid- und Mausmodellen, war man in der Lage, sofort zu handeln. Von Beginn der Pandemie an hat das IVI aktiv an Erkenntnisgewinn und Lösungen zu SARS-CoV-2 beigetragen.

One Health

Im Sinne von One Health hat das IVI durch Laborarbeiten in Virologie und Immunologie zur Pandemiebekämpfung beigetragen und mit verschiedenen Partner Institutionen aus der Humanmedizin und der Veterinärmedizin, aus der Schweiz und aus dem Ausland, zusammengearbeitet. ­Aus­ser­dem ist einiges an «Veterinärexpertise» in die Covid-19-Pandemiebekämpfung eingeflossen, z.B. durch Öffentlichkeitsarbeit, durch Mitarbeit in der Taskforce des Bundes, in verschiedenen Kommissionen sowie in internationalen Gremien und Expertengruppen. SARS-CoV-2 ist ein klassisches Beispiel dafür, wie unverzichtbar Projekte zur Charakterisierung von veterinärmedizinisch relevanten Coronaviren und des MERS-CoV sind im Kampf gegen zukünftige Zoonosen und Pandemien.

Was das IVI konkret beitragen konnte

  • Weltweit erster Klon von SARS-CoV-2: Klonierung des gesamten Genoms in Hefen; wichtiges experimentelles Werkzeug das von vielen Laboratorien weltweit genutzt wird.
  • Vergleich von SARS-CoV-2 «Variants of Concern» (VOCs) in Kompetitionsexperimenten; ein experimentelles System, das Tierversuche reduziert und nun von vielen Forschern weltweit verwendet wird.
  • SARS-CoV-2: Entwicklung von zwei Impfstoff­kandidaten. Ein Kandidat ist ein sogenannter Lebendimpfstoff, der auf ein abgeschwächtes SARS-CoV-2 beruht und in Form eines Nasensprays verabreicht ­werden kann. Ein zweiter Kandidat ist ein sogenannter Vektorimpfstoff, der auf dem Vesikulären Stomatitis-­Virus (VSV) als Vektor basiert und das SARS-CoV-2 Spike-Protein als Antigen enthält.
  • Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten für das FIP-Virus in Katzen mit antiviralen Substanzen.
  • PEDV: Entwicklung eines Impfstoffes mit dem BLV und industriellen Partnern.
  • Funktionelle Charakterisierung von neuen auftretenden SARS-CoV-2 Varianten (publizierte Studien zu ­SARS-CoV-2 Spike-D614G, VOCs Alpha, Beta, Delta und Omicron-BA.1).
  • Entwicklung und Testung von antiviralen Substanzen und Behandlungsmöglichkeiten in EU-Projekten.
  • Wissenschaftliche Beratung auf nationaler (z. B. Swiss National COVID-19 Science Task Force) und ­internationaler Ebene (z. B. WHO, ECDC).

Nadine Ebert und Volker Thiel

Coronaviren sind ein Risiko und eine Gefahr, nicht nur für den Menschen, sondern auch für zahlreiche Heim- und Nutztiere.
Diese menschlichen Epithel-Zellkulturen der Atemwege stellten sich als äusserst wertvoll ­heraus, als SARS-CoV-2 aufgetaucht ist, da sie auch geeignet sind, die Wechselwirkungen ­zwischen menschlichen Epithel-Zellen und SARS-CoV-2 zu untersuchen.
 
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