Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 164, Heft 3,
März 2022
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 28 Februar 2022  
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Vet-Info

Welches Virus steckt hinter der Grippe?

In Kooperation mit der ­Vetsuisse-Fakultät der ­Universität Bern

Während alle Welt auf die SARS-CoV-2-Pandemie schaut, grassiert derzeit ein anderes Virus in Europa, das die Geflügelindustrie hart trifft. Hunderttausende von Tieren mussten diesen Winter bereits getötet werden, um der Geflügelpest Herr zu werden. Der Auslöser dieser Tierseuche ist ein Influenza-Virus. Andere Influenza-Viren infizieren Schweine, oder lösen die «Grippe» beim Menschen aus. Welcher Zusammenhang besteht zwischen diesen verschiedenen Influenza-Viren?

Interview mit Dr. Gert Zimmer, Virologe am Institut für Virologie und Immuno­logie (IVI) und der Universität Bern.

Redaktion SAT: Was zeichnet Influenzaviren aus?
Der Begriff «Influenzavirus» bezeichnet eine Vielzahl von Viren, die durch ein Genom aus 8 oder 7 Segmenten einzelsträngiger RNA charakterisiert sind. Heute werden die Influenza-Viren in 4 Gattungen eingeteilt: Influenza A, B, C, und D, die zusammen die Virusfamilie der «Orthomyxoviren» bilden. Die Influenza-A-Viren stellen dabei die grösste Gattung dar. Sie zirkulieren vor allem in wildlebenden Vögeln, kommen aber auch in verschiedenen Säugetieren und dem Menschen vor. Die Influenza-B- und C-Viren sind fast ausschliesslich humanpathogene Viren. Die Influenza-D-Viren wurden erst kürzlich entdeckt. Sie infizieren und vermehren sich vor allem in Kühen, Schafen und anderen grossen Säugetieren.

Warum sind Influenzaviren durch die Buchstaben und Zahlen «Hx» und «Nx» gekennzeichnet?
Die Influenza-A-Viren sind mit einer Lipidhülle umgeben, die zwei Proteinantigene enthält, gegen die das Immunsystem des Wirtes Antikörper bildet, das Hämagglutinin (HA) und die Neuraminidase (NA). Diese Antigene kommen in verschiedenen Ausführungen (Subtypen) vor, die sich serologisch und phylogenetisch voneinander unterscheiden. Zurzeit sind 18 verschiedene Subtypen des HA (H1 bis 18) und 11 verschiedene Subtypen des NA (N1 bis 11) bekannt.

In der Schweiz wurde im November 2021 in Hühnern ein H5N1-Virus nachgewiesen. Was können Sie uns über dieses Virus sagen?
Das Nationale Referenzlabor für Geflügel- und Kaninchenkrankheiten (NRGK) der Universität Zürich fand heraus, dass es sich um eine Infektion mit dem aviären Influenza-A-Virus des Subtyps H5N1 handelte. Am IVI, dem nationalen Referenzzentrum für hochansteckende Tierseuchen, wurde dann mittels Sequenzierung festgestellt, dass es sich um ein hochpathogenes H5N1-Virus handelt.

Was bedeutet «hochpathogen» oder «niedrigpathogen»?
Die Begriffe «hochpathogen» und «niedrigpathogen» beziehen sich auf die Pathogenität der Influenza-A-Viren in Vögeln! Bei den hochpathogenen aviären Influenza-A-Viren handelt es sich um Virusmutanten, die sich rasend schnell in einer Vielzahl von Organen des Wirtes vermehren, was beim Geflügel zu schweren Krankheitsverläufen mit meist tödlichem Ausgang führt. Aus noch unbekannten Gründen finden sich hochpathogene Vertreter nur bei aviären Influenza-A-Viren der Subtypen H5Nx oder H7Nx.

Warum kommt es immer wieder zu Infektionen mit aviären Influenza-A-Viren?
Ein Grund hierfür ist, dass aviäre Influenza-A-Viren ihr Reservoir in wildlebenden Vögeln haben. Die genetische Vielfalt der Influenza-A-Viren in diesen Wirten ist enorm gross. Bisher wurden die HA-Subtypen H1 bis H16 und die NA-Subtypen N1bis N9 in verschiedenen Kombinationen nachgewiesen (z.B. H5N1, H5N8, H7N1, H9N2 usw.). Gelegentlich kann es zur Übertragung aviärer Influenza-A-Viren von Vögeln auf Säugetiere und den Menschen kommen. Zumeist besitzen Säugetiere keine vorgebildete Immunität gegen diese Viren, da Influenza-A-Viren, die in Säugetieren zirkulieren, andere HA-und NA-Subtypen aufweisen.    

Gibt es für Nutztiere Impfstoffe gegen Influenza?
Die generelle Impfung von Geflügel gegen aviäre Influenza-A-Viren der Subtypen H5Nx und H7Nx ist in Europa nicht gestattet. Dieses Impfverbot beruht auf der Beobachtung, dass Tiere, die mit Impfstoffen immunisiert wurden, zwar nicht erkranken, aber dennoch Virus ausscheiden können. Die Seuche könnte sich daher unbemerkt ausbreiten. In Frankreich scheint man aufgrund der aktuellen kritischen Situation dennoch zur Impfung greifen zu wollen.

Kommerziell zugelassene Impfstoffe gegen Influenza bei Schweinen gibt es in der Schweiz nicht. Impfungen sind in Einzelfällen möglich, wenn ein Impfstoff aus dem Ausland importiert wird, wofür es jedoch eine Sondereinfuhrbewilligung des IVI braucht.
    
Wie hoch ist das zoonotische Potenzial tierischer Influenzaviren?
Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass es aviären Influenza-A-Viren nicht einfach fällt, sich im Menschen so zu vermehren, dass es zu weiteren Transmissionen kommt. Das heisst nicht, dass es für diese Viren unmöglich wäre, sich im Menschen als neuen Wirt zu etablieren, allerdings sind hierzu zahlreiche Veränderungen (Mutationen) in mehreren viralen Genen notwendig. Trotz dieser Barrieren waren in der Vergangenheit auch Menschen, die direkten Kontakt zu infiziertem Geflügel hatten, von Infektionen mit aviären Influenza-A-Viren betroffen. Die WHO registrierte zwischen 2003 und 2021 862 Fälle von Infektionen mit einem asiatischen Stamm H5N1, die mit einer sehr hohen Mortalitätsrate (56%) verbunden war. Eine Übertragung von H5N1 von Mensch zu Mensch wurde jedoch glücklicherweise nicht beobachtet. Bei porzinen Influenza-A-Viren stellt sich die Situation anders dar, diese Viren können sich sehr leicht an den Menschen anpassen.

Warum spielt das Schwein eine besondere Rolle bei der Entstehung von Influenza-Pandemien?
Schweine sind nicht nur für porzine, sondern auch für humane und aviäre Influenza-A-Viren empfänglich. Kommt es nun zu einer gleichzeitigen Infektion der Tiere mit zwei verschiedenen Influenza-A-Viren, so kann es aufgrund ihres segmentierten Genoms zu einem Austausch von Gensegmenten kommen. Die dabei entstehenden Viren werden als «Reassortanten» bezeichnet und enthalten eine Kombination von Gensegmenten beider Elternviren. Wenn von diesem Austausch die Gensegmente betroffen sind, die die genetische Information für das HA- und/oder das NA-Antigen enthalten, können die Reassortanten neue antigene Eigenschaften aufweisen, für die in der Bevölkerung keinerlei Immunität besteht. Dann besteht die Gefahr, dass Reassortanten eine Pandemie auslösen. Bekannte Beispiele hierfür sind die «Asiatische Grippe» von 1957, die «Hong Kong Grippe» von 1968, und die «Schweinegrippe» von 2009.

Wenn wir als Menschen im Winter die «Grippe» bekommen, welches Influenza Virus ist das?
Die «Grippe» wurde in den letzten Jahren durch humane Influenza-A-Viren der Subtypen H1N1 und H3N2 sowie durch Influenza-B-Viren ausgelöst. Dementsprechend enthält der Grippeimpfstoff, der jedes Jahr im Herbst verabreicht wird, die Antigene aller drei Virusvertreter. Da sich die Antigene dieser Viren durch Mutationen kontinuierlich verändern («Antigendrift»), werden die Impfstoffe jedes Jahr aktualisiert.

Was forscht das IVI zu Influenzaviren?
Wir verfolgen das Ziel, neue und verbesserte Impfstoffe zum Schutz vor Influenza-A-Viren zu entwickeln. Erste Ergebnisse zeigen, dass es mit modernen Impfstoffen durchaus gelingen kann, in Hühnern die Ausscheidung von hochpathogenen aviären Influenza-A-Viren der Subtypen H5Nx und H7Nx gänzlich zu unterbinden. Solche Impfstoffe würden nicht nur das Geflügel vor der Erkrankung schützen, sondern auch das Risiko einer Übertragung auf den Menschen reduzieren.

Da das Hausschwein ein wichtiger Zwischenwirt bei der Entstehung von pandemischen Influenza-A-Viren darstellt, arbeiten wir auch an Impfstoffen, die nasal appliziert werden können, um in Schweinen eine «mukosale» Immunantwort zu induzieren, die die Infektion bereits in der Eingangspforte des Wirtes unterbindet. Eine weitere Herausforderung ist die ausgeprägte Veränderlichkeit der Viren. Wir versuchen daher, Impfstoffe zu entwickeln, die eine breite Immunität gegen verschiedene Influenza-A-Viren induzieren können. Diesem Ziel sind wir bereits ein Stück nähergekommen. Wir konnten zeigen, dass nicht nur das sehr veränderliche HA-Antigen, sondern auch das weitaus stärker konservierte NA-Antigen eine schützende Immunantwort induzieren kann.

Gert Zimmer, IVI
 
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