Tollwut
Mit One Health zum ErfolgWarum Inter- und Transdisziplinarität für die Kontrolle von Tollwut unabdingbar sind
Die Tollwut ist in unseren Breitegraden noch selten ein Thema von grossem Interesse, ausser bei Importen von Haustieren oder Vorsorgeimpfungen für Reisende in Risikoländer. Selten werden auch Fälle bei Fledermäusen entdeckt, wie eben Ende Juni, als die fünfte tollwutpositive Fledermaus innerhalb von 30 Jahren in der Schweiz im Kanton Bern gefunden wurde.
Die Tollwut kann ausgerottet werden
Die erfolgreiche Ausrottung dieser Viruskrankheit bei Hunden und bei Wildtieren war möglich dank eines alten, aber effizienten Impfstoffes, dessen Grundlagen von Louis Pasteur in Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt und im Jahr 1885 erstmals erfolgreich angewandt wurde.1 Bereits vor 40 Jahren, als die Schweiz die Köderimpfung bei der Fuchspopulation neu einsetzte, wurde jedoch klar, dass ein guter Impfstoff alleine nicht den Erfolg garantiert. Neben Wissen von Virologen und Impfstoffexperten, brauchte es Kenntnisse von Wildtierbiologen und die enge Zusammenarbeit mit Wildhütern und der Forstwirtschaft für eine erfolgreiche Strategie. Eine starke Beimpfung der Jungfüchse im Frühsommer, damit die nächste Generation von Anfang an gegen das Virus geschützt wurde, war schlussendlich entscheidend.2, 3
Die Tollwut ist global noch immer ein Problem
Weltweit gesehen ist die Tollwut jedoch leider immer noch von grosser Bedeutung. Jährlich sterben gemäss einer weltweiten Studie schätzungsweise 60 000 Menschen an der Krankheit, davon sind Kinder mit 40% aller Fälle überrepräsentiert.4 Die Ansteckung des Menschen geschieht bei über 99% der Fälle durch den Haushund.5 Die urbane Tollwut, deren Zyklus durch den Hund aufrechterhalten wird, ist also von viel grösserer Bedeutung als die sylvatische Tollwut der Wildtiere. Die Zahlen zeigen, dass die urbane Tollwut, die in Afrika und weiten Teilen Asiens sowie in einigen lateinamerikanischen Ländern endemisch vorkommt, eine Krankheit der armen Bevölkerung ist.4 Opfer von Hundebissen, die nicht geimpft sind oder nicht sofort eine post-expositionelle Prophylaxe (PEP) erhalten, um im Falle einer Infektion den fast sicheren Tod zu verhindern, wissen oft nach Wochen noch nicht, ob das Virus übertragen wurde. Vor allem in ländlichen Gebieten sind die jährlichen PEP-Reserven meist schon nach zwei bis drei Monaten verbraucht und können, wenn überhaupt, nur noch zu überteuerten Konditionen erworben werden. Dies führt zu einer enormen psychischen Belastung für die Betroffenen und ihre Familien. Nebst der Übertragung auf den Menschen kann die Hundetollwut auch auf andere Säugetiere übertragen werden. So hat sie grosse Auswirkungen auf den Viehbestand, vor allem in Ländern, in denen das Vieh für viele Menschen die Lebensgrundlage bedeutet,6 sowie auf die Wildtierpopulation, insbesondere beim Spill-over auf bedrohte Tierarten.7, 8 Die jährlichen, durch Tollwut verursachten Kosten wurden auf 8,6 Milliarden USD geschätzt.4 Dabei machen die Veterinärkosten für Impfungen von Hunden nur 1,5% aus.
Die Hürden liegen bei der Umsetzung
Die Gründe, dass die Tollwut trotz eines äussert effektiven Impfstoff bei Mensch und Tier nicht ausgerottet werden konnte, sind vielfältig.9 Wichtige Faktoren sind die allgemeine Vernachlässigung der Krankheit und die Haltungsbedingungen der Hunde. Es muss davon ausgegangen werden, dass nur einer von 100 Tollwutfällen beim Menschen überhaupt in den nationalen Statistiken auftaucht und somit die Relevanz der Tollwut über viele Jahre hochgradig unterschätzt wurde.4, 10 Dies führte wiederum zu einer tiefen Priorisierung der Krankheit und dadurch zu fehlenden Investitionen in die Tollwutüberwachung. Des Weiteren werden die Hunde in den tollwutendemischen Ländern so gehalten, dass sie zumindest zeitweise unkontrolliert Herumstreunen können. Dies führt zu häufigen Kontakten und dadurch Übertragungen von Infektionskrankheiten unter ihnen .11 Zudem sind die Hunde kaum gegen die Tollwut geimpft. Studien und Erfahrung haben gezeigt, dass bereits eine Impfabdeckung von 70% zu einer genügend hohen Herdenimmunität führt, um die Krankheit auszurotten.12–14 Oft ist es mit subventionierten Impfkampagnen möglich, eine solche Impfabdeckung zu erreichen und die Tollwut gar auszurotten.15 Solche Aktionen sind jedoch meist nicht nachhaltig, sodass nur lokale und kurzfristige Erfolge erzielt werden. Ein Grund dafür ist, dass die Hundetollwut in den betroffenen Ländern oft ein eine «administrative Lücke» fällt, da Hunde keine Nutztiere sind und deshalb nicht durch die Landwirtschaftsministerien abgedeckt werden. Gleichzeitig sehen sich auch die Gesundheitsministerien nicht in der Pflicht, die Krankheit bei der Wurzel zu packen – nämlich bei den Hunden.
Zero by 30 – ein One-Health-Ansatz
Gleichwohl haben sich die Weltgesundheitsorganisationen für Mensch (WHO) und Tier (WOAH), die UN Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und die Global Alliance for Rabies Control (GARC) zusammen mit den Ministerien der betroffenen Ländern 2015 das Ziel gesetzt, mit der Kampagne «Zero by 30» bis 2030 die Tollwut beim Menschen, die durch den Hund übertragen wird («dog-mediated human rabies»), weltweit auszurotten.16 Dieses Ziel wird seit 2020 durch das Netzwerk «United Against Rabies», welches durch WHO, WOAH und FAO gegründet wurde, weiterverfolgt (www.unitedagainstrabies.org). Die Bestandteile der Kampagne sind eine Verbesserung des Bewusstseins über Tollwut bei der Bevölkerung, ein optimierter Zugang und evidenzbasierte Priorisierung von PEP, eine nachhaltige Strategie zur Impfung der Hundepopulation über längere Zeiträume, sowie die Förderung einer verantwortungsvollen Hundehaltung. Dieses ambitionierte Unterfangen kann nur durch einen integrativen Ansatz erreicht werden – ganz im Sinne von One Health: interdisziplinäre Zusammenarbeit der Human- und Tiermedizin, Umweltsektoren und Sozialwissenschaften, sowie eine transdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Behörde, Gesellschaft und Forschung.
Beispiel Uganda
Nehmen wir das Beispiel von Uganda, wo das VPHI der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern mit diversen Partnern Forschung zur Tollwut betreibt.11, 17, 18 In Uganda ist Tollwut bei Hunden endemisch und jedes Jahr sterben auch Menschen daran, aber es gibt kaum offizielle Statistiken dazu.19 Beim persönlichen Austausch mit Leitenden von Gesundheitszentren wurde klar, dass sich pro Monat bis zu gegen 50 Personen mit Bissverletzungen, meist von Hunden, melden. Ist der involvierte Hund nicht mehr vor Ort oder verhält sich verdächtig, wird dem Bissopfer eine PEP verabreicht. Dies führt dazu, dass die jährlich vorhandenen PEP-Dosen der Gesundheitszentren rasch aufgebraucht sind, ohne zu wissen, ob die beissenden Hunde tollwütig waren, dass heisst, ob also die PEP überhaupt nötig waren. In Uganda werden Proben von tollwutverdächtigen Hunden zurzeit an zwei Laboren in der Hauptstadt untersucht. Bis das Diagnostik-Ergebnis vorliegt, können Tage bis Wochen vergehen. Eine integrative und dezentralisierte Überwachung der tollwutverdächtigen Hunde und Bissopfer, wie sie in Uganda nun projektbasiert angestrebt wird, würde eine evidenzbasierte, gezielte Anwendung von PEP ermöglichen. Überflüssige Verabreichungen von PEP könnten vermieden und dadurch Kosten gespart werden.
Der One-Health-Gedanke sollte auch bezüglich der ökonomischen Verantwortung der Ministerien für die Hundeimpfung verankert werden. Wenn die Hundepopulation geimpft wird, wird nicht nur die Tollwut bekämpft, sondern auch ein Beitrag zum Wohl der Tiere bei den Hunden erwirkt.15 Zudem führt weniger Tollwut bei Hunden direkt zu vermindertem Ansteckungsrisiko beim Menschen, was von Gesundheitsministerien angestrebt werden sollte. Das zeigt, dass nur eine gemeinsame Investition der Ressourcen aus verschiedenen Ministerien in Hundeimpfung und in die gezielte PEP-Verabreichung als gemeinsames Ganzes erfolgreich sein kann. Wenn solche Ansätze im Rahmen eines fundierten Plans umgesetzt werden, können Länder auch auf die Unterstützung für das Erreichen des Ziels «Zero by 30» durch internationale Organisation zählen, welche die Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen für Hunde und Menschen unterstützen.
Bei «Zero by 30» geht es also nicht einfach darum, einen guten Impfstoff weitläufig zu verteilen, sondern es soll ermöglicht werden, dass alle Bereiche und Behörden zusammenspielen, um Systeme zu schaffen, die eine effektive Bekämpfung auf Dauer ermöglichen. Die Voraussetzungen sind gut, denn es gibt einen guten Impfstoff, die Verbreitung der Krankheit geschieht relativ langsam und es gibt sogar die Möglichkeit, post-expositionell zu reagieren. Die Tollwutbekämpfung hat also beste Voraussetzungen, erfolgreich zu sein, falls die Gesellschaft es wirklich will. Ein One-Health-Ansatz ist nötig, bestehende gesellschaftliche Barrieren zu überwinden – hoffentlich wird die Kontrolle weiterer Zoonosen diesem Beispiel folgen.
Salome Dürr 1 und Barbara Wieland 2,3
1Veterinary Public Health Institut, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern, Bern, Schweiz;
2Institut für Virologie und Immunologie, Mittelhäusern, Schweiz;
3 Departement für Infektionskrankheiten und Pathobiologie, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern, Schweiz
Schweizerische Tollwutzentrale
Als Nationales Referenzlabor für Tollwut in Mensch und Tier, ist die Tollwutzentrale am Institut für Virologie und Immunologie (IVI) für die Diagnostik der Tollwut bei Mensch und Tier zuständig. Dies beinhaltet vor allem die serologische Überprüfung der Tollwutimpfung im human- und veterinärmedizinischen Bereich und die Überprüfung von Tollwut-Immunglobulinpräparate für die post-expositionelle Behandlung von Menschen. Durch Expertise unterstützt die Tollwutzentrale die Gesundheits- und Veterinärbehörden (Bund und Kantone) bei der Erkennung und Überwachung und bietet Beratung für Ärzte, Tierärzte, betroffene Personen aus der Bevölkerung und Behörden an. Dies beinhaltet zum Beispiel Fragen zu Expositionen von Menschen zu tollwutverdächtigen Tieren im In- und Ausland (prä- und post-expositionelle Prophylaxe) oder zu internationale Reisen mit Haustieren und Tierverkehr im Rahmen vom Pets Travel Scheme (PETS).
Mehr Informationen auf:
www.ivi.admin.ch > Diagnostik > Schweizerische Tollwutzentrale
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