Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 164, Heft 9,
September 2022
 
Thema Themenheft Tollwut | Cahier thématique Rage  
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 30 August 2022  
SAT archive search
Extended search

Tollwut

Mit One Health zum Erfolg

Warum Inter- und Transdisziplinarität für die Kontrolle von Tollwut unabdingbar sind

Die Tollwut ist in unseren Breitegraden noch selten ein Thema von grossem Interesse, ausser bei Importen von Haustieren oder Vorsorgeimpfungen für Reisende in Risikoländer. Selten werden auch Fälle bei Fledermäusen entdeckt, wie eben Ende Juni, als die fünfte tollwutpositive Fledermaus innerhalb von 30 Jahren in der Schweiz im Kanton Bern gefunden wurde.

Die Tollwut kann ausgerottet werden

Die erfolgreiche Ausrottung dieser Viruskrankheit bei Hunden und bei Wildtieren war möglich dank eines alten, aber effizienten Impfstoffes, dessen Grundlagen von Louis Pasteur in Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt und im Jahr 1885 erstmals erfolgreich angewandt wurde.1 Bereits vor 40 Jahren, als die Schweiz die Köder­impfung bei der Fuchspopulation neu einsetzte, wurde jedoch klar, dass ein guter Impfstoff alleine nicht den Erfolg garantiert. Neben Wissen von Virologen und Impfstoffexperten, brauchte es Kenntnisse von Wildtierbiologen und die enge Zusammenarbeit mit Wildhütern und der Forstwirtschaft für eine erfolgreiche Strategie. Eine starke Beimpfung der Jungfüchse im Frühsommer, damit die nächste Generation von Anfang an gegen das Virus geschützt wurde, war schlussendlich entscheidend.2, 3

Die Tollwut ist global noch immer ein Problem

Weltweit gesehen ist die Tollwut jedoch leider immer noch von grosser Bedeutung. Jährlich sterben gemäss einer weltweiten Studie schätzungsweise 60 000 Menschen an der Krankheit, davon sind Kinder mit 40% aller Fälle überrepräsentiert.4 Die Ansteckung des Menschen geschieht bei über 99% der Fälle durch den Haushund.5 Die urbane Tollwut, deren Zyklus durch den Hund aufrechterhalten wird, ist also von viel grösserer Bedeutung als die sylvatische Tollwut der Wildtiere. Die Zahlen zeigen, dass die urbane Tollwut, die in Afrika und weiten Teilen Asiens sowie in einigen lateinamerikanischen Ländern endemisch vorkommt, eine Krankheit der armen Bevölkerung ist.4 Opfer von Hundebissen, die nicht geimpft sind oder nicht sofort eine post-expositionelle Prophylaxe (PEP) erhalten, um im Falle einer Infektion den fast sicheren Tod zu verhindern, wissen oft nach Wochen noch nicht, ob das Virus übertragen wurde. Vor allem in ländlichen Gebieten sind die jährlichen PEP-Reserven meist schon nach zwei bis drei Monaten verbraucht und können, wenn überhaupt, nur noch zu überteuerten Konditionen erworben werden. Dies führt zu einer enormen psychischen Belastung für die Betroffenen und ihre Familien. Nebst der Übertragung auf den Menschen kann die Hundetollwut auch auf andere Säugetiere übertragen werden. So hat sie grosse Auswirkungen auf den Viehbestand, vor allem in Ländern, in denen das Vieh für viele Menschen die Lebensgrundlage bedeutet,6 sowie auf die Wildtierpopulation, insbesondere beim Spill-over auf bedrohte Tierarten.7, 8 Die jährlichen, durch Tollwut verursachten Kosten wurden auf 8,6 Milliarden USD geschätzt.4 Dabei machen die Veterinärkosten für Impfungen von Hunden nur 1,5% aus.

Die Hürden liegen bei der Umsetzung

Die Gründe, dass die Tollwut trotz eines äussert effektiven Impfstoff bei Mensch und Tier nicht ausgerottet werden konnte, sind vielfältig.9 Wichtige Faktoren sind die allgemeine Vernachlässigung der Krankheit und die Haltungsbedingungen der Hunde. Es muss davon ausgegangen werden, dass nur einer von 100 Tollwutfällen beim Menschen überhaupt in den nationalen Statistiken auftaucht und somit die Relevanz der Tollwut über viele Jahre hochgradig unterschätzt wurde.4, 10 Dies führte wiederum zu einer tiefen Priorisierung der Krankheit und dadurch zu fehlenden Investitionen in die Tollwutüberwachung. Des Weiteren werden die Hunde in den tollwutendemischen Ländern so gehalten, dass sie zumindest zeitweise unkontrolliert Herumstreunen können. Dies führt zu häufigen Kontakten und dadurch Übertragungen von Infektionskrankheiten unter ihnen .11 Zudem sind die Hunde kaum gegen die Tollwut geimpft. Studien und Erfahrung haben gezeigt, dass bereits eine Impfabdeckung von 70% zu einer genügend hohen Herdenimmunität führt, um die Krankheit auszurotten.12–14 Oft ist es mit subventionierten Impfkampagnen möglich, eine solche Impfabdeckung zu erreichen und die Tollwut gar auszurotten.15 Solche Aktionen sind jedoch meist nicht nachhaltig, sodass nur lokale und kurzfristige Erfolge erzielt werden. Ein Grund dafür ist, dass die Hundetollwut in den betroffenen Ländern oft ein eine «administrative Lücke» fällt, da Hunde keine Nutztiere sind und deshalb nicht durch die Landwirtschaftsministerien abgedeckt werden. Gleichzeitig sehen sich auch die Gesundheitsministerien nicht in der Pflicht, die Krankheit bei der Wurzel zu packen – nämlich bei den Hunden.

Zero by 30 – ein One-Health-Ansatz

Gleichwohl haben sich die Weltgesundheitsorganisationen für Mensch (WHO) und Tier (WOAH), die UN Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und die Global Alliance for Rabies Control (GARC) zusammen mit den Ministerien der betroffenen Ländern 2015 das Ziel gesetzt, mit der Kampagne «Zero by 30» bis 2030 die Tollwut beim Menschen, die durch den Hund übertragen wird («dog-mediated human rabies»), weltweit auszurotten.16 Dieses Ziel wird seit 2020 durch das Netzwerk «United Against Rabies», welches durch WHO, WOAH und FAO gegründet wurde, weiterverfolgt (www.unitedagainstrabies.org). Die Bestandteile der Kampagne sind eine Verbesserung des Bewusstseins über Tollwut bei der Bevölkerung, ein optimierter Zugang und evidenzbasierte Priorisierung von PEP, eine nachhaltige Strategie zur Impfung der Hundepopulation über längere Zeiträume, sowie die Förderung einer verantwortungsvollen Hundehaltung. Dieses ambitionierte Unterfangen kann nur durch einen integrativen Ansatz erreicht werden – ganz im Sinne von One Health: interdisziplinäre Zusammenarbeit der Human- und Tiermedizin, Umweltsektoren und Sozialwissenschaften, sowie eine transdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Behörde, Gesellschaft und Forschung.

Beispiel Uganda

Nehmen wir das Beispiel von Uganda, wo das VPHI der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern mit diversen Partnern Forschung zur Tollwut betreibt.11, 17, 18 In Uganda ist Tollwut bei Hunden endemisch und jedes Jahr sterben auch Menschen daran, aber es gibt kaum offizielle Statistiken dazu.19 Beim persönlichen Austausch mit Leitenden von Gesundheitszentren wurde klar, dass sich pro Monat bis zu gegen 50 Personen mit Bissverletzungen, meist von Hunden, melden. Ist der involvierte Hund nicht mehr vor Ort oder verhält sich verdächtig, wird dem Bissopfer eine PEP verabreicht. Dies führt dazu, dass die jährlich vorhandenen PEP-Dosen der Gesundheitszentren rasch aufgebraucht sind, ohne zu wissen, ob die beissenden Hunde tollwütig waren, dass heisst, ob also die PEP überhaupt nötig waren. In Uganda werden Proben von tollwutverdächtigen Hunden zurzeit an zwei Laboren in der Hauptstadt untersucht. Bis das Diagnostik-Ergebnis vorliegt, können Tage bis Wochen vergehen. Eine integrative und dezentralisierte Überwachung der tollwutverdächtigen Hunde und Bissopfer, wie sie in Uganda nun projektbasiert angestrebt wird, würde eine evidenzbasierte, gezielte Anwendung von PEP ermöglichen. Überflüssige Verabreichungen von PEP könnten vermieden und dadurch Kosten gespart werden.

Der One-Health-Gedanke sollte auch bezüglich der ökonomischen Verantwortung der Ministerien für die Hundeimpfung verankert werden. Wenn die Hunde­population geimpft wird, wird nicht nur die Tollwut bekämpft, sondern auch ein Beitrag zum Wohl der ­Tiere bei den Hunden erwirkt.15 Zudem führt weniger Tollwut bei Hunden direkt zu vermindertem Ansteckungsrisiko beim Menschen, was von Gesundheitsministerien angestrebt werden sollte. Das zeigt, dass nur eine gemeinsame Investition der Ressourcen aus verschiedenen Ministerien in Hundeimpfung und in die gezielte PEP-Verabreichung als gemeinsames Ganzes erfolgreich sein kann. Wenn solche Ansätze im Rahmen eines fundierten Plans umgesetzt werden, können Länder auch auf die Unterstützung für das Erreichen des Ziels «Zero by 30»  durch internationale Organisation zählen, welche die Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen für Hunde und Menschen unterstützen.

Bei «Zero by 30» geht es also nicht einfach darum, einen guten Impfstoff weitläufig zu verteilen, sondern es soll ermöglicht werden, dass alle Bereiche und Behörden zusammenspielen, um Systeme zu schaffen, die eine effektive Bekämpfung auf Dauer ermöglichen. Die Vor­aussetzungen sind gut, denn es gibt einen guten Impfstoff, die Verbreitung der Krankheit geschieht relativ langsam und es gibt sogar die Möglichkeit, post-expositionell zu reagieren. Die Tollwutbekämpfung hat also beste Voraussetzungen, erfolgreich zu sein, falls die Gesellschaft es wirklich will. Ein One-Health-Ansatz ist nötig, bestehende gesellschaftliche Barrieren zu überwinden – hoffentlich wird die Kontrolle weiterer Zoonosen diesem Beispiel folgen.

Salome Dürr 1 und Barbara Wieland 2,3

1Veterinary Public Health Institut, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern, Bern, Schweiz;
2Institut für Virologie und Immunologie, Mittelhäusern, Schweiz;
3 Departement für Infektionskrankheiten und Pathobiologie, Vetsuisse Fakultät, Universität Bern, Schweiz

Die Hauptbetreuungspersonen von Hunden sind oft die Kinder, wie hier bei einer Familie in Soroti, im Norden von Uganda.
(Foto: © S. Dürr)
Bei der üblichen Haltung von Haushunden in Uganda, wie auch in anderen tollwutendemischen Ländern, können sich die Hunde im Hof und auf der Strasse frei bewegen.
(Foto: © Ch. Warembourg)

Schweizerische Tollwutzentrale

Als Nationales Referenzlabor für Tollwut in Mensch und Tier, ist die Tollwutzentrale am Institut für Virologie und Immunologie (IVI) für die Diagnostik der Tollwut bei Mensch und Tier zuständig. Dies beinhaltet vor allem die serologische Überprüfung der Tollwutimpfung im human- und veterinärmedizinischen Bereich und die Überprüfung von Tollwut-Immunglobulinpräparate für die post-expositionelle Behandlung von Menschen. Durch Expertise unterstützt die Tollwutzentrale die Gesundheits- und Veterinärbehörden (Bund und Kantone) bei der Erkennung und Überwachung und bietet Beratung für Ärzte, Tierärzte, betroffene Personen aus der Bevölkerung und Behörden an. Dies beinhaltet zum Beispiel Fragen zu Expositionen von Menschen zu tollwutverdächtigen Tieren im In- und Ausland (prä- und post-expositionelle Prophylaxe) oder zu internationale Reisen mit Haustieren und Tierverkehr im Rahmen vom Pets Travel Scheme (PETS).

Mehr Informationen auf:

www.ivi.admin.ch > Diagnostik > Schweizerische Tollwutzentrale

Referenzen

  1. Hicks DJ, Fooks AR, Johnson N. Developments in rabies vaccines. Clin Exp Immunol (2012) 169:199–204. doi:10.1111/j.1365-2249.2012.04592.x
  2. Müller UM, Kappeler A, Zanoni RG, Breitenmoser U. Der Verlauf der Tollwut in der Schweiz-Landschaft prägt die Ausbreitung einer Wildtierepidemie. Schweiz Arch Tierheilk (2000) 142:431–438.
  3. Breitenmoser U, Müller U, Kappeler A, Zanoni RG. Die Endphase der Tollwut in der Schweiz. Schweiz Arch Tierheilkd (2000) 142:447–454.
  4. Hampson K, Coudeville L, Lembo T, Sambo M, Kieffer A, Attlan M, Barrat J, Blanton JD, Briggs DJ, Cleaveland S, et al. Estimating the Global Burden of Endemic Canine Rabies. PLoS Negl Trop Dis (2015) 9:e0003709. doi:10.1371/journal.pntd.0003709
  5. World Health Organization. WHO Expert Consultation on Rabies, second report. (2013). Available at: http://medibox.org/preview/52567020-7300-47bd-adb7-77620e695ecc/doc.pdf [Accessed December 10, 2013]
  6. Jibat T, Mourits MCM, Hogeveen H. Incidence and economic impact of rabies in the cattle population of Ethiopia. Prev Vet Med (2016) 130:67–76. doi:10.1016/j.prevetmed.2016.06.005
  7. Marino J, Sillero-Zubiri C, Deressa A, Bedin E, Bitewa A, Lema F, Rskay G, Banyard A, Fooks AR. Rabies and Distemper Outbreaks in Smallest Ethiopian Wolf Population. Emerg Infect Dis (2017) 23:2102–2104. doi:10.3201/eid2312.170893
  8. Canning G, Camphor H, Schroder B. Rabies outbreak in African Wild Dogs (Lycaon pictus) in the Tuli region, Botswana: Interventions and management mitigation recommendations. J Nat Conserv (2019) 48:71–76. doi:10.1016/j.jnc.2019.02.001
  9. Fahrion AS, Taylor LH, Torres G, Müller T, Dürr S, Knopf L, de Balogh K, Nel LH, Gordoncillo MJ, Abela-Ridder B. The Road to Dog Rabies Control and Elimination—What Keeps Us from Moving Faster? Front Public Heal (2017) 5:1–8. doi:10.3389/fpubh.2017.00103
  10. Cleaveland S, Fevre EM, Kaare M, Coleman PG. Estimating human rabies mortality in the United Republic of Tanzania from dog bite injuries. Bull World Health Organ (2002) 80:304–310.
  11. Warembourg C, Wera E, Odoch T, Bulu PM, Berger-González M, Alvarez D, Abakar MF, Maximiano Sousa F, Cunha Silva L, Alobo G, et al. Comparative Study of Free-Roaming Domestic Dog Management and Roaming Behavior Across Four Countries: Chad, Guatemala, Indonesia, and Uganda. Front Vet Sci (2021) 8: doi:10.3389/fvets.2021.617900
  12. Coleman PG, Dye C. Immunization coverage required to prevent outbreaks of dog rabies. Vaccine (1996) 14:185–186. Available at: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/0264410X95001979 [Accessed December 10, 2013]
  13. Zinsstag J, Dürr S, Penny MA, Mindekem R, Roth F, Menendez Gonzalez S, Naissengar S, Hattendorf J. Transmission dynamics and economics of rabies control in dogs and humans in an African city. Proc Natl Acad Sci U S A (2009) 106:14996–5001. doi:10.1073/pnas.0904740106
  14. Vigilato MAN, Clavijo A, Knobl T, Silva HMT, Cosivi O, Schneider MC, Leanes LF, Belotto AJ, Espinal MA. Progress towards eliminating canine rabies: policies and perspectives from Latin America and the Caribbean. Philos Trans R Soc B Biol Sci (2013) 368:20120143. doi:10.1098/rstb.2012.0143
  15. Zinsstag J, Lechenne M, Laager M, Mindekem R, Naïssengar S, Oussiguéré A, Bidjeh K, Rives G, Tessier J, Madjaninan S, et al. Vaccination of dogs in an African city interrupts rabies transmission and reduces human exposure. Sci Transl Med (2017) 9:eaaf6984. doi:10.1126/scitranslmed.aaf6984
  16. Tidman R, Thumbi S, Wallace R, de Balogh K, Iwar V, Dieuzy-Labaye I, Song J, Shadomy S, Qiu Y, Torres G, et al. United Against Rabies Forum: The One Health Concept at Work. Front Public Heal (2022) 10:888. doi:10.3389/fpubh.2022.854419
  17. Kankya C, Dürr S, Hartnack S, Warembourg C, Okello J, Muleme J, Okello W, Methodius T. Awareness , Knowledge , and Perceptions Regarding Rabies Prevention Among Rural Communities in Masaka District , Central Uganda : A Qualitative Study. (2022) 9:1–9. doi:10.3389/fvets.2022.863526
  18. Warembourg C, Fournié G, Abakar MF, Alvarez D, Berger-González M, Odoch T, Wera E, Alobo G, Carvallo ETL, Bal VD, et al. Predictors of free-roaming domestic dogs’ contact network centrality and their relevance for rabies control. Sci Rep (2021) 11:12898. doi:10.1038/s41598-021-92308-7
  19. Omodo M, Ar Gouilh M, Mwiine FN, Okurut ARA, Nantima N, Namatovu A, Nakanjako MF, Isingoma E, Arinaitwe E, Esau M, et al. Rabies in Uganda: Rabies knowledge, attitude and practice and molecular characterization of circulating virus strains. BMC Infect Dis (2020) 20:1–12. doi:10.1186/s12879-020-4934-y
 
TYPO3 Agentur