Editorial
Die Ferien sind vorbei!
Viele Menschen sehnen sich nach der Corona-Zeit wieder nach Reisen in fernere Länder. Während in der Schweiz dank jahrzehntelangen Anstrengungen die Tollwut ausgerottet werden konnte, ist die Krankheit in Afrika und Asien immer noch endemisch. Jedes Jahr sterben weltweit fast 60 000 Menschen daran. 99% der Fälle werden durch Bisse von infizierten Hunden verursacht. Dennoch kehren Sommer für Sommer hunderte von Menschen mit einem Tier von ihren Reisen in die Schweiz zurück.
Für den Praktiker, dem der nicht vorschriftsmässig importierte Hund vorgestellt wird, sind das weniger Ferien. Einige Kolleginnen und Kollegen sehen es als ihre Aufgabe und Verantwortung für die öffentliche Gesundheit an, das Risiko eines solchen Imports nachträglich zu beurteilen. Andere Tierärztinnen und Tierärzte sind der Meinung, dass diese Aufgabe den zuständigen Veterinärdiensten obliegt und sie melden jede nicht konforme Einfuhr bei den kantonalen Behörden.
Letztere fühlen sich oft hilflos, wenn ihnen solche Fälle gemeldet werden: Es ist schwierig zu beurteilen, ob die Besitzer aus Profitgründen oder einfach aus rechtlicher Unkenntnis handeln. Trotzdem: Das Tier ist da und die Aufgabe des Kantonstierarztes oder der Kantonstierärztin ist es, Massnahmen zu treffen, die dem Risiko, das dieses Tier darstellt, angemessen sind.
Angesichts des starken Anstiegs solcher Fälle und Medienberichten über Welpen, die wegen Tollwutverdacht eingeschläfert wurden, wird allgemein gefordert, dass die Fangnetze enger gezogen werden, um solch schwierige Situationen sowohl für die Tiere als auch für die betroffenen Berufsgruppen zu vermeiden; sei es in Praxen, Universitätskliniken oder im öffentlichen Dienst. Sicherlich ist das aktuelle System verbesserungswürdig. Alternativen wie strengeren Grenzkontrollen oder mehr Quarantänemassnahmen stehen jedoch pragmatische Aspekte gegenüber: Mangel an geschultem Personal oder die Deckung der entstehenden Mehrkosten. Wünschenswert wäre auch, dass Verstösse konsequenter strafrechtlich verfolgt werden, denn die Präventions- und Sensibilisierungskampagnen scheinen leider keine Früchte zu tragen.
Der Ausbruch des Krieges in der Ukraine zu Beginn dieses Jahres hat die Richtlinien für die Einreise von Haustieren in unser Land in Bewegung gebracht. Vor dem Hintergrund einer humanitären Krise erlebten wir eine beispiellose Migrationswelle von Hunden und Katzen mit unsicherem Gesundheitsstatus aus einem Tollwutrisiko-Land. Mit Aufklärungsmassnahmen und dank der guten Kenntnisse der betroffenen Halter über die Krankheit war es möglich, diese Tiere aufzunehmen.
Diese jüngsten Ereignisse müssen bei der Abwägung zwischen Tierschutz und öffentlicher Gesundheit berücksichtigt werden. Eine neue Risikobewertung in diesem Bereich scheint daher angebracht. Diese darf jedoch nicht in Hände Krimineller spielen, die sie ausnutzen, um die Wünsche einer konsumorientierten und ungeduldigen Klientel zu bedienen.
Michel Rérat
Kantonstierarzt Genf, Mitglied GST-Vorstand