Sektionen

Vor 150 Jahren

Mit der Bourbaki-Armee kam die Rinderpest – und das erste eidgenössische Tierseuchengesetz

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In den ersten Tagen des Monats Februar 1871 fanden 87 000 Soldaten und 12 000 Pferde der französischen Armée de l’Est (General Bourbaki) Zuflucht in der Schweiz, nachdem sie gegen das Ende des deutsch-französischen ­Krieges eingekesselt worden waren.

Die zum Grenzschutz aufgebotene Schweizer Armee entwaffnete und internierte die Truppen, versorgte sie mit Nahrung und organisierte den Transport der Soldaten und Pferde in das Innere des Landes. Auf den Bildern aus dem Bourbaki-Panorama in Luzern, die aus Anlass des Gedenkens an dieses vor 150 Jahren erfolgte Ereignis in den Medien erschienen sind, fällt im Hintergrund eine Rinderherde auf (Abb. 1). Es handelt sich dabei um «Provianttiere», also Schlachtvieh, das zu Fuss zur Versorgung der Truppe mit Fleisch mitgeführt wird.

Zwar hatte der Bundesrat bereits im Dezember 1870 wegen der Gefahr der Einschleppung der Rinderpest die Einfuhr von Tieren der Rindergattung verboten, doch konnte das Verbot bei den turbulenten Ereignissen in den ersten Februartagen nicht durchgesetzt werden. Dazu kommt, dass Metzger und Bauern die Tiere zu günstigen Preisen kauften.

Am 18. Februar 1871 erhielt der Oberpferdarzt der Armee, Oberstleutnant Rudolf Zangger (1826–1882), eine Meldung über verdächtige Krankheitssymptome bei den Tieren. Er diagnostizierte Rinderpest und regelte unverzüglich im Einvernehmen mit dem Kanton Neuenburg die Sperrmassnahmen und die Schlachtung aller Tiere in Beständen mit erkrankten Tieren sowie die Reinigung und Desinfektion. Der Bundesrat befahl die Erstellung eines militärischen Grenzcordons zur Seuchenbekämpfung im Zusammenhang mit der Rinderpest und angesichts der zahlreichen verendeten oder nicht transportfähigen Pferde. Er ernannte Zangger zum speziellen Seuchenkommissär. Da Zangger in ziviler Funktion Direktor der Zürcher Tierarzneischule war, lag ihm daran, das Vorgehen bei der Diagnose und Bekämpfung der Seuche zu Ausbildungszwecken weiteren Kreisen zu demonstrieren. Er bot zur Seuchenbekämpfung und zur Abklärung der Epidemiologie mehrere militärische Stabstierärzte sowie Veterinärstudenten von Bern und Zürich auf, ferner lud er tierärztliche Experten aus sechs Kantonen ein.

Im Ganzen waren 25 Bestände in der Region Les Verrières (NE) von der Seuche betroffen. Dank der sofort ergriffenen Massnahmen konnte die weitere Ausbreitung der Seuche verhindert werden. Soweit möglich wurde bei den umgestandenen und getöteten Tieren eine Sektion vorgenommen. Die klinischen und pathologisch-anatomischen Befunde und die Ergebnisse der epidemiologischen Abklärungen wurden in einem Bericht detailliert erfasst. Der Bericht wurde im Bundesblatt und im Schweizer Archiv für Tierheilkunde veröffentlicht1. Die Ortsangaben erlauben es, die betroffenen Gehöfte auch heute noch zu identifizieren. Der Bericht wurde vom Veterinärstudenten Auguste Gillard geschrieben, der später wichtige amtstierärztliche Funktionen im Kanton Neuenburg ausübte.

Die Umstände der Infektion in den 25 von der Seuche befallenen Beständen können wie folgt zusammengefasst werden:

  • In sechs Beständen, die sich entlang der Haupt­stras­se befinden, fand ein direkter oder indirekter Kontakt mit dem Vieh der betroffenen Bauern statt.
  • Sieben Bestände waren auf Schlachtungen infizierter Tiere zurückzuführen, wobei entweder der Metzger selbst Viehhalter war oder indirekte Kontakte zu Bauern erfolgt sind.
  • Zwölf grenznahe Betriebe, teils auf den Jurahöhen, beherbergten Soldaten, die über ihre Uniformen und Schuhe den Krankheitserreger («Contagium») in die Bestände verbrachten.

Die seuchenpolizeilichen Massnahmen wurden vom Bundesrat unter Berücksichtigung der Notlage, ohne gesetzliche Grundlage, direkt auf die Verfassung abgestützt, angeordnet. Der Bundesrat war sich jedoch schon vorher bewusst, dass eine Bundesregelung nötig war, weil der aufkommende Eisenbahnverkehr und aktuell die kriegerischen Handlungen auf dem Kontinent zunehmend mit Seuchenausbrüchen verbunden waren. Deshalb unterbreitete er den Eidgenössischen Räten am 9. Dezember 1870, also zwei Monate vor der Einschleppung der Rinderpest im Jura, den Entwurf für ein Bundesgesetz über die polizeilichen Massnahmen gegen Viehseuchen. Verfasser des Gesetzesentwurfs und später Kommissionssprecher war Nationalrat Zangger, der als Oberpferdarzt die Rinderpest im Jura bekämpft hatte. Das Beispiel dieser Seuche und die Autorität des ­Sprechers überzeugten das Parlament von der Wichtigkeit einer Bundesregelung. Die bisherige Opposition gegen eine Bundesregelung im Veterinärwesens verstummte. Die Führungsrolle des Bundes in der Tier­seuchen­bekämpfung wurde allgemein akzeptiert. Am 6. Februar 1872 stimmten beide Räte dem Gesetz zu.

Die zahlreichen Ämter, die Zangger in seiner Person vereinigte, waren nicht unbestritten und wurden im Februar 1871 im Zürcher Kantonsrat diskutiert. Im Ergebnis wurde der Synergieeffekt seiner Aktivitäten stärker gewichtet als die häufigen Absenzen von der Tierarzneischule.

Schweizerische Vereinigung für Geschichte der Veterinärmedizin

Abb. 1: Detail Bourbaki-­Panorama Luzern, Edouard Castres, 1881, Oel auf Leinwand. Gabriel Ammon/AURA.
Rudolf Zangger (1826–1882)

1Archiv für Tierheilkunde, 1873, Band 24, Heft 2/3: https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=sat-001%3A1873%3A24%3A%3A107#238

Weiterführende Literatur:
www.svgvm.ch > Geschichte > Neujahrsgaben-Etrennes > Neujahrsgabe 2013