Journal Schweiz Arch Tierheilkd  
Verlag GST  
Heft Band 161, Heft 12,
Dezember 2019
 
ISSN (print) 0036-7281  
ISSN (online) 1664-2848  
online seit 02 Dezember 2019  
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Verbandsnachrichten

Gitzi enthornen: Die Wendung kommt von unerwarteter Seite

Seit 2008 erlaubt die Gesetzgebung Tierhaltern mit entsprechendem Sachkundenachweis, Gitzi auf dem eigenen Betrieb selber zu enthornen. Die
Erfahrungen der Tierärztinnen und Tierärzte mit dieser Regelung hat gezeigt, dass es nicht verantwortbar ist, diesen heiklen Eingriff an Laien abzugeben. Nun spielt eine Änderung im Tierarzneimittelrecht den Tierärzten in die
Hände.

Jeder Tierärztin, jeder Tierarzt, der Gitzi enthornt, weiss, wie heikel dieser scheinbar einfache Eingriff sein kann. Das Enthornen der Gitzi geschieht mit 10–14 Tagen sehr früh und in einem engen Zeitfenster.

Ein scheinbar einfacher Eingriff

Die jungen Tiere haben ein grösseres Risiko für Narkose-Zwischenfälle, so kühlen sie beispielsweise schnell aus. Jedes Gitzi reagiert anders auf die Narkose. Einige schlafen tief und fest, andere reagieren auf Schmerz­stimuli, trotz gleicher Dosierung nach Gewicht. Ein Tierarzt hat das Wissen, darauf richtig zu reagieren: Nachdem er den Zustand des Tieres beurteilt hat, dosiert er entweder die Narkose nach oder nimmt zusätzlich eine Leitungs- oder Infiltrationsanästhesie vor.

Auch das Ausbrennen der Hornanlage braucht viel Fingerspitzengefühl. Das unter der dünnen Schädeldecke liegende Gehirn darf nicht beschädigt werden. Der Tierarzt brennt ohne Druck und nur kurz. Nach dem Eingriff achtet er darauf, dass die Jungtiere gut erwachen, nicht auskühlen oder regurgitieren.

GST forderte schon früh ein Enthornungsverbot für Tierhalter

Weil das Enthornen von Gitzi viel Wissen erfordert, bestand in der Tierärzteschaft schon lange Zweifel, ob die Tierhalter allein mit einem Sachkundenachweiskurs genügend Kompetenzen erlangen, die Gitzi gut zu enthornen. Zudem erachtete sie die Abgabe von Ketamin als problematisch. Bereits 2008 hat die GST in einem Positionspapier festgehalten, dass sie die Enthornung durch Tierhalter nicht unterstützt und sie verbieten möchte. Die GST forderte, dass der Eingriff bis zum offiziellen Verbot den Tierärztinnen und Tierärzten vorbehalten sein soll. Diese Haltung bestätigte die GST 2015 erneut, unter anderem mit einer Medienmitteilung.

Ein Drittel der Zicklein ungenügend anästhesiert

Eine Studie aus dem Jahr 20181, die unter der Leitung des Tierspitals Bern im Auftrag des BLV durchgeführt wurde, hat diese Befürchtungen bestätigt. Bei 168 beobachteten Enthornungen durch Tierhalter war ein Drittel der Zicklein ungenügend anästhesiert. Zudem zeigte die Studie, dass die Tierhalter die schriftlichen Unterlagen, die sie beim Sachkundenachweis-Kurs erhalten hatten, oft unzureichend beachten und beispielsweise die Tiere nach dem Eingriff ungenügend ver­sorgen. Die Studie lieferte den Tierärztinnen und Tierärzten endlich die dringend benötigten Fakten, um ihre Kritik an der gängigen Praxis zu untermauern.

Ende 2018 fand unter der Leitung des BLV eine Sitzung mit Vertretern aller Interessengruppen statt: Schweizerischer Ziegenzuchtverband, GST, Schweizerische Vereinigung für Wiederkäuermedizin SVW, Beratungs- und Gesundheitsdienst für Kleinwiederkäuer BGK, Kantonstierärzte und Spezialisten des Tierschutzes und des Tierarzneimittelrechts des BLV. Dabei forderte die GST wieder, dass das Enthornen von Zicklein mittelfristig ganz zu verbieten sei und in einer Übergangsphase der Eingriff nur noch von Tierärzten durchgeführt werden soll. Die SVW und der BGK hingegen setzten sich für obligatorische Weiterbildungskurse für die Tierhalter sowie für eine Kontrolle durch die kantonalen Vollzugsbehörden ein. Das BLV vertrat gegenüber der GST die Position, dass weder die Abschaffung der Enthornung durch die Tierhalter noch ein generelles Verbot der ­Gitzienthornung politisch durchzusetzen seien.

Ketamin neu eine zu kontrollierende Substanz

Im Frühjahr 2019 kam Hilfe von unerwarteter Seite: Die EU verschärfte die Gesetzgebung im Umgang mit Ketamin und die Schweiz zog nach. Seit dem 1. Mai 2019 ist Ketamin eine zu kontrollierende Substanz. Während die Swissmedic für die Handhabung in der Tierarzt­praxis eine pragmatische Lösung ermöglichte (siehe BLV-Merkblatt), bedeutete es das Ende für die Abgabe an die Tierhalter. Im September trafen sich die Interessengruppen erneut beim BLV. Das Resultat war die neue Regelung, dass die Voruntersuchung und die Narkose der Gitzi durch einen Tierarzt durchgeführt und überwacht werden muss. Die Enthornung an sich darf immer noch durch den Tierhalter vorgenommen werden. Es stellt sich dabei die Frage, ob das in der Praxis sinnvoll ist. Das wird sich in den nächsten Jahren weisen.

Für die Zukunft erhofft sich die GST, dass durch neue Forschungsergebnisse (z.B. Studien zur Haltung von behornten Ziegen im Warteraum vor dem Melkstand) und einem breiter abgestützten politischen Willen, das Enthornen von Ziegen dereinst ganz verboten wird. Die GST unterstützt alle Bestrebungen, die zu einer artgerechten Haltung dieser Tiere führt.

Patrizia Andina-Pfister, Dr. med. vet. FVH für Wiederkäuer
Fachbereich Tierarzneimittel, Geschäftsstelle GST

Das Enhornen von Gitzi ist aus Sicht der GST nicht notwendig, wenn die Haltungsbedingungen tiergerecht sind.

BLV-Merkblatt für Tierärzte und Tierärztinnen zur neuen Regulierung der Enthornung von Zicklein

Das BLV hat die komplexen Zusammenhänge zwischen Tierschutzgesetz und Tierarzneimittelverordnung in einem Merkblatt klar und verständlich zusammengefasst. Das Merkblatt ist als PDF unter folgendem Link abrufbar:
www.blv.admin.ch > Tiere > Tierarzneimittel > Fachgerechter Umgang mit Tierarzneimitteln («Im Detail» / «Betäubungsmittel»)

1Evaluation of anaesthesia and analgesia quality during disbudding of goat kids by certified Swiss farmers. N. Wagmann et al., BMC Veterinary research, 14; 220 (2018)

 
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